Ramez Naam

APEX


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können Sie ganz groß gewinnen, wenn der andere Spieler Ihnen vertraut und Sie ihn hintergehen – ihn verraten.

      Die beste Strategie für eine einzige Runde im Gefangenendilemma ist Verrat.«

      »Eine Tatsache, von der die Polizei in der realen Welt mit echten Gefangenen eine Weile lang Gebrauch gemacht hat«, kommentierte Dabir.

      Kade schluckte. Das ging hart an seine Schmerzgrenze. Doch er fuhr fort: »Im Erweiterten Gefangenendilemma ist das anders.«

      Dabir hob eine Augenbraue. »Erweitertes Gefangenendilemma?«, grübelte sie. »Mehrere Runden. Mehr als zwei Spieler.«

      Kade nickte. »Unter Umständen tausende von Spielern. Oder Millionen. Spieler, die immer und immer wieder aufeinandertreffen können. Und die sich daran erinnern können, wie der andere Spieler sich zuvor verhalten hat.«

      »Wie im wahren Leben«, sagte Dabir.

      Kade nickte. »Und im Erweiterten Gefangenendilemma ist die gewinnbringende Strategie die, mit Fremden zu kooperieren. Aber wenn Sie auf jemanden treffen, der sie in der Vergangenheit hintergangen hat, der Sie verraten hat, dann werden Sie ihn nun hintergehen.

      »Wie du mir, so ich dir«, sagte Dabir.

      »In der Tat«, sagte Kade. »Beginne mit Kooperation und hintergehe diejenigen, die dich zuvor hintergangen haben. Aber vergib denjenigen, die dich in der Vergangenheit hintergangen haben, sollten sie es wiedergutmachen wollen, indem sie nun kooperieren. Von allen deterministischen Ansätzen ist diese Strategie die gewinnbringendste.

      »Und Sie denken, das entspricht der Situation, in der wir uns gerade befinden«, sagte Dabir. »Dass wir in diesem Spiel gegen zukünftige Posthumane antreten und wenn wir sie verraten, indem wir sie schlecht behandeln, sie uns letzten Endes schlecht behandeln werden.

      »Dr. Dabir«, sagte Kade. »Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie in einer Gesellschaft aufwachsen würden, die Ihnen uneingeschränkte Rechte und Absicherungen einräumen würde, ja sie sogar feiern würde im Gegensatz zu einer Gesellschaft, die Sie unterdrücken und vielleicht sogar versuchen würde, sie zu töten?«

      Er machte eine Pause und sah sie an. »Was würden Sie tun, wären Sie in letzterer Gesellschaft aufgewachsen und würden jemals die Oberhand gewinnen?«

      »Ein Betablocker«, wiederholte Sam. Sie war ganz ruhig. Sie musste ruhig sein. Ruhig bleiben.

      »Beta«, sie sprach das Wort ganz deutlich aus.

      Verdammt noch mal!

      »Blocker«, fuhr sie fort.

      Der Arzt schaute sie ausdruckslos an.

      Sam warf ihm einen wütenden Blick zu. »Es ist eine Standardmaßnahme bei der Behandlung von Verletzten. Reduziert eine Adrenalinüberlastung. Beugt posttraumatischem Stress vor. Ich weiß, Sie wenden hier die gleichen Verfahren an.« Sie hielt sich selbst zurück, bevor sie anfangen würde, ihn zu beschimpfen.

      Ich bin die Sam, die ruhig bleibt. Ich bin verdammt noch mal die Sam, die ruhig bleibt!

      »Ich bin lediglich dazu befugt, Verletzungen und Schmerzen zu behandeln«, sagte der Arzt. Die bewaffneten und gepanzerten Wachen hinter ihm blickten sie finster an.

      Ruhig, sagte sie sich selbst, ruhig. Vipassana. Ich werde zur Hölle noch mal einfach meditieren.

      »Ich möchte die Kinder sehen«, sagte sie noch einmal.

      Der Arzt deutete auf die Wachen. »Da müssen Sie diese Gentlemen hier fragen«, sagte er.

      »Nicht jetzt«, sagte einer der Wachen. »Sie bleiben hier.«

      »Wann denn dann?«, wollte Sam wissen.

      »Dann, wenn wir es Ihnen sagen«, knurrte der Wächter.

      Und dann begleiteten sie den Arzt hinaus.

      Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

      Sollten sie doch alle zur Hölle fahren!

      »Also sage ich ihm«, fuhr Feng fort, »es ist nur ein Buttermesser

      Die Wachen im Raum lachten, der Sanitäter hatte Feng eine Schüssel Curry gebracht.

      Er grinste zu ihnen hoch. Sein Arm hing nichtsnutzig in der Schlinge. Seine Augen verarbeiteten ihre Bewegungsmuster, die Struktur ihrer Körperpanzer, die Position ihrer Waffen. Sein Gehirn legte Phantomechos ihrer zukünftigen Bewegungen, die sie machen könnten über sie alle und verwandelte sie dadurch in indische Götter mit mehreren Gliedmaßen. Alle ihre möglichen Faustschläge und Blockaden und Ausweichtaktiken und gezogenen Waffen.

      Es waren zu viele. Zu viele mit ihren Panzern und ihren Pistolen und er selbst hatte nur eine Hand.

      »Ich komme in einer Stunde wieder, um die Schüssel zu holen«, sagte der Sanitäter.

      »Nun ja«, sagte Feng und winkte mit seinem funktionierenden Arm großmütig durch den kleinen Raum, »ich nehme an, ich werde solange hierbleiben.« Die Wächter kicherten, als sie den Mann herauseskortierten.

      Seine Augen nahmen jedes kleinste Detail ihres Abgangs auf.

      Kade sollte sich besser beeilen.

      Alte Gewohnheiten ließen sich nur schwer ablegen.

      

      

       15| ZEIT FÜR FAMILIE

      

      Sonntag, 04.11.2040 Sun Liu beobachtete die Fremden dabei, wie sie in sein Zuhause im Mentougou Distrikt Pekings einmarschierten. Es war sein privater Rückzugsort gewesen.

      Ich war der Minister für Wissenschaft und Technologie, sagte Sun Liu zu sich selbst. Ich hatte einen Sitz im Ständigen Komitee des Politbüros. Ich war der Leiter der Progressiven. Ich war der drittmächtigste Mann in China. Ich hätte Parteivorstand und Präsident werden können. Ich hätte die Nummer Eins sein können.

      Aber das alles war gestern gewesen.

      Der Crash von Schanghai hatte alles verändert. Wenn eine Cyberattacke, wie man sie niemals zuvor gesehen hatte, in der Stadt einschlug, ausgeklügelte Systeme knackte und Überwachungsdrohnen zu Tausenden vom Himmel fallen ließ, wenn Kraftwerke zu Klumpen verschmolzen, die Nahrungsmittel- und Wasserversorgung zum Stillstand kam und alle Pumpen lahm lagen, die Schanghai vor Überflutungen schützen sollten … nun, dann war das eigentlich schon genug, um eine Massenpanik auszulösen.

      Aber als dann Beweismittel gefunden wurden, die eine mögliche Verbindung zu Su-Yong Shu andeuteten, dem digitalen Mastermind des Quantencomputing, dessen Erschaffung und fortgeführte Existenz er unterstützt hatte?

      Das war genug gewesen, um das Fass zum überlaufen zu bringen.

      Es war genug gewesen, um den bereits lange andauernden Konflikt zwischen seiner progressiven Partei und den Konservativen zum Ausbruch zu bringen. Genug, um die Generäle zu überzeugen, dass die Risiken der fortschrittlichen Technologie klar auf der Hand lagen. Genug, um sie ihre politische Neutralität ablegen zu lassen und ihre Unterstützung komplett den Reaktionären zuzusichern und sich dafür einzusetzen, dass jeglicher Fortschritt im Namen der Sicherheit ausgebremst wurde.

      Und jetzt sollten er und seine Verbündeten eliminiert werden.

      Er schürzte die Lippen. Sie gaben Su-Yong Shu die Schuld. Chen Pangs geisteskranker, toter Frau.

      Er hingegen gab Bo Jintao die Schuld. Dem Leiter der Konservativen. Dem neuen Premierminister Chinas. Bo Jintao hatte diese Fremden heute Abend in Sun Lius Zuhause einmarschieren lassen. Die Fotografen. Die »Journalisten«, die die Propaganda schürten, die Bo sie schüren lassen wollte.

      Um ihn zu demütigen.

      »Sun Liu!«, rief Bo Jintao, während er