Inka Loreen Minden

Dunkle Träume


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kam es ihm nur auf die Energie an, die er aus dem Beischlaf bezog. Diese Kraft brauchte er, um Portale zu erschaffen und sein dämonisches Leben zu verlängern. Er hatte es bereits auf 387 Jahre gebracht, obwohl er optisch nicht älter als die anderen Goyles aussah. Alles Weitere, das er zum Leben brauchte, erhielt er von gewöhnlichen Nahrungsmitteln.

      Nick widerstand dem Drang, Zorell windelweich zu prügeln. Immerhin steckte er in Jamies Körper. »Was hast du hier zu suchen?« Erst als seine Knöchel knackten, bemerkte er, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte. Mit Worten kam er bei dem Zash ohnehin nicht weit, also packte er Jamie so vorsichtig er konnte an seinem kurzen Haar, und drängte ihn gegen die Wand. »Ich will Antworten!«

      »Fick dich«, knurrte Zorell, sah zu ihm auf und spuckte ihm ins Gesicht.

      Das ist Jamies Speichel, sagte er sich, ließ die Zunge lasziv um den Mund kreisen und säuselte: »Nein, ich ficke dich.« Dann küsste er ihn hart, weil das der einzige Weg war, an den Kleinen heranzukommen. Normalerweise waren Nicks Bekannte und Freunde für ihn tabu, besonders für den Inkubus in ihm, doch hier musste er eine Ausnahme machen. Der Dämon hasste Jamies Homosexualität.

      Zorell leistete erst Widerstand, aber bald entspannte er sich, wobei Nick nie den Blick von ihm abwendete. Die schwarze Flüssigkeit, die sein Augenweiß komplett bedeckt hatte, verschwand. Zorell zog sich zurück und Jamie erwiderte den Kuss.

      Nick war überrascht. Seine Hand lockerte sich, ihre Küsse wurden intensiver. Zum ersten Mal schmeckte er den Mund des Mannes, den er glaubte, seinen Freund nennen zu dürfen. Mit dem Daumen fuhr er über Jamies vernarbte Wange, wo der Dämonenfürst Ceros ihn einst verbrannt hatte. Nicks Finger wanderten in Jamies Nacken, um ihn näher zu sich zu ziehen, ihn intensiver zu genießen. Seine Erektion drückte sich an Jamies Bauch. Jamies Augen blieben klar, die grünen Pupillen leuchteten regelrecht im hereinfallenden Mondlicht. Seine Lider flatterten, ansonsten blieb er reglos stehen, lediglich Mund und Zunge bewegten sich. Nick atmete schwer, sein Schwanz pochte im wilden Stakkato seines Herzens. Abrupt ließ er Jamie los. Es hatte ihn erregt, ihn zu küssen. Porca puttana!

      Jamie starrte ihn nur an.

      »Es tut mir leid, dass ich dich …« Nick räusperte sich und versuchte, seine zitternden Schwingen unter Kontrolle zu bringen. »Es war der einzige Weg, den Bastard zu vertreiben.« Mittlerweile kannte er Jamie gut, nur leider nicht so gut, wie er wollte.

      »Wenn du ihn doch für immer verschwinden lassen könntest«, flüsterte Jamie und stieß sich von der Wand ab.

      Nick spannte den Körper an. Was meinte er genau? Er wunderte sich über sich selbst. Machte er sich etwa Hoffnungen, dem Jungen zu gefallen?

      »Was hatte Zorell hier zu suchen?« Er folgte Jamie durch die gläserne Tür auf die geräumige Dachterrasse, die das obere Stockwerk umgab. Geräusche der Stadt drangen von weit unten herauf. Das Haus war das höchste in der Umgebung.

      »Er weiß es«, sagte Jamie und sah so verzweifelt aus, dass sich in Nicks Magen ein Knoten bildete.

      Der laue Sommerwind, der um das Hochhaus wehte, wirbelte Jamies kurzes braunes Haar durcheinander, das er meist mit Gel im Zaum hielt. Wie gern wollte Nick noch einmal seine Finger darin vergraben.

      »Was weiß wer? Sprichst du von Zorell?« Nicolas packte ihn am Arm, aber der Kleine riss sich von ihm los. Schnellen Schrittes ging er über die Terrasse.

      »Ich muss mit Ash sprechen.« Jamie blickte sich um. »Ash, bist du hier?«

      Der Engel tauchte jedoch nicht auf. Ash wachte über Vincents Klan und über diesen Stadtteil. Bis letztes Jahr war er ein Dämon gewesen und hatte mit Jamie in der Unterwelt gelebt, um dem Höllenfürsten Ceros zu dienen. Der Kleine hatte eine Menge durchgemacht, musste im Alter von dreizehn Jahren mit ansehen, wie seine Eltern vor seinen Augen von Ceros abgeschlachtet wurden. Ash hatte ihm in der finstersten Zeit seines Lebens Halt und ein wenig Geborgenheit gegeben.

      Nick lief hinter Jamie her; seine Schwingen flatterten im Wind. »Du kannst auch mit mir sprechen!« Wie oft hatte er versucht, zu Jamie vorzudringen, nur ließ er keinen richtig an sich heran. Längst hatte Nicolas erkannt, wie sensibel und verstört er war. Über ein Jahrzehnt hatte er in der Unterwelt gelebt, war dort vom Jungen zum Mann herangereift. Das hatte ihn geprägt. Er kam in der Menschenwelt nicht zurecht, flüchtete sich in Dämonenbars, betrank sich und suchte Ablenkung, indem er mit Männern schlief. Besonders zu einem jungen Mann, sein Name war Al, ging Jamie oft. Er war ein Sklave, der in der Dämonenbar Desiderio die Gäste bespaßen musste. Nick sah den beiden oft zu, wobei er jedes Mal einen Stich in der Brust spürte. Bereits vor Wochen hatte er sich in den Kleinen, wie er ihn liebevoll nannte, verguckt. Er durfte sich nicht in ihn verlieben, nicht in den Bruder der Hexe, verdammt! Er musste einen klaren Kopf behalten.

      »Jamie«, rief er erneut, »was hat Zorell gesucht?«

      Der Kleine stand an der Brüstung und schaute hinunter in eine Seitenstraße, die im Dunkeln lag. Nick stellte sich neben ihn und blickte über London. Die Stadt war nachts, wenn Ruhe einkehrte, wunderschön. Das war Nicks Zeit. Dann breitete er die Schwingen aus, schwebte über die Dächer, drang in Häuser ein, schlief mit Frauen oder Männern und raubte ihnen ein klein wenig ihrer Lebensenergie. Am nächsten Tag fühlten sie sich erschöpft und konnten sich an nichts erinnern, ansonsten ging es ihnen gut. Ein Mal schadete nicht. Nicolas würde jedoch niemals einen Partner haben können, mit dem er regelmäßig Sex hatte. Das würde ihn töten.

      »Kleiner … hör mal«, begann er zögerlich und war versucht, seine Hand auf Jamies zu legen, die auf dem Geländer ruhte. »Ich kann dir helfen, wenn du mich lässt.«

      Jamie ließ den Kopf hängen. »Niemand kann mir helfen«, flüsterte er. »Zorell ist zu stark. Ich komme kaum noch gegen ihn an.« Plötzlich wurde seine Stimme lauter und er schaute Nick an. »Bitte sag meiner Schwester, dass ich sie über alles liebe. Aber ich sehe keinen anderen Ausweg.«

      »Wovon sprichst du?« Er wollte ihn am liebsten schütteln.

      Bevor Nick irgendwie handeln konnte, schwang sich Jamie vor seinen Augen über das Geländer.

      »Merda!« Sofort sprang er hinterher. Kopfüber stürzte er sich in die Dunkelheit und sah den taumelnden Körper zwei Armeslängen tiefer. Nick verfluchte sich, weil er nicht erkannt hatte, was Jamie plante. Verzweifelt versuchte er, schneller zu fallen als Jamie, indem er wie ein Pfeil in die Tiefe schoss, um den Luftwiderstand zu verringern. Als sie bestimmt schon dreißig Stockwerke abgestürzt waren, bekam er Jamie am Hosenbein zu fassen, riss ihn an sich, presste ihn gegen seine Brust und breitete die Schwingen aus. Der abrupte Widerstand riss ihm beinahe die Schulterblätter heraus, doch er biss die Zähne zusammen, um den Fall abzubremsen. Sie waren immer noch zu schnell und gemeinsam mit Jamies Gewicht zu schwer.

      In der dunklen Gasse unter sich erspähte Nick vollgestopfte Mülltüten. Darauf steuerte er zu, drehte sich kurz vor dem Aufprall herum und landete auf den Beuteln. Quälende Schmerzen explodierten in seiner Wirbelsäule – aber Jamie lag sicher an seiner Brust. Er war unverletzt, das war alles, was zählte. Ohne ihn loszulassen, setzte sich Nick zwischen den aufgeplatzten Beuteln auf. Er war so erschüttert, dass er kaum sprechen konnte. »Wieso … wolltest du dich umbringen?« Was quälte ihn so sehr, dass er nicht mehr leben wollte?

      Jamie starrte ins Nichts und antwortete erst nach einer Weile flüsternd: »Ich bin doch längst tot. Was hat mein Leben noch für einen Sinn?«

      »Was ist passiert? Bitte rede endlich mit mir«, sagte Nick sanft und strich ihm das Haar aus der Stirn. Plagten ihn Schuldgefühle, weil Zorell stärker war als er und deswegen seine Eltern tot waren? Hasste er ein Leben, das er mit einem Dämon teilen musste, der, wann immer ihm danach war, seinen Körper übernehmen konnte? Nick dachte scharf nach. Als er damals in Vincents Klan gekommen war, hatte er geglaubt, Jamie würde sich erholen. Es hatte den Anschein erweckt, er würde sich gegen Zorell durchsetzen; doch bald hatte sich der Kleine total zurückgezogen. Ob er sich verloren gefühlt hatte, weil sein bester Freund Ash nun ein Engel war und kaum noch Zeit für ihn hatte? Fühlte er sich einsam, weil seine Schwester schwer verliebt in einen Goyle war, von dem sie ein Kind erwartete? Kam sich Jamie ausgeschlossen vor? Noir tat