Inhalt
Das ist noch einmal gut gegangen!
Die schwerste Entscheidung seines Lebens
»Die Sprechstunde endet heute Mittag. Nach der Pause geht es für Danny um 14 Uhr weiter mit einem Vortrag zum Steven-Johnson-Syndrom vor einigen Professoren der Städtischen Kliniken. Danach soll es eine Diskussionsrunde geben, zu der auch Vertreter der Pharmaindustrie geladen sind.« Wie jeden Tag saß das Team der Praxis Dr. Norden zusammen, um die Aufgaben zu besprechen. Der konzentrierte Blick der langjährigen Assistentin Wendy ruhte auf dem Kalender, während sie einen Termin nach dem anderen vorlas. »Um sechzehn Uhr möchte Dr. Weigand von der Behnisch-Klinik dann mit Danny über die Weiterbehandlung von Herrn Wohlrab sprechen. Und dann hat Jenny Behnisch darum gebeten, dass einer von euch zur Verabschiedung des langjährigen Kollegen Bruhns kommt. Da Danny ohnehin schon in der Klinik ist, bietet sich an, dass er das übernimmt und das Geschenk der Praxis überreicht.« Ohne den Kopf von ihren Unterlagen zu wenden, deutete Wendy mit der Hand auf einen Korb mit Delikatessen, den Janine für diesen Anlass besorgt hatte. Endlich war sie am Ende von Dannys Aufgabenliste angelangt und wandte sich noch einmal Daniel zu. »Chef, darf ich Sie bitten, die Glückwunschkarte zu schreiben, die ich Ihnen schon auf den Schreibtisch gelegt habe? Außerdem wünscht sich Frau Dr. Behnisch eine kleine Rede anlässlich des Jubiläums des Projekts ›Ein Bild für Mama‹, das Ihre Frau damals ins Leben gerufen hat.«
»Warum schreibt Fee die Rede nicht selbst?«, stellte Daniel Norden eine berechtigte Frage.
Wendy hatte ihm die Aufgaben des Tages bereits präsentiert, und er fragte sich noch immer, woher er die Zeit nehmen sollte, um das straffe Pensum zu bewältigen.
Wendy lächelte engelsgleich.
»Sie wissen doch, dass Ihre Frau mit ihrem Bruder Mario an der Umgestaltung der Pädiatrie arbeitet. Da kann sie sich unmöglich auch noch um solche Dinge kümmern.«
»Interessant«, brummte Dr. Norden unwillig. »Aber ich kann neben meiner Arbeit als Arzt an einer Video-Konferenz teilnehmen und den Medizintechnik-Hersteller davon überzeugen, dass ich kein neues Ultraschallgerät brauche. Und soll nun auch noch Glückwunschkarten und Reden schreiben.«
»Sie sind eben ein gefragter Mann«, bemerkte Janine Merck und lächelte ihren Seniorchef gewinnend an.
»Könnte es auch daran liegen, dass Sie ein bisschen übereifrig sind und nicht ›nein‹ sagen können, wenn Anfragen kommen?«, widersprach Daniel und sah auf die Uhr. In wenigen Minuten begann die Sprechstunde. »Aber konzentrieren wir uns erst mal auf das Naheliegende. Mit welchem Patienten habe ich gleich das Vergnügen?«
»Frau Körber ist heute Ihre unangefochtene Nummer Eins«, verkündete Janine schmunzelnd.
Dr. Norden nickte wissend.
»Richtig! Die nekrotisierende Fasziitis«, erinnerte er sich an den kritischen Fall, der auch anders hätte ausgehen können. Beim Kartoffelschälen hatte sich Anna Körber in den Finger geschnitten. Ein paar Tage später waren um die Verletzung herum dunkle Blasen aufgetreten. Als sie zur Behandlung in die Praxis gekommen war, war der Finger bereits rot verfärbt gewesen. Er schmerzte, und eine Entzündung hatte sich über die ganze Hand ausgebreitet. Die Diagnose dieser durch Streptokokken hervorgerufenen Krankheit war nicht ganz einfach gewesen, und Frau Körber verdankte ihr Leben Daniel Nordens Erfahrung und Geistesgegenwart. »Bei dieser heimtückischen Krankheit hätte sie entweder die Hand, den ganzen Arm oder sogar ihr Leben verlieren können. Es war höchste Zeit.«
Danny Norden, der seit geraumer Zeit Partner seines erfahrenen Vaters war, horchte auf.
»War das nicht dieselbe Krankheit, die der berühmte Dirigent Richard Menza hatte?«, erinnerte er sich an die Geschichte, die Auslöser für einige haarsträubende Ereignisse im Leben der Familie Norden gewesen war.
»Das ist richtig.« Daniel lächelte versonnen. »Hätte nicht ein Fachblatt von der schweren Erkrankung des Maestros und seiner glücklichen Heilung berichtet, wäre Scheich Ahmed niemals auf mich aufmerksam geworden. Dann wären Fee, die Zwillinge und ich nicht im Orient gelandet und hätten keines der unglaublichen Abenteuer erlebt, an die wir heute noch gern denken.« Tatsächlich verklärten sich seine Augen, als er an die Farben und Gerüche des Orients dachte, an den fremden Geschmack der Speisen und das Gefühl der warmen Luft auf der Haut.
»Es gab Zeiten, da waren Sie nicht so erpicht auf diese Erlebnisse«, erinnerte Wendy ihren Chef unbarmherzig an die unabänderlichen Tatsachen.
Daniel nickte.
»Zwischendurch war ich mir auch nicht so sicher, ob wir alle mit dem Leben davonkommen«, gestand er und schüttelte sich angesichts der vielfältigen Gefahren, die sie im Reich des Scheichs erlebt hatten. Und doch gehörten diese Erinnerungen zu den schönsten seines Lebens, die er nicht mehr missen wollte. Noch heute verband die Familie Norden eine innige Freundschaft mit Scheich Ahmed, seiner wunderschönen Frau und seinem Sohn Hasher. »Schade, dass du nicht dabei sein konntest«, sagte er versonnen zu seinem Sohn.
»Irgendeiner musste ja deine Arbeit machen, während du dich in der Weltgeschichte rumgetrieben hast«, bemerkte Danny schelmisch grinsend. »Mal abgesehen davon, dass ich Tatjana niemals kennengelernt hätte, wenn ich dich nicht in der Praxis vertreten hätte.« Dieser Gedanke war so schrecklich, dass Danny trotz der angenehmen Wärme in der Praxis erschauerte.
Zu gern hätte Dr. Norden dieses Gespräch noch fortgeführt. Doch die Zeit drängte, und mit einem Blick auf die Uhr stand Dr. Norden auf. Es wurde Zeit, sich an die Arbeit zu machen.
»Schon Kierkegaard wusste, dass man das Leben nur rückwärts verstehen kann. Leben muss man es vorwärts. Also passen Sie auf beim Kartoffelschälen!«, warnte er seine Assistentinnen. »Nicht dass Sie auch noch auf unvermutete Art und Weise in ein Abenteuer schlittern.«
Seine Mitarbeiter taten es ihm gleich. Dabei lachten sie belustigt.
»Solange wir einen begnadeten Diagnostiker wie Sie an unserer Seite haben, kann uns nichts passieren«, gab Wendy unbeschwert zurück und machte sich auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Wenig später betraten die ersten Patienten die Praxis Dr. Norden. Der Tag würde lang und anstrengend werden. Doch die vielen Termine garantierten auch, dass die Zeit wie im Flug vergehen würde.
*
Auch die Klinikchefin Jenny Behnisch hatte alle Hände voll zu tun, bis sie ein schriller Klingelton an die Verabredung mit ihrem Lebensgefährten erinnerte.
»Schon so spät?«, fragte sie sich mit gelindem Entsetzen. Ihr Schreibtisch sah immer noch genauso wüst aus wie zu Beginn des Tages. Doch es nützte nichts. Roman hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er keine