Er sollte es mehr bereuen als jedes andere Wort, das je über seine Lippen gekommen war.
Elèn zog sich leise zurück. Ihr Racheplan stand fest.
*
»Würdest du mir das bitte übersetzen«, fragte Mike nach dem Begrüßungskuß, der ziemlich lasch ausfiel. Maurena war in ihrem Zimmer und gab sich sehr beschäftigt.
Eifrig wühlte sie in ihren Schränken und Schubladen. »Ein Zeitungsartikel?« fragte sie und schaute nur flüchtig über die Schulter.
»Ja. Es geht um Emelys Mutter. Ich habe sie auf diesem Zeitungsfoto gleich wiedererkannt. Sogar das Kind hat bestätigt, daß es sich um die Mami handelt. Offensichtlich hat man sie gefunden, aber das Kinderheim weiß noch nichts davon. Ich kann diese spanischen Ausdrucke nicht deuten. Bitte, Maurena…« Mike war richtig aufgeregt. Endlich konnte er beweisen, daß er nicht der Vater der kleinen Emely war. Maurena mußte ihm glauben und auch die Polizei.
»Ist das denn so wichtig? Du siehst doch, daß ich keine Zeit habe«, antwortete Maurena ungeduldig. »Ich habe etwas Besseres vor.« Das klang wieder mal so überheblich, wie Maurena Leuten gegenüber war, die sie als minderwertig einschätzte.
»Das dauert doch nur ein paar Minuten.« Wieder einmal war Mike enttäuscht. »Ich dachte, es könnte auch für dich wichtig sein.«
»Ph, mich interessiert das gar nicht.«
»Das verstehe ich nicht. Gestern wolltest du unsere Verbindung
lösen, weil der Verdacht aufkam, ich hätte irgendwann ein Verhältnis mit dieser Frau gehabt. Jetzt kann ich meine Unschuld beweisen, und…« Ratlos sah Mike die Frau an, die er demnächst heiraten wollte.
»Gib her«, brummte Maurena barsch. »Du brauchst das alles gar nicht verstehen, gib dir keine Mühe.« Sie überflog mit raschem Blick die Überschrift und lachte schadenfroh. »Ins Gefängnis geht sie, und das für viele Jahre, deine saubere Flughafenbekanntschaft. Das Kind hast du am Hals! Gratuliere.«
»Ins Gefängnis?« wiederholte Mike verwirrt. »Aber wieso? Weil sie Emely ausgesetzt hat?«
»Quatsch. Sie hat einen groß angelegten Immobilienbetrug begangen. Die Anleger wurden um Milliarden geprellt. Das Gericht hat sie zu sechzehn Jahren verurteilt, steht hier. Sie wurde in die Haftanstalt von Sevilla überführt.«
Mike schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, daß diese Frau andere betrogen hat. Ich habe sie nur kurz gesehen, eine Betrügerin sieht anders aus.«
»Wie du meinst«, bemerkte Maurena gelangweilt.
»Es geht mich ja nichts an, aber sie ist Emelys Mutter, und deshalb möchte ich mehr darüber erfahren. Ob ich sie mal im Gefängnis besuche?«
Maurena zog die schmalen Augenbrauen hoch, wie stets, wenn sie eine neue Idee hatte, was allerdings nicht allzu oft vorkam. »Das finde ich anständig von dir. Fahr doch gleich morgen nach Sevilla. Morgen kümmert sich doch dieses Reisemädchen um das Kind, da hast du Zeit.«
»Stimmt. Und du hättest nichts dagegen?«
»Warum sollte ich?« Maurena hatte ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Sie stopfte Seidenwäsche, Parfüm und Schmuck in ein kleines Köfferchen.
Irritiert sah Mike ihr zu. »Packst du schon für unsere Flitterwochen?«
»Man kann nie früh genug damit anfangen, dann wird auch nichts vergessen.« Maurena kicherte als habe sie einen guten Witz gemacht.
Für Mike war das alles weniger lustig. Er fühlte sich verhöhnt, und das war ja auch Maurenas Absicht. »Was soll das alles, Maurena?«
»Das wirst du morgen erfahren«, verriet sie geheimnisvoll.
»Ich möchte aber schon heute mit dir darüber reden. Es hat sich etwas zwischen uns verändert.«
»Ganz stumpfsinnig bist du nicht. Vielleicht habe ich es gar nicht mehr nötig, von dir geheiratet zu werden.«
»Was willst du damit sagen?« Mike bekam eine Gänsehaut. Er verabscheute nichts mehr als unklare Verhältnisse.
»Daß mich auch andere Männer nett finden.«
»Daran zweifle ich nicht. Aber ist das ein Gespräch, das man kurz vor der Hochzeit führt? Wenn das Aufgebot bestellt ist und die Feierlichkeiten geplant sind, sollte man sich entschieden haben.« Es sollte nicht belehrend klingen, aber es kam so an.
»Auf deine spießigen Ratschläge kann ich verzichten!« zischte sie, ohne sich nach Mike umzusehen. Wütend warf sie einige Kleidungsstücke in den Schrank zurück. »Du hast ja keine Ahnung, was es heißt, frei zu sein und auf so dümmliche Klischeevorstellungen zu verzichten.«
»Wer oder was hat dich so verändert?«
»Erfährst du alles morgen. Und jetzt laß mich in Ruhe. Ich habe noch zu tun.«
Mike griff nach der Zeitung und ging ohne weitere Erwiderung. Er war gekränkt, aber nicht so traurig wie die schadenfrohe Maurena glaubte.
*
»Mike Cramer?« murmelte die Frau im schlichten grauen Sträflingskleid überrascht, als sie in Begleitung einer Wärterin in den Besuchsraum kam.
»Sie kennen mich?«
»Ich habe Ihnen doch meine kleine Emely anvertraut. Wie geht es ihr? Ich denke soviel an sie. Wo ist sie?« Tränen schwangen in der mehr flüsternden Stimme mit. Rasch kam die Frau näher und blieb dicht vor Mike stehen. Sie schaute flehend zu ihm auf. »Es geht ihm doch gut, meinem kleinen Mädchen? O Gott, es war so furchtbar, Emely wegzugeben. Ich wollte nicht, daß sie in ein staatliches Kinderheim kommt. Da habe ich der Beamtin gesagt, daß ich das Kind zu Verwandten nach Deutschland gegeben habe. Sie sind doch gut zu meiner Kleinen, Herr Cramer? Sie sind reich, und Sie sind zuverlässig, dachte ich, als ich Ihr Bild in der Zeitung sah. Bei Ihnen wird Emely glücklich aufwachsen.« Die Frau sprach so schnell, daß Mike keine Chance zu einer Erwiderung blieb.
Das Zusammentreffen berührte ihn peinlich, um so mehr, als die Bewacherin bei der Tür stehenblieb und jede Bewegung argwöhnisch beobachtete. Vermutlich verstand sie die Unterhaltung nicht und überlegte sicher längst, ob Mike nicht Anna Sirankowskis Komplice war.
»Ich kann mich leider nicht so um Emely kümmern, wie Sie sich das vorgestellt haben«, murmelte Mike ein bißchen beschämt.
»Aber Maurena de Derceville, Ihre künftige Frau, wird doch sicher…« Annas Hände spannten sich hart um die Lehne eines Stuhls. Es war nicht nur die Nervosität, die sie so handeln ließ, sondern auch die Schwäche in ihren Beinen, die das Abstützen nötig machte.
»Setzen wir uns doch«, schlug Mike vor, denn es war zu befürchten, daß sich Anna nicht auf den Beinen halten konnte. Er rückte für sie den Stuhl zurecht und nahm dann ihr gegenüber Platz.
»Meine Frau«, begann er zaghaft, »mag Kinder nicht so sehr. Wir suchen deshalb ein gutes Heim für Emely. Keine Sorge, die Kosten übernehmen wir.«
»Heim«, wiederholte sie trostlos. Die Tränen liefen ihr dabei über die Wangen, denn sie war enttäuscht. Was sie hatte vermeiden wollen, war nun doch eingetreten. »Ich… ich bin selbst in einem Heim aufgewachsen«, erzählte sie stokkend und mit traurig klingender Stimme. »Ich weiß… weiß wie man sich als Kind dort fühlt.« Anna ließ den Kopf hängen. Solange sie im Gefängnis bleiben mußte, würde sie keine Sekunde lang vergessen, was ihr Kind durch sie erleiden mußte. Dabei wollte sie doch so gern, daß Emely unbesorgt und glücklich aufwuchs.
Die Frau tat Mike leid. Tröstend legte er die Hand auf ihren Arm. »Wenn Sie als Mutter Ihre Erlaubnis geben, ist es vielleicht auch möglich, daß ich Emely als Pflegekind mit nach Deutschland nehmen kann. In diesem Fall könnte ich mich intensiv um sie kümmern. Sie wird es gut bei mir haben. Und wenn Sie eines Tages entlassen werden, können Sie das Kind wieder zu sich nehmen.«
Annas bleiche Wangen färbten sich rot. »Ich komme nicht… nicht mehr hier raus. Das fühle ich«, antwortete sie