Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke


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glän­zend, ganz wie ein Kä­fer­flü­gel, nicht weich oder feucht oder be­haart, wie sie bei ei­nem Wir­bel­tier wäre. Den Kamm des Kop­fes ent­lang lief ein Grat weiß­li­cher Sta­cheln, die von hin­ten nach vorn zeig­ten, und ein weit grö­ße­rer Kamm bog sich auf bei­den Sei­ten über den Au­gen. Der Se­le­nit, der mich los­band, nahm sei­nen Mund den Hän­den zur Hil­fe.

      »Sie schei­nen uns zu be­grei­fen«, sag­te Ca­vor. »Be­den­ken Sie, dass wir auf dem Mond sind! Ma­chen Sie kei­ne plötz­li­chen Be­we­gun­gen!«

      »Wol­len Sie es mit der Geo­me­trie ver­su­chen?«

      »Wenn ich eine Ge­le­gen­heit be­kom­me. Aber na­tür­lich ma­chen sie viel­leicht einen ers­ten Schritt.«

      Wir blie­ben pas­siv, und als die Se­le­ni­ten ihre Vor­keh­run­gen be­en­det hat­ten, tra­ten sie von uns zu­rück und schie­nen uns an­zu­se­hen. Ich sage, schie­nen, denn da ihre Au­gen seit­lich stan­den und nicht nach vorn, so hat­te man die glei­che Schwie­rig­keit, wenn man die Rich­tung fest­stel­len woll­te, in der sie blick­ten, auf die man im Fall ei­ner Hen­ne oder ei­nes Fi­sches stößt. Sie spra­chen mit­ein­an­der in ih­ren Flö­ten­tö­nen, die nach­zuah­men oder zu de­fi­nie­ren mir un­mög­lich schi­en. Die Tür hin­ter uns öff­ne­te sich wei­ter, und als ich über die Schul­ter blick­te, sah ich da­hin­ter einen un­be­stimm­ten wei­ten Raum, in dem ein ganz klei­ner Auf­lauf von Se­le­ni­ten stand. Es schi­en ein merk­wür­dig ge­misch­ter Hau­fe zu sein.

      »Wol­len sie, wir sol­len die­se Töne nach­ah­men?«, frag­te ich Ca­vor.

      »Ich glau­be nicht«, sag­te er.

      »Mir scheint, sie ver­su­chen, uns et­was ver­ständ­lich zu ma­chen.«

      »Ich kann aus ih­ren Ges­ten nicht klug wer­den. Se­hen Sie die­sen da, der wie ein Mensch in ’nem un­be­que­men Kra­gen mit dem Kopf würgt?«

      »Las­sen Sie uns doch den Kopf ge­gen ihn schüt­teln.«

      Wir ta­ten das, und da wir es als wir­kungs­los er­fan­den, ver­such­ten wir eine Nach­ah­mung der Be­we­gun­gen der Se­le­ni­ten. Auf je­den Fall be­gan­nen sie alle mit der­sel­ben Be­we­gung. Da das aber zu nichts zu füh­ren schi­en, hör­ten wir schließ­lich auf, und auch sie ta­ten das und be­gan­nen un­ter sich eine pfei­fen­de De­bat­te. Dann kau­er­te sich plötz­lich ei­ner von ih­nen, der kür­zer und sehr viel di­cker war als die an­de­ren und einen be­son­ders wei­ten Mund hat­te, ne­ben Ca­vor nie­der und leg­te Hän­de und Füße in die­sel­be Hal­tung, wie Ca­vors ge­bun­den wa­ren, und stand dann mit ei­ner ge­schick­ten Be­we­gung auf.

      »Ca­vor«, rief ich, »sie wol­len, wir sol­len auf­stehn!«

      Er starr­te mich mit of­fe­nem Mun­de an. »Na­tür­lich!«, sag­te er.

      Und mit vie­lem Win­den und Grun­zen – denn un­se­re Hän­de wa­ren zu­sam­men­ge­bun­den – ge­lang es uns, uns auf die Füße zu ar­bei­ten. Die Se­le­ni­ten mach­ten für un­se­re ele­fan­ten­mä­ßi­gen Be­we­gun­gen Platz und schie­nen noch be­red­ter zu zwit­schern. So­bald wir auf den Fü­ßen stan­den, kam der un­ter­setz­te Se­le­nit, be­fühl­te un­se­re Ge­sich­ter mit sei­nen Tas­tern und ging auf die of­fe­ne Tür zu. Auch das war deut­lich ge­nug, und wir folg­ten ihm. Wir sa­hen, dass vier von den Se­le­ni­ten, die in der Tür stan­den, viel grö­ßer wa­ren als die an­de­ren, und eben­so ge­klei­det wie die, die wir im Kra­ter be­ob­ach­tet hat­ten, näm­lich mit run­den, spit­zi­gen Hel­men und zy­lin­dri­schen Lei­bes­hül­len, und dass je­der der vier einen Treib­stock mit Sta­chel und Schutz­griff trug, der aus dem­sel­ben stumpfaus­se­hen­den Me­tall be­stand wie die Schüs­seln. Die­se vier nah­men uns zwi­schen sich, je zwei zu bei­den Sei­ten von uns, als wir aus un­serm Rau­me in die Höh­le auf­tauch­ten, aus der das Licht ge­kom­men war.

      Un­se­ren Ein­druck von die­ser Höh­le er­hiel­ten wir nicht so­fort. Un­se­re Auf­merk­sam­keit war von den Be­we­gun­gen und Hal­tun­gen der Se­le­ni­ten in An­spruch ge­nom­men, die uns un­mit­tel­bar um­ga­ben, und von dem Zwan­ge, un­se­re Be­we­gung zu be­herr­schen, da­mit wir sie nicht durch über­mä­ßi­ge Schrit­te er­schreck­ten und ängs­tig­ten. Vor uns ging das kur­ze, un­ter­setz­te We­sen, das das Pro­blem ge­löst hat­te, uns zum Auf­stehn zu be­we­gen, und er be­weg­te sich mit Ges­ten, die uns fast alle ver­ständ­lich er­schie­nen und uns auf­for­der­ten, ihm zu fol­gen. Sein schna­bel­ar­ti­ges Ge­sicht wand­te sich mit ei­ner Ge­schwin­dig­keit vom einen von uns zum an­de­ren, die of­fen­bar fra­gend war. Eine Zeit lang, sage ich, wa­ren wir von die­sen Din­gen in An­spruch ge­nom­men.

      Aber schließ­lich mach­te sich der große Raum, der den Hin­ter­grund zu un­sern Be­we­gun­gen ab­gab, gel­tend. Es stell­te sich her­aus, dass die Quel­le we­nigs­tens ei­nes großen Teils des Tu­mults von Tö­nen, der un­se­re Ohren er­füllt hat­te, seit wir uns von der Er­star­rung durch den Pilz er­holt hat­ten, eine rie­si­ge Mas­se von Ma­schi­ne­rie in Be­we­gung war, de­ren flie­gen­de und wir­beln­de Tei­le un­deut­lich über den Köp­fen und zwi­schen den Kör­pern der Se­le­ni­ten hin­durch zu se­hen wa­ren, die um uns gin­gen. Und nicht nur das Ge­we­be von Tö­nen, das die Luft er­füll­te, rühr­te von die­sem Mecha­nis­mus her, son­dern auch das ei­gen­tüm­li­che blaue Licht, das den gan­zen Raum durch­strahl­te. Wir hat­ten es als et­was Na­tür­li­ches hin­ge­nom­men, dass eine un­ter­ir­di­sche Höh­le künst­lich be­leuch­tet war, und noch jetzt, wo mir doch die Tat­sa­che of­fen vor Au­gen lag, er­fass­te ich ihre Be­deu­tung nicht völ­lig, bis als­bald das Dun­kel kam. Den Sinn und den Bau die­ses rie­si­gen Ap­pa­rats, den wir sa­hen, kann ich nicht er­klä­ren, weil wir bei­de nicht er­fuh­ren, wozu er da war und wie er ar­bei­te­te. Ei­ner nach dem an­de­ren flo­gen di­cke me­tal­le­ne Schaf­te von sei­nem Zen­trum aus und em­por, de­ren Köp­fe eine Kur­ve be­schrie­ben, die mir pa­ra­bo­lisch zu sein schi­en, und je­der warf ein Art bau­meln­des Ar­mes aus, wenn er zu sei­nem Hö­he­punkt auf­stieg und in einen ver­ti­ka­len Zy­lin­der nie­der­tauch­te, den er da­mit ab­wärts zwang. Da­rum be­weg­ten sich die Ge­stal­ten von Wäch­tern, klei­ne Fi­gu­ren, die ir­gend­wie an­ders er­schie­nen als die We­sen um uns. Wenn ei­ner der drei bau­meln­den Arme der Ma­schi­ne nie­der­tauch­te, gab es ein Ge­klirr und dann ein Brül­len, und aus dem ver­ti­ka­len Zy­lin­der floss oben die­ser leuch­ten­de Stoff über, der den Raum er­hell­te; er lief über, wie Milch in ei­nem ko­chen­den Topf über­läuft, und tröp­fel­te un­ten leuch­tend in einen Licht­kes­sel. Es war ein kal­tes blau­es Licht, eine Art phos­pho­res­zie­ren­den Scheins, nur un­end­lich viel hel­ler, und aus den Kes­seln, in die es fiel, lief es in Lei­tun­gen quer durch die Höh­le.

      Bum, bum, bum, bum, bum mach­ten die flie­gen­den Arme die­ses un­ver­ständ­li­chen Ap­pa­rats, und die Licht-Sub­stanz zisch­te und floss. An­fangs schi­en uns das Ding nur ziem­lich groß und uns nahe, und dann sah ich, wie au­ßer­or­dent­lich klein die Se­le­ni­ten dar­auf er­schie­nen, und mir wur­de die gan­ze Rie­sen­haf­tig­keit von Höh­le und Ma­schi­ne klar. Ich blick­te nach die­ser rie­si­gen Af­fä­re mit neu­em Re­spekt auf die Ge­sich­ter der Se­le­ni­ten. Ich stand still, und Ca­vor stand still und starr­te die­se ko­los­sa­le Ma­schi­ne an.

      »Aber das ist un­heim­lich!«, sag­te ich. »Wozu kann das sein?«

      Ca­vors blau­be­leuch­te­tes Ge­sicht war voll von in­tel­li­gen­tem Re­spekt. »Ich kann nicht träu­men! Die­se