des Mittelpunktes der Stadt, bevor sie sich auf die gegenüberliegende Seite des Weges durchgekämpft hatten. Der Lärm, die Verwirrung waren unbeschreiblich. Aber in der Stadt und hinter ihr verzweigte sich die Straße zu wiederholten Malen und lichtete so in einem beschränkten Maße den Andrang der Menge.
Sie wandten sich nun östlich durch Hadley und dort stießen sie auf beiden Seiten der Straße, und auch später, auf eine beträchtliche Menge von Leuten, die aus dem Fluss tranken; manche mussten geradezu kämpfen, um zum Wasser zu gelangen. Etwas weiter bemerkten sie von einer Anhöhe in der Nähe von Ost-Barnet zwei Eisenbahnzüge, die langsam einer hinter dem anderen ohne Signal, ohne Aufsicht dahinfuhren. Die Züge wimmelten von Leuten, selbst zwischen den Kohlen hinter der Maschine kauerten Menschen, die aus der großen Nordlinie zu entkommen trachteten. Mein Bruder vermutete, dass diese Züge sich erst außerhalb Londons mit Flüchtlingen gefüllt haben mussten, denn zu jener Zeit hatte der wütende Ansturm der Leute die Benützung der hauptstädtischen Bahnhöfe unmöglich gemacht.
In der Nähe von Hadley machte die Gesellschaft meines Bruders für den Nachmittag Halt; denn die Schrecken des Tages hatten alle drei fast völlig erschöpft. Schon regten sich in ihnen die ersten Anzeichen des Hungers, die Nacht war kalt, und keiner von ihnen wagte, zu schlafen. Am Abend eilten viele Leute die Straße entlang an ihrem Rastplatz vorbei, vor ungekannten Gefahren fliehend, die in Wahrheit noch vor ihnen lagen. Denn sie eilten nach der Richtung, von der mein Bruder gekommen war.
1 Zweirädrige, einspännige Mietwagen, deren Kutschbock hinter dem eigentlichen Wagen angebracht ist. Die übliche englische nach ihrem Erfinder benannte Mietwagentype. <<<
2 Die gewöhnliche englische Goldmünze im Werte von einem Pfund Sterling = K 24 <<<
XVII. Der »Thunder-Child«1
Hätten die Marsleute es nur auf blinde Zerstörung abgesehen gehabt, so hätten sie am Montag die gesamte Bevölkerung Londons vernichten können, wie sie sich langsam über die nächsten Grafschaften hin ausbreitete. Nicht nur längs der Straße durch Barnet, sondern auch durch Edgware und Waltham Abbey, und die ostwärts laufenden Straßen entlang nach Southend und Shoeburyness, und südlich von der Themse nach Deal und Broadstairs, ergoss sich derselbe tobende Haufen. Wenn einer an jenem Junimorgen in einem Ballon in dem strahlenden Blau über London geschwebt wäre, dann hätte er jede Straße, die aus dem unendlichen Straßenknäuel nach Norden oder Osten führte, von den dahinströmenden Flüchtlingen schwarz übersät erblickt, jeder Punkt eine menschliche Agonie von Schrecken und körperlichem Elend. Ich habe im vorigen Abschnitt die Beschreibung, die mein Bruder von der Straße durch Chipping-Barnet machte, ausführlich wiedergegeben, um meinen Lesern eine Vorstellung davon zu ermöglichen, wie jenes Gewimmel schwarzer Punkte einem unmittelbar daran Beteiligten erschien. Nie noch in der Geschichte der Welt hatte sich eine solche Masse menschlicher Wesen in Bewegung gesetzt, nie noch so gemeinsam dieselben Leiden ertragen. Die sagenhaften Scharen von Goten und Hunnen, die riesigsten Heere, die Asien je erblickt hatte, was wären sie anderes gewesen, als Wellen dieses Stromes. Und das war kein durch Manneszucht geleiteter Marsch; es war ein zuchtloses Vorwärtsdrängen, riesenhaft und schreckensvoll, ohne Ordnung, ohne Ziel, sechs Millionen Menschen, die unbewaffnet und ohne Lebensmittel, blindlings weitertrieben. Es war der Anfang einer Ausrottung der Gesittung, ein Niedermetzeln des Menschengeschlechtes.
Gerade unter sich hätte der Luftschiffer ein weithin gesponnenes Netzwerk von Straßen gesehen, von Häusern, Kirchen, Plätzen, Gassen, Gärten, die, schon verödet, sich ausdehnten, wie eine ungeheure Landkarte, die im Süden verwischt und zerstört war. Es sah aus, als ob eine Riesenfeder über Ealing, Richmond und Wimbledon Tinte über die Karte gespritzt hätte. Stetig und unaufhaltsam wuchs jeder dieser Flecken; er breitete sich aus, sandte Abzweigungen hierhin und dorthin, staute sich gegen Erhebungen des Bodens, ergoss sich dann wieder über abschüssiges Erdreich in neuentdeckte Täler, genau so, wie ein Strom von Tinte sich über Löschpapier verteilt.
Und drüben, bei den blauen Hügeln, die sich üblich vom Fluss erheben, eilten die glitzernden Marsleute hin und her, und versendeten bedächtig und glanzvoll einmal über diesen, dann über jenen Landstrich ihre Giftwolken, die sie, sobald sie ihren Zweck erfüllt hatten, wieder mit ihren Dampfstrahlen erstickten. So ergriffen sie Besitz von dem besiegten Land. Ihr Vorhaben schien nicht so sehr auf Ausrottung abzuzielen, wie auf völlige Unterjochung und Niederwerfen jedes Widerstandes. Sie sprengten jede Pulveransammlung, auf die sie stießen, in die Luft, schnitten jede Telegrafenlinie ab und zerstörten, wo sie konnten, jede Eisenbahn. Sie schnitten die Sehnen der Menschheit durch. Sie schienen keine besondere Eile zu haben, ihr Arbeitsfeld auszudehnen, und gelangten an diesem Tag nicht über den Mittelpunkt von London hinaus. Es ist sehr möglich, dass eine beträchtliche Anzahl Leute in London am Montagmorgen in ihren Häusern blieb. Dass viele, vom schwarzen Rauch erstickt, zu Hause starben, ist gewiss.
Um die Mittagsstunde stellte die Werft von London ein erstaunliches Schauspiel dar. Dampfboote und Schiffe aller Art, deren Eigentümer von den ungeheuren Geldsummen, welche die Flüchtlinge anboten, versucht wurden, lagen in Bereitschaft; viele Menschen, welche an diese Fahrzeuge heranschwammen, sollen mit Bootshaken zurückgestoßen und ertränkt worden sein. Um ein Uhr nachmittags etwa wurde ein dünnes Überbleibsel einer Wolke des schwarzen Qualmes zwischen den Bögen der Blackfriars Bridge gesehen. Und nun wurde die Werft der Schauplatz einer wahnsinnigen Verwirrung, heißer Kämpfe und Zusammenstöße; eine Zeit lang war eine Menge von Booten und Barken im nördlichen Bogen der Towerbrücke eingeklemmt; Seeleute und Löscharbeiter mussten wie Wilde gegen die Menge ankämpfen, die in hellen Haufen vom Ufer her andrängte. Die Leute kletterten tatsächlich die Brückenpfeiler hinab.
Als eine Stunde später ein Marsmann jenseits des Uhrenturms des Parlamentshauses2 auftauchte und den Fluss hinabwatete, trieben nur Schiffstrümmer am Limehouse vorüber.
Über den Niedergang des fünften Zylinders werde ich später berichten. Der Sechste ging bei Wimbledon nieder. Mein Bruder hielt neben den im Wagen schlafenden Frauen auf einer Wiese Wache und sah seinen grünen Blitz weit drüben jenseits