Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke


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war sehr steif und wund ge­wor­den, die Füße schmerz­ten mich und ich hin­k­te in­fol­ge ei­nes klei­nen Schnit­tes am Fuße. Zur rech­ten Zeit sah ich einen Blin­den her­an­kom­men und floh mit Mühe, weil ich sei­nen fei­nen Spür­sinn fürch­te­te. Hie und da er­eig­ne­ten sich zu­fäl­li­ge Zu­sam­men­stö­ße, und die Leu­te blie­ben ver­wun­dert ste­hen, als ih­nen Flü­che, de­ren Ur­sprung sie nicht er­grün­den konn­ten, in die Ohren klan­gen. Dann fiel et­was still und ru­hig auf mein Ge­sicht; es wa­ren fei­ne Schnee­flo­cken, die lang­sam die Erde be­deck­ten. Ich hat­te mich er­käl­tet, und so sehr ich mich be­herrsch­te, ich muss­te von Zeit zu Zeit nie­sen. Und je­der Hund, der in mei­ne Nähe kam, gab mir An­lass zu neu­em Schre­cken.

      Dann eil­ten Män­ner und Kna­ben vor­bei und rie­fen laut, wäh­rend sie vor­über­has­te­ten. Es brann­te. Sie lie­fen in die Rich­tung mei­ner Woh­nung und ich sah eine schwar­ze Rauch­säu­le über die Dä­cher und Te­le­fon­dräh­te em­por­stei­gen. Ich war über­zeugt, dass in mei­ner Woh­nung das Feu­er aus­ge­bro­chen war. Mei­ne Klei­der, mei­ne Ap­pa­ra­te und Hilfs­mit­tel, kurz mei­ne Habe bis auf das Scheck­buch und die drei Ta­ge­bü­cher, wel­che mich auf dem Post­amt er­war­te­ten, wa­ren dort. Es brann­te! Wenn je ein Mensch, so hat­te ich mei­ne Schif­fe hin­ter mir ver­brannt. Das Haus stand in Flam­men.«

      Der Un­sicht­ba­re hielt ein und blieb in Ge­dan­ken ver­sun­ken. Kemp warf einen ner­vö­sen Blick durch das Fens­ter. »Ja«, sag­te er, »fah­ren Sie fort.«

      22. Kapitel – Im Warenhaus

      So be­gann ich im Ja­nu­ar die­ses Jah­res, eben als ein Schnee­sturm los­zu­bre­chen droh­te – und wenn sich der Schnee auf mir fest­setz­te, muss­te er mich ver­ra­ten! – er­käl­tet, müde, mit Schmer­zen, un­sag­bar elend und noch im­mer erst halb von mei­ner Un­sicht­bar­keit über­zeugt, die­ses neue Le­ben, zu wel­chem ich ver­dammt bin. Ich hat­te kei­ne Zuf­lucht, kei­ne Hil­fe, kein mensch­li­ches We­sen auf der gan­zen Welt, wel­chem ich ver­trau­en konn­te. Hät­te ich mein Ge­heim­nis ver­ra­ten, hät­te ich mich selbst zu­grun­de ge­rich­tet – wäre zu ei­ner blo­ßen Se­hens­wür­dig­keit, ei­nem Na­tur­wun­der her­ab­ge­sun­ken. Nichts­de­sto­we­ni­ger war ich un­schlüs­sig, ob ich nicht den ers­ten bes­ten Vor­über­ge­hen­den an­spre­chen und mich sei­ner Barm­her­zig­keit an­ver­trau­en soll­te. Aber ich kann­te nur zu gut den Schre­cken, den mein Ge­ständ­nis her­vor­ru­fen wür­de. Auf der Stra­ße fass­te ich kei­nen Plan. Mein ein­zi­ger Ge­dan­ke war, vor dem Schnee Schutz zu fin­den, mir Klei­der zu ver­schaf­fen und mich zu er­wär­men; dann konn­te ich dar­an den­ken, Plä­ne zu ma­chen. Aber die Häu­ser in Lon­don wa­ren alle ver­schlos­sen und ver­rie­gelt und selbst für mich Un­sicht­ba­ren un­zu­gäng­lich.

      Da kam ich auf einen glän­zen­den Ge­dan­ken. Ich kehr­te um und ging durch die Gower Street bis zum Om­ni­um, dem großen Wa­ren­haus, in dem man al­les kau­fen kann – Sie ken­nen es wohl: Fleisch, Grün­zeug, Wä­sche, Mö­bel, Klei­der, selbst Öl­ge­mäl­de. Ich hat­te ge­hofft, die Tü­ren of­fen zu fin­den, aber sie wa­ren ge­schlos­sen. Als ich in der großen Ein­fahrt stand, hielt ein Wa­gen drau­ßen und ein Mann in Uni­form – Sie ken­nen die Leu­te mit ›Om­ni­um‹ auf den Müt­zen – riss die Tür auf. Es ge­lang mir, hin­ein­zu­kom­men; ich ging durch das Ma­ga­zin durch – es war die Ab­tei­lung, in der man Bän­der, Hand­schu­he, St­rümp­fe und der­glei­chen ver­kauft – und ge­lang­te in eine noch ge­räu­mi­ge­re Re­gi­on, wo alle er­denk­li­chen Korb­wa­ren auf­ge­stellt wa­ren.

      Aber auch dort fühl­te ich mich nicht si­cher, denn fort­wäh­rend ka­men und gin­gen Men­schen, und ich wan­der­te ru­he­los um­her, bis ich zu ei­ner rie­si­gen Ab­tei­lung in ei­nem obe­ren Stock­werk ge­lang­te, wel­che un­ge­heu­re Men­gen von Bett­stel­len ent­hielt. Ich klet­ter­te über die­se hin­über und fand end­lich einen Ru­he­platz zwi­schen auf­ge­häuf­ten Ma­trat­zen. Der Raum war schön be­leuch­tet und be­hag­lich warm, und ich be­schloss, hier ver­steckt zu blei­ben und ein wach­sa­mes Auge auf das hal­be Dut­zend Ver­käu­fer und die paar Kun­den zu ha­ben, bis die Zeit zum Schlie­ßen kom­men wür­de. Dann wür­de es mir mög­lich sein, dach­te ich, mich dort nach Nah­rung, Klei­dung und ei­ner Mas­ke um­zu­se­hen, das Haus zu durch­su­chen und viel­leicht auf dem Bett­zeu­ge dort zu schla­fen. Der Plan schi­en mir an­nehm­bar. Mei­ne Ab­sicht war, mir Klei­der zu ver­schaf­fen, mich in nicht zu auf­fäl­li­ger Wei­se zu ver­mum­men, Geld zu neh­men, mei­ne Bü­cher und Pa­ke­te ab­zu­ho­len, dann ir­gend­wo eine Woh­nung zu mie­ten und einen Plan zur voll­stän­di­gen Aus­nut­zung der Vor­tei­le, wel­che mir, wie ich noch im­mer dach­te, mei­ne Un­sicht­bar­keit über mei­ne Mit­menschen gab, aus­zu­ar­bei­ten.

      Die Sperr­stun­de kam schnell ge­nug her­an. Ich kann nicht mehr als eine Stun­de auf den Ma­trat­zen ge­le­gen sein, als die Fens­ter­la­den ge­schlos­sen und die Kun­den hin­aus­ge­lei­tet wur­den. Und dann be­gann eine An­zahl jun­ger Leu­te mit an­er­ken­nens­wer­ter Schnel­lig­keit die in Un­ord­nung ge­brach­ten Wa­ren zu­recht­zu­le­gen. So­wie sich das Wa­ren­haus leer­te, ver­ließ ich mein Ver­steck und stieg vor­sich­tig in die we­ni­ger öden Ab­tei­lun­gen im un­te­ren Stock­werk hin­ab. Ich war wirk­lich über­rascht, zu se­hen, wie schnell die jun­gen Leu­te die Wa­ren ein­räum­ten, die Stüh­le auf die La­den­ti­sche stell­ten und sich mit ei­nem Aus­druck von Leb­haf­tig­keit, wie ich ihn noch sel­ten an Ver­käu­fern ge­se­hen hat­te, den Tü­ren zu­wand­ten. Dann kam eine gan­ze Men­ge Lehr­jun­gen mit Be­sen und Staub­we­deln, um rein zu ma­chen, und end­lich, eine gute Stun­de, nach­dem das Eta­blis­se­ment ge­schlos­sen wor­den war, hör­te ich die Rie­gel vor­schie­ben. Stil­le la­ger­te sich über den Ort, und ich wan­der­te durch die wei­ten Ma­ga­zi­ne, Ga­le­ri­en, Ver­kaufs­räu­me – ein­sam und al­lein.

      Mein ers­ter Gang galt dem Ort, an dem man St­rümp­fe und Hand­schu­he zum Ver­kauf aus­ge­bo­ten hat­te. Es war dun­kel und ich such­te müh­sam nach Zünd­hölz­chen; end­lich fand ich wel­che in ei­ner Schub­la­de des Kas­sen­pul­tes. Dann muss­te ich mir eine Ker­ze su­chen. Ich war ge­zwun­gen, die Hül­len her­un­ter­zu­rei­ßen und eine Men­ge Schub­la­den in Un­ord­nung zu brin­gen; aber end­lich ge­lang es mir zu fin­den, was ich such­te. Die Auf­schrift auf dem Kas­ten, aus dem ich sie nahm, lau­te­te: ›Woll­ja­cken und Woll­wes­ten‹. Dann nahm ich So­cken, ein dickes Hals­tuch und aus der Klei­der­ab­tei­lung Bein­klei­der, eine lan­ge Ja­cke, einen Über­rock und einen breit­ran­di­gen Hut mit ab­wärts ge­bo­ge­ner Krem­pe. Ich be­gann mich wie­der als Mensch zu füh­len, und mein nächs­ter Ge­dan­ke war auf Spei­se und Trank ge­rich­tet.

      Oben war eine Ab­tei­lung für Er­fri­schun­gen, und dort fand ich kal­tes Fleisch. In ei­ner Kan­ne war noch Kaf­fee; ich zün­de­te das Gas an und wärm­te ihn wie­der, und al­les in al­lem ging es mir nicht schlecht. Nach­her, als ich den Ort nach Bet­tü­chern durch­such­te – ich muss­te mich schließ­lich mit Dau­nen­kis­sen be­gnü­gen – stieß ich auf eine große Men­ge von Scho­ko­la­de, ver­zu­cker­ten Früch­ten – mehr als gut für mich war – und et­was wei­ßen Bur­gun­der. In der Nähe war ein Spiel­wa­ren­la­ger, und ich kam auf einen glän­zen­den Ge­dan­ken. Ich fand dort künst­li­che Na­sen – für Fa­schings­mas­ke­ra­den – und mach­te mich auf die Su­che nach ei­ner dunklen Bril­le. Aber das Om­ni­um hat­te kei­ne op­ti­sche Ab­tei­lung. Mei­ne Nase hat­te mir wirk­lich Sor­gen ge­macht. Ich hat­te ur­sprüng­lich an Schmin­ke ge­dacht.