war sehr steif und wund geworden, die Füße schmerzten mich und ich hinkte infolge eines kleinen Schnittes am Fuße. Zur rechten Zeit sah ich einen Blinden herankommen und floh mit Mühe, weil ich seinen feinen Spürsinn fürchtete. Hie und da ereigneten sich zufällige Zusammenstöße, und die Leute blieben verwundert stehen, als ihnen Flüche, deren Ursprung sie nicht ergründen konnten, in die Ohren klangen. Dann fiel etwas still und ruhig auf mein Gesicht; es waren feine Schneeflocken, die langsam die Erde bedeckten. Ich hatte mich erkältet, und so sehr ich mich beherrschte, ich musste von Zeit zu Zeit niesen. Und jeder Hund, der in meine Nähe kam, gab mir Anlass zu neuem Schrecken.
Dann eilten Männer und Knaben vorbei und riefen laut, während sie vorüberhasteten. Es brannte. Sie liefen in die Richtung meiner Wohnung und ich sah eine schwarze Rauchsäule über die Dächer und Telefondrähte emporsteigen. Ich war überzeugt, dass in meiner Wohnung das Feuer ausgebrochen war. Meine Kleider, meine Apparate und Hilfsmittel, kurz meine Habe bis auf das Scheckbuch und die drei Tagebücher, welche mich auf dem Postamt erwarteten, waren dort. Es brannte! Wenn je ein Mensch, so hatte ich meine Schiffe hinter mir verbrannt. Das Haus stand in Flammen.«
Der Unsichtbare hielt ein und blieb in Gedanken versunken. Kemp warf einen nervösen Blick durch das Fenster. »Ja«, sagte er, »fahren Sie fort.«
22. Kapitel – Im Warenhaus
So begann ich im Januar dieses Jahres, eben als ein Schneesturm loszubrechen drohte – und wenn sich der Schnee auf mir festsetzte, musste er mich verraten! – erkältet, müde, mit Schmerzen, unsagbar elend und noch immer erst halb von meiner Unsichtbarkeit überzeugt, dieses neue Leben, zu welchem ich verdammt bin. Ich hatte keine Zuflucht, keine Hilfe, kein menschliches Wesen auf der ganzen Welt, welchem ich vertrauen konnte. Hätte ich mein Geheimnis verraten, hätte ich mich selbst zugrunde gerichtet – wäre zu einer bloßen Sehenswürdigkeit, einem Naturwunder herabgesunken. Nichtsdestoweniger war ich unschlüssig, ob ich nicht den ersten besten Vorübergehenden ansprechen und mich seiner Barmherzigkeit anvertrauen sollte. Aber ich kannte nur zu gut den Schrecken, den mein Geständnis hervorrufen würde. Auf der Straße fasste ich keinen Plan. Mein einziger Gedanke war, vor dem Schnee Schutz zu finden, mir Kleider zu verschaffen und mich zu erwärmen; dann konnte ich daran denken, Pläne zu machen. Aber die Häuser in London waren alle verschlossen und verriegelt und selbst für mich Unsichtbaren unzugänglich.
Da kam ich auf einen glänzenden Gedanken. Ich kehrte um und ging durch die Gower Street bis zum Omnium, dem großen Warenhaus, in dem man alles kaufen kann – Sie kennen es wohl: Fleisch, Grünzeug, Wäsche, Möbel, Kleider, selbst Ölgemälde. Ich hatte gehofft, die Türen offen zu finden, aber sie waren geschlossen. Als ich in der großen Einfahrt stand, hielt ein Wagen draußen und ein Mann in Uniform – Sie kennen die Leute mit ›Omnium‹ auf den Mützen – riss die Tür auf. Es gelang mir, hineinzukommen; ich ging durch das Magazin durch – es war die Abteilung, in der man Bänder, Handschuhe, Strümpfe und dergleichen verkauft – und gelangte in eine noch geräumigere Region, wo alle erdenklichen Korbwaren aufgestellt waren.
Aber auch dort fühlte ich mich nicht sicher, denn fortwährend kamen und gingen Menschen, und ich wanderte ruhelos umher, bis ich zu einer riesigen Abteilung in einem oberen Stockwerk gelangte, welche ungeheure Mengen von Bettstellen enthielt. Ich kletterte über diese hinüber und fand endlich einen Ruheplatz zwischen aufgehäuften Matratzen. Der Raum war schön beleuchtet und behaglich warm, und ich beschloss, hier versteckt zu bleiben und ein wachsames Auge auf das halbe Dutzend Verkäufer und die paar Kunden zu haben, bis die Zeit zum Schließen kommen würde. Dann würde es mir möglich sein, dachte ich, mich dort nach Nahrung, Kleidung und einer Maske umzusehen, das Haus zu durchsuchen und vielleicht auf dem Bettzeuge dort zu schlafen. Der Plan schien mir annehmbar. Meine Absicht war, mir Kleider zu verschaffen, mich in nicht zu auffälliger Weise zu vermummen, Geld zu nehmen, meine Bücher und Pakete abzuholen, dann irgendwo eine Wohnung zu mieten und einen Plan zur vollständigen Ausnutzung der Vorteile, welche mir, wie ich noch immer dachte, meine Unsichtbarkeit über meine Mitmenschen gab, auszuarbeiten.
Die Sperrstunde kam schnell genug heran. Ich kann nicht mehr als eine Stunde auf den Matratzen gelegen sein, als die Fensterladen geschlossen und die Kunden hinausgeleitet wurden. Und dann begann eine Anzahl junger Leute mit anerkennenswerter Schnelligkeit die in Unordnung gebrachten Waren zurechtzulegen. Sowie sich das Warenhaus leerte, verließ ich mein Versteck und stieg vorsichtig in die weniger öden Abteilungen im unteren Stockwerk hinab. Ich war wirklich überrascht, zu sehen, wie schnell die jungen Leute die Waren einräumten, die Stühle auf die Ladentische stellten und sich mit einem Ausdruck von Lebhaftigkeit, wie ich ihn noch selten an Verkäufern gesehen hatte, den Türen zuwandten. Dann kam eine ganze Menge Lehrjungen mit Besen und Staubwedeln, um rein zu machen, und endlich, eine gute Stunde, nachdem das Etablissement geschlossen worden war, hörte ich die Riegel vorschieben. Stille lagerte sich über den Ort, und ich wanderte durch die weiten Magazine, Galerien, Verkaufsräume – einsam und allein.
Mein erster Gang galt dem Ort, an dem man Strümpfe und Handschuhe zum Verkauf ausgeboten hatte. Es war dunkel und ich suchte mühsam nach Zündhölzchen; endlich fand ich welche in einer Schublade des Kassenpultes. Dann musste ich mir eine Kerze suchen. Ich war gezwungen, die Hüllen herunterzureißen und eine Menge Schubladen in Unordnung zu bringen; aber endlich gelang es mir zu finden, was ich suchte. Die Aufschrift auf dem Kasten, aus dem ich sie nahm, lautete: ›Wolljacken und Wollwesten‹. Dann nahm ich Socken, ein dickes Halstuch und aus der Kleiderabteilung Beinkleider, eine lange Jacke, einen Überrock und einen breitrandigen Hut mit abwärts gebogener Krempe. Ich begann mich wieder als Mensch zu fühlen, und mein nächster Gedanke war auf Speise und Trank gerichtet.
Oben war eine Abteilung für Erfrischungen, und dort fand ich kaltes Fleisch. In einer Kanne war noch Kaffee; ich zündete das Gas an und wärmte ihn wieder, und alles in allem ging es mir nicht schlecht. Nachher, als ich den Ort nach Bettüchern durchsuchte – ich musste mich schließlich mit Daunenkissen begnügen – stieß ich auf eine große Menge von Schokolade, verzuckerten Früchten – mehr als gut für mich war – und etwas weißen Burgunder. In der Nähe war ein Spielwarenlager, und ich kam auf einen glänzenden Gedanken. Ich fand dort künstliche Nasen – für Faschingsmaskeraden – und machte mich auf die Suche nach einer dunklen Brille. Aber das Omnium hatte keine optische Abteilung. Meine Nase hatte mir wirklich Sorgen gemacht. Ich hatte ursprünglich an Schminke gedacht.