sie konnte mir nicht werden. Politik, barmherzige Werke, Sport – sie flößen mir kein Interesse ein. Und dazu war ich ein vermummtes Geheimnis, die Karikatur eines Menschen geworden.«
Er schwieg und schien einen Blick durchs Fenster zu werfen.
»Aber wie kamen Sie nach Iping?«, fragte Kemp, ängstlich bemüht, ein lebhaftes Gespräch in Gang zu halten.
»Dort begann ich zu arbeiten. Ich hatte noch eine Hoffnung, eine unklare Idee. Ich habe sie noch. Jetzt ist sie zur vollen Gewissheit geworden. Ich will zurück! Wieder den alten Zustand herstellen, wann es mir beliebt. Wenn ich alles getan haben werde, was ich unsichtbar tun will. Und darüber möchte ich hauptsächlich mit Ihnen sprechen – –«
»Sie gingen direkt nach Iping?«
»Ja. Ich hatte nichts zu tun, als mein Gepäck und eine Anzahl von Chemikalien kommen zu lassen, um meine Idee auszuführen – ich werde Ihnen die Berechnungen zeigen, sobald ich meine Bücher bekomme – und dann ging ich an die Arbeit. Himmel! Ich erinnere mich noch heute an den Schneesturm, der damals wütete und welche Mühe ich hatte, meine falsche Nase vor der Feuchtigkeit zu schützen –.«
»Zuletzt haben Sie vorgestern«, sagte Kemp, »als man Ihr Geheimnis entdeckte – wie die Zeitungen sagen –«
»Es ist richtig. Habe ich diesen Narren von einem Gendarmen erschlagen?«
»Nein«, antwortete Kemp. »Man hofft, dass er aufkommen wird.«
»Das ist gut für ihn. Ich hatte die Geduld verloren. Die Narren! Warum ließen sie mich nicht in Ruhe? Und der Spezereiwarenhändler?«
»Niemand ist tödlich verwundet«, antwortete Kemp.
»Nur von meinem Landstreicher weiß ich nichts«, sagte der Unsichtbare mit einem unangenehmen Lachen.
»Beim Himmel, Kemp, ein Mann Ihres Schlages weiß nicht, was Wut ist. Jahrelang gearbeitet und geschuftet zu haben, damit irgendein Idiot einem alle Pläne durchkreuzt! – Jeder beliebige Dummkopf auf Gottes Erdboden war förmlich darauf versessen, meine Absichten zunichte zu machen … Wenn mir das noch oft passiert, werde ich wild – dann mögen sie sich hüten!
Wie die Sachen jetzt stehen, haben sie mir alles tausendmal schwerer gemacht.«
24. Kapitel – Der Plan misslingt
Was soll also«, fragte Kemp mit einem Seitenblick durch das Fenster, »jetzt geschehen?«
Er trat näher an seinen Gast heran, um zu verhindern, dass dieser zufällig die drei Männer erblicke, die – unerträglich langsam schien es Kemp – den Hügel heraufkamen.
»Welche Absicht leitete Sie, als Sie nach Port Burdock gingen? Hatten Sie überhaupt einen Plan?«
»Ich wollte das Land verlassen. Aber seitdem ich Sie traf, habe ich meine Absicht geändert. Ich dachte, es wäre klug, jetzt, wo das Wetter heiß und Unsichtbarkeit möglich ist, nach dem Süden zu reisen. Besonders da mein Geheimnis bekannt geworden war, und jeder nach einem maskierten, vermummten Menschen Ausschau halten würde. Von hier nach Frankreich gehen verschiedene Dampfer. Mein Plan war, an Bord eines derselben zu gelangen und die Gefahr der Entdeckung während der Überfahrt zu riskieren. Von dort konnte ich mit der Bahn nach Spanien und von da nach Algier gelangen. Das konnte keine Schwierigkeit bieten. Dort kann man immer unsichtbar sein und doch leben. Und handeln. Ich gebrauchte den Landstreicher als Geldkasse und Gepäckträger, bis ich mich entschieden haben würde, auf welche Weise ich wieder in den Besitz meiner Bücher und Habseligkeiten gelangen könnte.«
»Das ist klar.«
»Und der Elende musste mich berauben! Er hat meine Bücher versteckt, Kemp. Meine Bücher versteckt! Wenn ich ihn erwische! …«
»Erst sollte man versuchen, von ihm die Bücher herauszulocken.«
»Aber wo ist er? Wissen Sie es?«
»Er ist im Stadtgefängnis und auf seine eigene Bitte in die festeste Zelle eingeschlossen worden.«
»Der Hund!«, rief der Unsichtbare aus.
»Aber das verzögert Ihre Pläne.«
»Wir müssen die Bücher wiederbekommen. – Das ist eine Lebensfrage für mich.«
»Gewiss«, sagte Kemp, ein wenig nervös und angestrengt horchend, ob er nicht Schritte draußen vernehme. »Gewiss müssen wir die Bücher haben. Aber das wird nicht schwer sein, wenn er nicht weiß, dass sie für Sie bestimmt sind.«
»Nein«, sagte der Unsichtbare und versank in tiefe Gedanken.
Kemp versuchte einen neuen Stoff zu finden, um das Gespräch aufrechtzuerhalten, aber der Unsichtbare fuhr aus eigenem Antrieb fort.
»Dass ich in Ihr Haus geraten bin, Kemp«, sagte er, »ändert alle meine Pläne. Sie sind ein Mensch, der Verstand besitzt. Trotz allem, was geschehen ist, trotz des Bekanntwerdens meiner Existenz, trotz des Verlustes meiner Bücher, trotz meiner Leiden, bleiben noch reichlich Mittel und Wege – – Sie haben niemand gesagt, dass ich hier bin?«, fragte er unvermittelt.
Kemp zögerte. »Das war doch ausgemacht«, sagte er.
»Niemand?«, fragte Griffin dringender.
»Keiner Seele.«
»Ah! Dann – – –« Der Unsichtbare erhob sich, stemmte die Arme in die Seite und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Als ich versuchte, die Sache allein durchzuführen, war ich von einem Irrtum befangen, Kemp, einem ungeheuren Irrtum. Ich habe Zeit und Kraft verschwendet und die günstigsten Gelegenheiten versäumt, weil ich allein war. Es ist seltsam, wie wenig ein Mensch allein tun kann! Ein wenig rauben, ein wenig verwunden, und das ist auch alles.
Was ich brauche, Kemp, ist ein Helfer und ein Versteck; die Sicherheit, dass ich in Frieden und unverdächtig schlafen, essen und rauchen kann. Ich muss einen Verbündeten haben. Mit einem Verbündeten, mit Nahrung und Ruhe werden tausend Dinge möglich.
Bis hierher bin ich ins Ungewisse vorgegangen. Wir müssen in Betracht ziehen, was Unsichtbarkeit bedeutet, und was sie nicht bedeutet. Sie ist von Nutzen, um ungesehen alles hören zu können, wenn man vorsichtig jedes Geräusch vermeidet. Sie hilft ein wenig – bei Raub, Einbruch und dergleichen. – Hat man mich jedoch einmal, so kann man mich leicht gefangen halten. Aber andererseits bin ich schwer zu fangen. Tatsächlich ist die Unsichtbarkeit nur in zwei Fällen wertvoll: um zu entkommen und um sich zu nähern. Daher ist sie ganz