Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke


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folg­te Kemps gott­lo­sem Bei­spiel und fluch­te gleich­falls.

      »Er wird flie­hen«, mein­te Adye.

      »Das wird er nicht!«, er­wi­der­te Kemp.

      Der Klang von zer­schmet­ter­tem Glas ließ sich eben ver­neh­men. Adye be­merk­te, wie Kemp den klei­nen Re­vol­ver, den er in der Ta­sche trug, halb zum Vor­schein brach­te.

      »Es ist ein Fens­ter oben!«, sag­te letz­te­rer, wäh­rend sie hin­auf­gin­gen. Als sie noch auf der Stie­ge wa­ren, ver­nah­men sie den­sel­ben Klang zum zwei­ten Male. Als sie das Stu­dier­zim­mer er­reich­ten, fan­den sie zwei von den drei Fens­tern zer­schmet­tert, das hal­be Zim­mer mit Glass­plit­tern be­deckt und einen großen Kie­sel­stein auf dem Schreib­tisch. Kemp fluch­te von neu­em. Zu­gleich wur­de das drit­te Fens­ter zer­schmet­tert, und die Stücke flo­gen ins Zim­mer.

      »Was soll das be­deu­ten?«, frag­te Adye.

      »Das ist der An­fang«, mein­te Kemp.

      »Es ist un­mög­lich, hier her­auf­zu­klet­tern!«

      »Kei­ne Kat­ze kommt hier her­auf«, sag­te Kemp.

      »Sind hier kei­ne Fens­ter­lä­den?«

      »Hier nicht. Die Zim­mer un­ten – Hal­lo!«

      Krach! und der Ton von hef­tig ge­gen Holz ge­schleu­der­ten Stei­nen ließ sich ver­neh­men. »Ver­flucht!«, sag­te Kemp, »das muss – ja – es ist im Schlaf­zim­mer. Er will das Spiel im gan­zen Hau­se wie­der­ho­len. Aber er ist ein Narr. Die Lä­den sind ge­schlos­sen und das Glas fällt nach au­ßen. Er wird sich die Füße zer­schnei­den.«

      Ein an­de­res Fens­ter zer­brach. Die bei­den Män­ner stan­den be­trof­fen auf dem Gang.

      »Ich hab’s!«, rief Adye. »Ge­ben Sie mir einen Stock oder et­was Ähn­li­ches; ich gehe zur Po­li­zei­sta­ti­on zu­rück und hole die Blut­hun­de. Das wird ihm das Hand­werk le­gen!«

      Wie­der ging ein Fens­ter klir­rend in Trüm­mer.

      »Ha­ben Sie kei­nen Re­vol­ver?«, frag­te Adye.

      Kemp steck­te die Hand in die Ta­sche. Dann zö­ger­te er. »Ich habe kei­nen – we­nigs­tens kei­nen über­flüs­si­gen.«

      »Ich brin­ge ihn zu­rück«, sag­te Adye. »Sie sind ja hier in Si­cher­heit.«

      Kemp fürch­te­te sich, Angst zu ver­ra­ten, und übergab ihm die Waf­fe.

      »Jetzt zur Tür«, sag­te Adye.

      Kemp war ein we­nig blei­cher als ge­wöhn­lich. »Sie müs­sen schnell hin­aus­ge­hen«, sag­te er.

      Im nächs­ten Au­gen­blick stand Adye drau­ßen und die Tür wur­de hin­ter ihm ver­schlos­sen. Eine Se­kun­de zö­ger­te er, dann schritt er ge­ra­de und ent­schlos­sen die Stu­fen hin­un­ter. Er ging quer über den Ra­sen und nä­her­te sich dem Gar­ten­tor. Ein lei­ser Hauch schi­en über das Gras zu strei­chen. In sei­ner Nähe be­weg­te sich et­was.

      »Blei­ben Sie ein we­nig ste­hen!«, sag­te eine Stim­me. Adye leis­te­te die­sem Be­fehl au­gen­blick­lich Fol­ge, wo­bei sei­ne Hand den Re­vol­ver fest um­klam­mer­te.

      »Nun?«, sag­te Adye, bleich, aber ent­schlos­sen, mit An­span­nung al­ler Ner­ven.

      »Ha­ben Sie die Güte, in das Haus zu­rück­zu­keh­ren!«, ent­geg­ne­te eine eben­so ent­schlos­se­ne Stim­me.

      »Be­dau­re«, er­wi­der­te Adye ein we­nig hei­ser und be­feuch­te­te die Lip­pen mit der Zun­ge. Er glaub­te die Stim­me von links zu hö­ren; ob er sein Glück mit ei­nem Schuss ver­su­chen soll­te?

      »Wo ge­hen Sie hin?«, frag­te die Stim­me; die bei­den mach­ten eine schnel­le Be­we­gung, und in Adyes Ta­sche sah man et­was glän­zen.

      Adye über­leg­te. »Wo­hin ich gehe«, sag­te er lang­sam, »ist mei­ne Sa­che.« Die Wor­te schweb­ten noch auf sei­nen Lip­pen, als sich ein Arm um sei­nen Hals leg­te, ein Knie sei­nen Rücken be­rühr­te und er nach rück­wärts ge­wor­fen wur­de. Er feu­er­te in die lee­re Luft und er­hielt im nächs­ten Au­gen­blick einen Schlag in das Ge­sicht, wo­bei ihm der Re­vol­ver ent­ris­sen wur­de. Ver­ge­bens such­te er sich auf den Fü­ßen zu er­hal­ten; er woll­te sich auf­rich­ten und fiel zu­rück. »Ver­dammt!«, fluch­te Adye. Die Stim­me lach­te. »Ich wür­de Sie jetzt tö­ten, wenn es mir nicht leid täte, eine Ku­gel zu ver­schwen­den«, sag­te sie. Fünf Fuß von sei­nem Ge­sicht ent­fernt, schweb­te der Re­vol­ver in der Luft, ge­ra­de auf ihn ge­rich­tet.

      »Nun?«, frag­te Adye, sich halb auf­rich­tend.

      »Ste­hen Sie auf!«, be­fahl die Stim­me.

      Adye ge­horch­te.

      »Ach­tung!«, sag­te die Stim­me. Dann füg­te sie hin­zu: »Ver­su­chen Sie nicht, mit mir zu spie­len. Den­ken Sie dar­an, dass ich Ihr Ge­sicht sehe, auch wenn Sie das mei­ne nicht se­hen kön­nen. Sie müs­sen in das Haus zu­rück­keh­ren.«

      »Er wird mich nicht ein­las­sen«, sag­te Adye.

      »Das tut mir leid«, ent­geg­ne­te der Un­sicht­ba­re. »Mit Ih­nen habe ich kei­nen Streit aus­zu­fech­ten.«

      Wie­der be­feuch­te­te Adye die Lip­pen. Aber den Re­vol­ver­lauf hin­weg­bli­ckend, sah er in der Fer­ne das Meer in der Mit­tagson­ne dun­kel­blau er­glän­zen, sah das zar­te Grün der Dü­nen, die wei­ße Klip­pe, die be­leb­te Stadt un­ten, und plötz­lich er­kann­te er, wie schön das Le­ben war. Er rich­te­te den Blick wie­der auf das klei­ne me­tal­le­ne Ding, das ei­ni­ge Fuß von ihm ent­fernt zwi­schen Him­mel und Erde hing. »Was soll ich tun?«, frag­te er mür­risch.

      »Was soll denn ich tun?«, ent­geg­ne­te der Un­sicht­ba­re. »Sie wer­den Hil­fe er­hal­ten. Sie ha­ben nichts zu tun als um­zu­keh­ren.«

      »Ich will es ver­su­chen. Wol­len Sie mir ver­spre­chen, den Ein­gang nicht zu er­zwin­gen, wenn er mich hin­ein­lässt?«

      »Mit Ih­nen ste­he ich nicht im Kampf«, sag­te die Stim­me.

      Nach­dem Kemp Adye ver­las­sen hat­te, war er die Trep­pen hin­auf­ge­eilt, hat­te sich durch die Glass­plit­ter durch­ge­wun­den und sah, vor­sich­tig hin­aus­spä­hend, Adye mit dem Un­sicht­ba­ren ver­han­deln. »Wa­rum schießt er nicht?«, flüs­ter­te Kemp vor sich hin. Dann be­weg­te sich der Re­vol­ver ein we­nig und Kemps Au­gen wa­ren ge­blen­det. Er be­schat­te­te sei­ne Au­gen und such­te den Lauf des glit­zern­den Stahls zu ver­fol­gen.

      »Es ist so«, sag­te er. »Adye hat den Re­vol­ver über­ge­ben.«

      »Ver­spre­chen Sie mir, den Ein­gang nicht zu er­zwin­gen«, wie­der­hol­te Adye. »Sie sind im Ge­winn; trei­ben Sie das Spiel nicht zu weit. Las­sen Sie Ihrem Geg­ner einen Weg of­fen.«

      »Ge­hen Sie zu­rück ins Haus. Ich sage Ih­nen ehr­lich, dass ich nichts ver­spre­chen will.«

      Adyes Ent­schluss schi­en plötz­lich ge­fasst. Er wand­te sich um und schritt lang­sam, die Hän­de auf dem Rücken, dem Hau­se zu. Über­rascht be­ob­ach­te­te ihn Kemp. Der Re­vol­ver ver­schwand, wur­de wie­der sicht­bar, ver­schwand noch­mals und er­schi­en bei ge­naue­rer Be­trach­tung als ein klei­ner, dunk­ler Ge­gen­stand, der Adye folg­te. Dann über­stürz­ten sich die Er­eig­nis­se. Adye sprang zu­rück, hasch­te nach dem klei­nen