»Vergessen Sie nicht«, sagte Kemp, »dass seine Nahrung sichtbar bleibt. Wenn er gegessen hat, sieht man die Speisen, bis sie assimiliert sind. So muss er sich verbergen, nachdem er gegessen hat. Sie müssen fortwährend nach ihm suchen. In jedem Dickicht, in jedem ruhigen Winkel. Und lassen Sie alle Waffen – alle Werkzeuge, die als Waffe verwendet werden könnten, wegschaffen. Er kann solche Sachen nicht lange tragen, und was er zufällig finden könnte, um damit zu verletzen, muss verborgen werden.«
»Auch gut«, sagte Adye. »Wir werden ihn doch noch fangen!«
»Und auf den Straßen – –« sagte Kemp und zögerte.
»Ja?«, fragte Adye.
»Glassplitter«, fuhr Kemp fort. »Es ist grausam, ich weiß es. Aber bedenken Sie, was er tun könnte!«
Adye blies die Luft durch die Zähne. »Das ist unmenschlich. Ich weiß wirklich nicht, ob ich das zugeben kann. Aber ich werde Glassplitter bereithalten, wenn er zu weit geht.«
»Der Mann ist ein Ungeheuer, sage ich Ihnen«, versicherte Kemp. »Ich weiß so bestimmt, dass er seine Schreckensherrschaft beginnen wird – sobald er die Aufregung über seine Flucht einmal überwunden hat – als ich weiß, dass ich mit Ihnen spreche. Unsere einzige Rettung ist, ihm zuvorzukommen. Er hat sich selbst von der Menschheit losgesagt. Sein Blut komme über sein Haupt.«
26. Kapitel – Der Mord im Dickicht
Der Unsichtbare scheint in einem Zustand blinder Wut aus dem Hause Kemps geflohen zu sein. Ein kleines Kind, das in der Nähe des Tores spielte, war heftig angepackt und beiseite geschleudert worden, sodass es den Knöchel brach, und nachher verschwand er für einige Stunden vollkommen. Niemand weiß, wohin er ging oder was er tat. Aber man kann sich vorstellen, wie er an dem heißen Junitag den Hügel hinauf nach der offenen Düne hinter Port Burdock eilte, voll Grimm sein Schicksal verfluchend, bis er endlich erhitzt und müde in den Wäldern von Hintondean eine Zuflucht suchte, um wieder neue Pläne gegen seine Mitmenschen zu schmieden.
Wie dem aber auch sei, gegen Mittag verschwand er aus dem Gesichtskreis der Menschen, und keine lebende Seele kann sagen, was er bis gegen halb 3 Uhr getan hat. Vielleicht war es ein Glück für die Menschheit, aber für ihn selbst sollte diese Untätigkeit unheilvoll werden.
Während dieser Zeit war eine immer mehr wachsende Menschenmenge in der ganzen Gegend geschäftig. Am Morgen war er noch eine bloße Mythe, ein Gegenstand des Schreckens gewesen; am Nachmittag wurde er in einer trockenen Proklamation Kemps als ein greifbarer Gegner hingestellt, der verwundet, gefangen und überwunden werden konnte. Und die ganze Gegend begann sich mit unfassbarer Schnelligkeit zu organisieren. Selbst um 2 Uhr noch hätte er mittels eines Zuges die Gegend verlassen können, nach 2 Uhr aber wurde auch dies unmöglich, denn alle Personenzüge in der ganzen Gegend fuhren mit versperrten Koupeetüren und der Güterverkehr war fast ganz eingestellt. Und in einem Umkreis von 20 Meilen brachen Gruppen von drei oder vier Männern, die mit Flinten und Knütteln bewaffnet waren, in Begleitung von Hunden auf, um Straßen und Felder zu durchsuchen.
Berittene Wachleute sprengten die Landstraßen entlang, hielten bei jedem Hause an und forderten die Bewohner auf, ihre Häuser zuzuschließen und sich innerhalb derselben zu halten, wenn sie nicht bewaffnet wären. Die Volksschulen wurden um 3 Uhr geschlossen und die Kinder eiligst nach Hause geschickt. Kemps Aufruf, der von Adye unterzeichnet war, war um 4 oder 5 Uhr nachmittags in der ganzen Gegend angeschlagen. Und so schnell und entschieden handelten die Behörden, so rasch und allgemein verbreitete sich der Glaube an jenes seltsame Wesen, dass noch vor Einbruch der Nacht eine Gegend von mehreren hundert Quadratmeilen Ausdehnung wie in Belagerungszustand versetzt war.
Mittlerweile wurde der Verwalter Lord Burdocks, Mr. Wicksteed, erschlagen aufgefunden.
Wenn unsere Voraussetzung, dass der Unsichtbare in den Wäldern von Hintondean eine Zuflucht gesucht hatte, richtig ist, so müssen wir annehmen, dass er am Nachmittag wieder aufbrach und einen Plan erwog, der den Gebrauch einer Waffe nötig machte. Wir können nicht wissen, welches dieser Plan war, aber die Tatsache, dass er die Eisenstange in der Hand trug, bevor er Wicksteed traf, ist immerhin überzeugend.
Natürlich kennen wir die Einzelheiten der Begegnung nicht. Es war im Dickicht am Rande einer Kiesgrube, nicht zweihundert Schritte von Lord Burdocks Parktor entfernt. Alles deutet auf einen verzweifelten Kampf hin, der zertretene Boden, die zahlreichen Wunden, die der Körper Mr. Wicksteeds aufwies, sein zersplitterter Spazierstock; aber warum der Angriff geschah, wenn nicht aus purer Mordlust, ist schwer zu begreifen. Es ist tatsächlich fast unvermeidlich, an Wahnsinn zu glauben. Mr. Wicksteed, der Verwalter Lord Burdocks, war ein Mann von etwa 55 Jahren und so friedfertig von Natur und Gewohnheiten, dass er der letzte gewesen wäre, einen so fürchterlichen Gegner zu reizen oder herauszufordern. Es scheint, dass der Unsichtbare aus einem eisernen Gitter eine Stange herausgebrochen hatte und diese als Waffe verwendete. Er trat dem ruhig zu seinem Mittagessen nach Hause gehenden Mann in den Weg, schlug ihn, der sich nur schwach verteidigte, nieder und zerschmetterte ihm das Haupt.
Er muss ja, natürlich, die Stange aus dem Gitter gerissen haben, ehe er seinem Opfer begegnete – muss sie schon zur Hand gehabt haben. Nur zwei Einzelheiten außer den schon genannten scheinen von Belang. Erstens, dass die Kiesgrube nicht an Mr. Wicksteeds Heimweg, sondern fast ein paar hundert Schritte entfernt lag. Und zweitens die Behauptung eines kleinen Mädchens, dass sie auf ihrem Weg zur Schule nachmittags den Ermordeten in einer ganz merkwürdigen Weise über einen Acker der Kiesgrube zu stapfen sah. So, wie sie seine Art zu gehen nachmachte, muss man auf den Gedanken kommen, dass der Mann irgend etwas vor sich auf der Erde verfolgte und dann und wann mit seinem Spazierstock danach schlug. Die Kleine war die letzte, die ihn lebend sah. Er entschwand ihren Blicken, um seinem Tod entgegenzugehen, und nur eine Gruppe von Buchen und eine leichte Bodensenkung entzog den Kampf ihren Augen.
Dies könnte vielleicht zu einer Art Erklärung des sonst zwecklos scheinenden Mordes dienen. Man könnte sich vorstellen, dass Griffin die Stange allerdings als Waffe genommen hat, jedoch ohne die bestimmte Absicht, einen Mord zu begehen. Wicksteed mag dann vorübergekommen sein und die Stange, die sich auf so unerklärliche Weise durch die Luft bewegte, gesehen haben. Ohne überhaupt eine Ahnung von dem Unsichtbaren zu haben – denn Port Burdock liegt zehn Meilen weit von dort –, mag er sie verfolgt haben. Es ist ganz denkbar, dass er nichts von dem Unsichtbaren gehört hatte. Dieser hatte sich vielleicht – um seine Anwesenheit in der Nachbarschaft