zurück, in das alte Bauernhaus, das schon seine Großeltern bewohnt hatten. Auf der Insel im Rosensee kam Dr. Friedrich Norden die Idee, hier ein Sanatorium zu erbauen, in dem Kranke und am Leben Verzweifelte Genesung finden könnten, jene, die die Hoffnung verloren hatten und solche, die unglücklich waren.
Insel der Hoffnung, dieser Begriff hatte Dr. Friedrich Norden fasziniert.
Alles durchdachte er in seiner Einsamkeit, und er plante und plante, wobei sein Herz jedoch müder und müder wurde.
Der junge Daniel Norden, der nun seine eigene Praxis eröffnet hatte, stand den Plänen seines Vaters anfangs skeptisch gegenüber. Auch das wußte Helga Moll, denn jetzt war sie seine Sprechstundenhilfe, geschieden von ihrem Mann, mußte sie allein für ihre Kinder sorgen.
Indessen hatte Friedrich Norden in seinem langjährigen Freund, Dr. Johannes Cornelius, einen Partner gefunden, der mit der gleichen Intensität und Leidenschaft an die Verwirklichung dieser Idee ging. Und als Friedrich Norden starb, war auch Daniel bereit, das Vermächtnis seines Vaters zu erfüllen.
Nun kam der Tag heran. Die Pforten zur Insel der Hoffnung sollten sich öffnen. Für sich aber hatte Daniel Norden eine eigene Entscheidung getroffen.
Er wollte seine Praxis behalten und die Leitung des Sanatoriums Dr. Cornelius überlassen. Daniel hatte seine Gründe dafür, denn er dachte realistischer als sein Vater. Der Unterhalt eines Sanatoriums verschlang viel Geld. Wollte man die Idee seines Vaters verwirklichen, auch mittellosen Patienten eine Kur zu ermöglichen, brauchte man andere, denen es nicht schwerfiel, ihre Rechnungen zu bezahlen. Er hatte solche Patienten. Er hatte gute Verbindungen. Er galt sogar als Modearzt. Dr. Daniel Norden wollte vor allem nicht, daß Dr. Cornelius seine Freundschaft und Loyalität mit einem Defizit büßen mußte.
Darüber verlor er kein Wort. Er schluckte es sogar, daß Felicitas Cornelius, die bildhübsche Tochter des väterlichen Freundes, ihn verächtlich einen Playboy schalt, der nicht auf das Großstadtleben verzichten wolle.
»Wir wissen, daß es Vaters Vermächtnis ist«, hatte er zu Dr. Cornelius gesagt, als sie ihre Vereinbarungen trafen. »Ich will mein Bestes tun, daß alles so wird, wie er es sich vorstellte, aber es soll nie ein Wort darüber fallen, was ich dazu beitrage.«
Mit einem Handschlag hatten sie dieses Übereinkommen besiegelt.
Wird alles so werden, wie Vater es sich vorgestellt hat? Ich will mein Bestes tun, Vater, sagte er leise vor sich hin. Den Anfang habe ich gemacht, indem ich dieser armen alten Frau noch ein wenig Freude in den Lebensabend bringe.
Es tat ihm weh, daß sein Vater die Verwirklichung seines Wunschtraumes nicht mehr erleben konnte. Er dachte auch an seine Mutter, der alle ärztliche Kunst keine Hilfe bringen konnte. Er dachte aber auch an die vielen anderen, denen noch zu helfen war.
Jetzt gönnte er sich ein paar Minuten der Besinnung und ließ seinen Blick auf der Fotografie seines Vaters ruhen, die auf seinem Schreibtisch stand. Dann kam Molly.
»Sie haben Frau Seidel eine große Freude bereitet«, sagte sie. »Sie haben ein gutes Herz. Sie sollten es nicht immer verleugnen.«
»Nun stimmen Sie nur nicht in Mutter Seidels Lobgesänge ein, Molly. Sie hat einen Narren an mir gefressen und ich mag sie auch. Es war doch eine gute Idee? Sind Ihre Kinder gut untergebracht über das Wochenende?«
»Meine Mutter kommt«, erwiderte Helga Moll. »Jedenfalls ist sie energischer als ich.«
»Und Ihnen tut es gut, wenn Sie mal Tapetenwechsel haben«, sagte Dr. Norden.
Helga Moll wollte ihm jetzt nicht mit ihren Sorgen kommen, denn frei von solchen würde sie an diesem Wochenende gewiß nicht sein, obgleich sie ihre drei Kinder in der Obhut ihrer resoluten Mutter zurücklassen konnte.
Sabine, die Älteste, war achtzehn und hatte seit einem Jahr einen festen Freund. Er war ein netter Junge, aber er ging noch zur Schule, und für Helga Moll, die geschiedene Frau, die allein für ihre Kinder sorgen mußte, gab es da schwere Bedenken. Dazu gesellten sich andere, doch Dr. Norden entriß sie diesen Gedankengängen.
»Na, Molly, dann wollen wir mal die Bude zumachen«, sagte er. »Ich gehe heute abend ins Konzert. Vorher muß ich noch ein paar Krankenbesuche machen. Kann ich Sie ein Stück mitnehmen?«
»Iwo, mit der S-Bahn ist es viel bequemer«, erwiderte sie. »Lassen Sie sich von Frau Brehmer nicht zu lange aufhalten, sonst verpassen Sie die Hälfte vom Konzert.«
Sie sagte es mit einem hintergründigen Lächeln, und er erwiderte es mit einem spöttischen.
»Was uns nicht umbringt, macht uns stärker«, sagte er heiter. Dann winkte er ihr zu und verschwand.
Ein Wunder ist es ja nicht, daß die Frauen hinter ihm her sind, dachte Helga Moll.
Marion Brehmer hegte allerdings ähnliche Gedanken. Sie litt nicht umsonst in letzter Zeit so häufig an Magenbeschwerden. Sie hatte eine fast erwachsene Tochter. Allerdings war Kirsten selbst für einen so attraktiven Mann wie Dr. Norden nicht zu begeistern und ganz so selbstlos war Marion Brehmer als Mutter auch nicht.
Sie hatte es zwar ganz geschickt zu verbergen vermocht, aber sie hätte durchaus nichts dagegen gehabt, mit Dr. Norden einen heftigen Flirt anzufangen, wenn sie die geringste Resonanz gespürt hätte. Die jedoch blieb aus.
Marion Brehmer war mit ihren achtunddreißig Jahren noch immer eine recht verführerische Frau. Eine gute Kosmetikerin und ein sehr gekonntes Make-up machten sie sogar noch um einige Jahre jünger, wenn man ihr Geburtsdatum nicht kannte. Kirsten dagegen war alles andere als reizvoll. Sie war ein supermodernes Mädchen, und sie fand es »in«, so lässig wie nur möglich zu wirken.
In verwaschenen Jeans und viel zu weitem Pullover lehnte sie an der Tür zum Schlafzimmer ihrer schönen Mutter.
»Ich würde an deiner Stelle ein Bein herausstrecken, Mama«, sagte sie anzüglich, »und dann die Bettdecke noch etwas weiter herabziehen, damit dein Dr. Norden auch gleich deinen Busen sieht. Und dann –«
»Sei nicht so unverschämt«, fiel ihr Marion heftig ins Wort. »Wenn du nur ein wenig mehr Wert auf dein Äußeres legen würdest, müßte ich nicht –«
»Müßtest du nicht in ständiger Sorge leben, daß ich eine alte Jungfer werde«, wurde sie jetzt von ihrer Tochter unterbrochen. »Aber sei unbesorgt, das kann ich gar nicht mehr werden. Wenn du jedoch nicht willst, daß du bald Großmutter wirst, könntest du mir mal von deinem Leib- und Magenarzt Antibabypillen für mich verschreiben lassen.«
»Kirsten«, schrie Marion Brehmer auf, »das ist unerhört. Wenn das dein Vater wüßte.«
»Sag es ihm doch«, sagte Kirsten frech. »Ich sehe ihn ja kaum.«
Die Debatte wurde unterbrochen. Es hatte geläutet. Kirsten ging zur Tür, da das Hausmädchen Ausgang hatte.
»Na, da ist ja der Heißersehnte«, begrüßte sie Dr. Norden in frivolem Ton und so laut, daß auch ihre Mutter sie hören konnte. »Mama leidet schon Höllenqualen.«
Dr. Daniel Norden kannte Kirsten Brehmer. Er nahm ihren Ton nicht tragisch. Er war noch nicht so weit von dieser Generation entfernt, daß er sie in Grund und Boden verdammt hätte. Er wußte nur zu gut, daß die Teenager ihre Aggressionen auf verschiedene Weise abreagierten.
Durch einen Tränenschleier hindurch blickte Marion Brehmer ihn an. Die Tränen waren sogar echt. Kirsten brachte sie zur Verzweiflung. Sie hätte so
gern eine Tochter gehabt, mit der sie in der Gesellschaft Furore machen könnte.
»Ich komme mit diesem Kind einfach nicht mehr zurecht«, stöhnte sie. »Da muß man ja magenkrank werden.«
»Kirsten ist kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen, Frau Brehmer«, sagte Daniel Norden. »Sie ist einfach unreif, weil noch nie Anforderungen an sie gestellt wurden. Nehmen Sie es nicht gar so tragisch. Sprechen Sie lieber mal im gleichen Ton mit ihr.«
»Im gleichen Ton?« fragte Marion empört und ganz vergessend, daß sie ihre dekorative Haltung