willst du denn auf den Empfang verzichten? Berühmte Leute wirst du bei uns auch nicht antreffen.«
»Immerhin könnte eine diskrete Werbung doch recht nützlich sein. Für wieviel Patienten ist dort Platz?«
»Achtzig, aber es ist kein Sanatorium im üblichen Sinn. Es steht dir frei, es dir anzusehen.«
»Bedarf es denn keiner offiziellen Einladung?« fragte Isabel.
»Doch nicht für die engsten Freunde. Ich nehme Molly und eine Patientin mit.«
Das nahm sie als Hinweis, daß er sie nicht auch mitnehmen könne. Ein diskreter Hinweis. Was für eine Patientin mochte das sein?
Ob er auch Gedanken lesen konnte? »Die Patientin ist übrigens ein altes Mütterchen, achtzig Jahre, und sie war meine erste Patientin«, erklärte er beiläufig.
Unwillkürlich errötete Isabel. »Vormittags könnte ich sowieso noch nicht weg. Vielleicht wird mir die besondere Ehre zuteil, David Delorme interviewen zu dürfen, falls Mrs. Wilding einen weiblichen Journalisten akzeptiert. Mich interessiert unser Genie auch.«
»Der Pianist oder der Mann?« fragte Daniel.
»Der Pianist natürlich. Aber ich denke, daß es jetzt schon reichlich spät ist. Bestellst du mir ein Taxi, Dan?«
»Ich bringe dich selbstverständlich heim.«
»Zum andern Ende der Stadt? Das ist doch Unsinn. Nein, ich fahre mit dem Taxi.«
»Wie du willst«, sagte er.
Wenn er doch nur zu durchschauen wäre, dachte Isabel, als sie auf der Heimfahrt im Taxi über diesen Abend nachdachte.
Dr. Daniel Norden dachte über David Delorme nach, dessen Spiel ihn so ungeheuer beeindruckt hatte. Verinnerlicht hatte dieser junge Mann gewirkt, scheu und ungelenk, jeden Effektes abhold, hatte er sich verbeugt.
Daniel konnte sich nicht vorstellen, daß ein solcher Künstler sich von einer Frau abhängig machte. Mit den berauschenden Tönen in den Ohren schlief er ein. An Isabel dachte er nicht mehr.
*
»Beeilung, Kinder«, rief Helga Moll, »es ist halb acht Uhr. Ihr müßt zur Schule.«
Katrin, die Zwölfjährige, kam kauend in die Diele. Sie aß für ihr Leben gern, was sich auch äußerlich bemerkbar machte, denn sie war ein richtiger kleiner Pummel.
Der fünfzehnjährige Peter dagegen war mager und hoch aufgeschossen. Er maulte vor sich hin.
»Sei doch nicht immer so mürrisch, Peter«, sagte Helga.
»Diese dämliche Schule«, knurrte er. »Wenn ich mir vorstelle, was Oma wieder rummeckern wird, wenn sie erfährt, daß ich in Latein nicht mitkomme. Muß das denn sein, Mutti?«
»Später würdest du mir mal Vorwürfe machen, wenn ich dich nicht auf die Oberschule geschickt hätte«, sagte Helga. »Jetzt jammere nicht herum, sondern geh.«
»Und nimm dir ein Beispiel an mir«, sagte Sabine, »ich habe mein Abi mit achtzehn gemacht. Du bist sowieso schon ein Jahr hinterher.«
»Das gnädige Fräulein«, brummte er, »wenn sie sich bloß nicht so aufspielen würde. Tschüs«, und er war draußen.
»Mach dir nichts draus, Mutti«, sagte Katrin. »Morgens ist er immer ungenießbar.«
Sie war eher phlegmatisch. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Kommst du heute nicht, kommst
du morgen«, rief Sabine hinter ihr
her, aber Katrin nahm keine Notiz davon.
»Du mußt auch nicht ständig an den beiden herumnörgeln«, ermahnte Helga ihre Älteste, die ein bildhübsches Mädchen war und seit zwei Wochen als Volontärin in einer Zeitungsredaktion beschäftigt war.
»Du bist schon geplagt mit den Kleinen«, sagte Sabine.
»Und du machst mir wohl gar keine Sorgen«, bemerkte Helga leicht gereizt.
»Wenn du wieder auf Lutz anspielst, verziehe ich mich auch schleunigst«, sagte Sabine trotzig.
»Ich fahre heute sowieso nicht in die Praxis«, meinte Helga.
Sonst verließen sie immer gemeinsam das Haus. »Warum nicht?« fragte Sabine überrascht.
»Weil Dr. Norden mir freigegeben hat. Morgen fahren wir doch zur Insel, falls dir das entfallen sein sollte.«
»Es ist mir nicht entfallen«, sagte Sabine spöttisch. »Du freust dich wohl mächtig, daß du uns ein paar Tage nicht zu genießen brauchst.«
Manchmal hatte sie einen Ton an sich, den Helga nicht mochte, aber es war besser, sich mit Sabine nicht anzulegen. Bei ihr wechselten die Stimmungen rasch.
»Du mußt nicht alles gleich so tragisch nehmen, Mutti«, sagte sie jetzt auch versöhnlich. »Es ist jetzt nun mal anders, als in eurer Jugendzeit.«
Sabine verschwand nochmals im Bad. Als sie wieder erschien, hatte sie Lidschatten und Make-up aufgelegt, die Wimpern schwarz getuscht und eine Parfümwolke umwehte sie.
Sie trug helle Jeans und einen hautengen Pulli, was sie sich allerdings auch leisten konnte, denn sie hatte im Gegensatz zu Katrin eine knabenhaft schlanke Figur. Das hellblonde, seidige Haar fiel weit über den Rücken herab.
Ohne Make-up gefiel sie ihrer Mutter besser, aber Helga hatte es sich abgewöhnt, daran Kritik zu üben.
»Dann ade, Mutti«, sagte Sabine, die wohl doch auf solche Kritik gewartet hatte.
»Komm heute bitte pünktlich«, sagte Helga. »Du weißt doch, daß Omi kommt.«
»Ich weiß, ich weiß«, und dann war auch sie draußen.
Helga war froh, daß sie Zeit zum Aufräumen hatte. In jedem Zimmer herrschte die gleiche Unordnung. Wieder einmal war sie froh, daß die Wohnung wenigstens so groß war, daß jeder seinen eigenen Raum hatte. Dank der großzügigen Unterstützung ihrer Eltern hatte sie die verhältnismäßig teure Wohnung auch nach ihrer Scheidung behalten können.
Sie hätte nicht zu arbeiten brauchen, wenn sie sich bereitgefunden hätte, zu ihren Eltern zu ziehen, die in einem ländlichen Vorort ein sehr schönes, großes Haus besaßen. Aber sie hatte noch weit größere Schwierigkeiten vorausgesehen, wenn sie alle unter einem Dach lebten, ganz abgesehen davon, daß es für die Kinder wegen der Schulen ungünstig gewesen wäre.
Sie wollte auch ihre persönliche Freiheit wahren, nachdem sie damals, vor fünf Jahren, endlich die Konsequenzen aus einer mißglückten Ehe gezogen hatte, in der sie immer draufzahlte, mit Geld und mit Gefühlen. Heinz Moll war ein Traumtänzer gewesen, mit großen, hochfliegenden Plänen, von denen er nie einen verwirklicht hatte. Ohne großen Einsatz schnell zu viel Geld zu kommen, war sein Traum gewesen, für Helga war es ein Alptraum geworden.
Er war nicht ganz aus ihrem Leben verschwunden. Er kam regelmäßig, um die Kinder zu sehen, und manchmal auch, um sie anzupumpen; und sie ärgerte sich, daß sie dann immer wieder nachgiebig wurde und ihm aushalf, ohne jemals einen Pfennig wiederzubekommen.
Bis sie die Wohnung aufgeräumt hatte, war es mittag geworden. Die Kinder mußten bald aus der Schule kommen. Das Essen hatte sie schon vorbereitet.
Mittags war sie immer daheim. Dr. Norden sorgte dafür, daß sie pünktlich heimkam, auch wenn in der Praxis Hochbetrieb war. Er war froh, eine so tüchtige und zuverlässige Kraft zu haben, und er hatte auch Verständnis für ihre häuslichen Sorgen.
Es läutete, und Helga blickte schnell auf die Uhr. Eigentlich war es noch ein bißchen zu früh, als daß es die Kinder schon sein könnten.
Doch vor ihr stand ihr geschiedener Mann. Heinz Moll sah noch immer recht annehmbar aus, und heute auch besonders gepflegt.
»Fein, daß ich dich antreffe«, sagte er. »Sind die Kinder schon zu Hause?«
»Nein,