Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman


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Sie gestern im Konzert gehört. Sie sind David Delorme, ein sehr begabter Pianist. Ich war mit einem Freund in Ihrem Konzert«, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, »er ist Arzt. Er versteht von Musik mehr als ich. Er war begeistert von Ihrem Spiel. Sie brauchen also nicht zu sagen, daß Sie Lorna Wildings Produkt sind.«

      »Sie kennen diese Frau nicht. Ich bin ihr Gefangener. Sie hat mich gemanagt. Sie will den Erfolg für sich verbuchen. Ich gehöre nicht mehr mir selbst. Das ertrage ich nicht. Wissen Sie, wie ich mir diesen Weg erkämpft habe?«

      »Ja, das weiß ich. Zumindest, was man darüber lesen konnte«, sagte Isabel.

      »Mein Vater war Bergarbeiter. Wir waren sechs Kinder. Eine Schwester ist gestorben vor einem Jahr. Lorna hat mir nicht gestattet, ihr zu helfen. Sie rechnet mir Tag für Tag vor, was sie in mich investiert hat.«

      »Wie kam es dazu?« fragte Isabel.

      David versank in Schweigen. Seine Hände verkrampften sich ineinander.

      »Meinetwegen können Sie es schreiben«, stieß er hervor. »Alles können Sie schreiben. So kann ich nicht weiterleben. Wohin fahren wir?« fragte er dann aber ängstlich.

      »Zu Dr. Norden, das ist mein Freund, mit dem ich im Konzert war. Sie sind wirklich am Ende, Mr. Delorme.«

      »Sie können ruhig David zu mir sagen«, murmelte er.

      Als sie vor Daniels Praxis standen und Isabel das Schild sah, auf dem zu lesen war, daß Dr. Feldmann Vertreter von Dr. Norden sei, erinnerte sie sich, daß er heute keine Praxis mehr abhielt. Aber sie erinnerte sich auch daran, daß er erst morgen früh zur Roseninsel fahren wollte.

      »Fahren wir ein paar Stockwerke höher, da hat Dr. Norden seine Privatwohnung«, sagte sie kurz entschlossen.

      Lenchen öffnete ihnen die Tür. Sehr erstaunt schaute sie drein, ziemlich klein und schmal in ihrem grauen Kleid mit der schwarzen Schürze.

      »Sie sind Lenchen«, sagte Isabel burschikos, nachdem sie tief Atem geholt hatte. »Ich bin eine Bekannte von Dr. Norden und bringe einen Herrn mit, für den Daniel große Sympathie hegt.«

      Um Worte war sie nie verlegen. Sie buchte es zu ihren Gunsten, daß Lenchen sie wohlwollend musterte.

      »Dr. Norden ist noch unterwegs«, sagte Lenchen. »Eigentlich wollte er schon früher zurück sein. Wenn Sie warten wollen?«

      Mit ihr würde ich schneller klarkommen als mit Dan, dachte Isabel. Und als David sich mit einem tiefen Seufzer in einem der weichen Sessel niedergelassen hatte, folgte Isabel Lenchen in die Diele.

      »Der Herr ist ein berühmter Pianist«, erklärte sie. »Er braucht ärztliche Hilfe, sonst hätte ich Daniel nicht in seiner Privatwohnung aufgesucht.«

      Lenchen blinzelte. »Ist schon gut«, meinte sie. »Ich hoffe, daß Dr. Norden bald kommt. Kann ich Ihnen etwas bringen?«

      »Vielleicht Kaffee?« fragte Isabel. »Aber ich würde Ihnen gern helfen.«

      »Iwo, das ist gleich getan. Vielleicht möchte der Herr Klavier spielen? Ich höre es gern.«

      Als Isabel wieder den Wohnraum betrat, hatte sie das Gefühl, daß David Delorme nichts mehr hasse, als einen Flügel, so verdrossen starrte er diesen an. Nein, nicht verdrossen, sondern geradezu haßerfüllt.

      »Da hat man einen Wunschtraum«, sagte er mit monotoner Stimme. »Man will ihn um jeden Preis verwirklichen, und dann erkennt man, daß der Preis zu hoch war.«

      Isabel dachte sich in seine Stimmung hinein. Sie setzte sich und schlug die Beine übereinander.

      »Hier wird Sie jedenfalls niemand suchen«, sagte sie. »Und Lorna Wilding wird Sie auch nicht finden. Allerdings werden wir warten müssen, bis Dr. Norden kommt.«

      »Was kann ich von ihm erwarten?« fragte er.

      »Sehr viel Verständnis«, erwiderte

      Isabel. »Mehr, als von mir, denn er versteht mehr von Musik, als ich.«

      »Hier ist es so ruhig«, flüsterte er. »Ahnen Sie, wie sehr ich mich nach Ruhe gesehnt habe? Ich möchte nicht ständig auf dem Präsentierteller herumgereicht oder wie ein Wundertier angestarrt werden. Warum ist eine Begabung so schwer mit einem normalen Leben vereinbar, Miß –, wie ist doch gleich Ihr Name?«

      »Nennen Sie mich ruhig Isabel«, erwiderte sie. »Wovon träumten Sie, Mr. Delorme, als Sie zum ersten Mal ein Klavier sahen?«

      Ein flüchtiges Lächeln legte sich um seinen Mund.

      »Als ich zum ersten Mal ein Klavier sah«, wiederholte er sinnend. »Ach ja, Sie sind Journalistin, und ich habe gesagt, daß Sie alles schreiben können. Gut, meinetwegen, Sie sollen die erste sein, die alles erfährt. Ich war sechs Jahre, als Professor Chandelor mich mit in seine Wohnung nahm. Ich hatte ihm ein paar Besorgungen erledigt. Er war Klavierlehrer, schon ein alter Herr. Ich war fasziniert, als ich den Flügel sah. Ich glaube, es war zuerst die Decke, die sehr bunt und exotisch aussah. Der Deckel war aufgeschlagen, und ich griff in die Tasten. Der Professor sagte mir, daß ich mir erst die Hände waschen müßte. So begann es. Es war überwältigend, daß Töne unter meinen Fingern hervorquollen. Chandelor mochte Kinder. Er war alt und einsam. Er sagte, daß ich so oft zu ihm kommen könne, wie ich nur wolle. Er gab mir Unterricht.« Er machte eine Pause. »Dann sprach er mit meinen Eltern. Mein Vater wurde sehr zornig. Er sagte, daß ich besser etwas Gescheites lernen solle, weil die Lehrer sagten, daß ich intelligent sei. Aber meine Mutter war stolz, weil der Professor meinte, ich sei ein Naturtalent.«

      Isabel sah, wie er sich entspannte, wie er in Erinnerungen versank und immer ungehemmter erzählte. Sie unterbrach ihn nicht. Er merkte anscheinend gar nicht, wie Lenchen den Kaffee hereinbrachte.

      Er trank einen Schluck und fuhr fort. »Ich ging jeden Tag zu Chandelor. Mein Vater wußte es nicht, bis ich einmal in der Schule spielen durfte. Da war er auch stolz auf mich, weil die Eltern so begeistert waren.«

      Er ist ja noch ein richtiger Junge, dachte Isabel. Ein geniales Kind.

      David war in Schweigen versunken. Er hatte die Augen geschlossen.

      »Und wann lernten Sie Gladys kennen?« fragte Isabel.

      »Als ich achtzehn war«, erwiderte er gedankenverloren. »Da verdiente ich mir mein Geld damit, daß ich in Cafés spielte, in Teestuben, um es richtig zu sagen. Ihr Vater hatte eine solche Teestube. Er kann mich nicht leiden. Er wollte nicht, daß wir uns trafen. Genau wie Lorna. Sie haßt Gladys. Sie sagt, daß sie meine Karriere verderben würde. Lorna betrachtete mich als ihren Sohn. Sie hat ihren eigenen Sohn verloren, als er zehn Jahre alt war. Er spielte auch Klavier. – Sie ist verrückt, Isabel. Ihr Sohn hieß auch David. Sie bildet sich ein, daß ich ihr Sohn bin.«

      Er sank plötzlich in sich zusammen und schlug die Hände vor sein Gesicht.

      »Ich habe doch nicht gedacht, daß sie sich so in diese Idee verrennen würde«, murmelte er. »Ich habe nie gedacht, daß man mich mal als ihren Geliebten bezeichnen könnte. Das ist Wahnsinn, und wenn es so weitergeht, werde ich auch wahnsinnig.«

      Isabel staunte und war bestürzt. Das schien ja ganz anders zu sein, als alle Welt vermutete, oder legte er es nur so aus, um den Schein zu wahren?

      Nein, man konnte, man mußte es ihm glauben. Irgendwie war er zu naiv, um so überzeugend lügen zu können, aber immerhin war er ein Künstler, vielleicht nicht nur ein guter Pianist, sondern auch ein guter Schauspieler.

      Sie wollte jetzt noch mehr über Gladys herausbekommen, aber sie ließ ihm erst ein paar Minuten zur Besinnung.

      Er hob den Kopf und sah sie mit seinen nachtdunklen, schwermütigen Augen an.

      »Was denken Sie von mir?« fragte er. »Daß ich hysterisch bin, daß mir der Erfolg zu Kopf gestiegen ist? Ich wollte doch nur wegen Gladys berühmt werden. Damit ihr Vater nichts mehr gegen unsere Verbindung einwenden könnte.«

      »Wann haben Sie zuletzt von ihr gehört, David?« fragte Isabel, die sich plötzlich in die