Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman


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haben sich doch Ferien wirklich verdient, Frau Seidel«, sagte er, während er ihre beiden Koffer im Wagen verstaute. »Wann waren Sie denn das letzte Mal verreist?«

      »Liebe Güte, das ist wohl vierzig Jahre her«, erwiderte sie. »Im Bayerischen Wald war ich da mit meinem Mann. Es kann auch schon länger zurückliegen.«

      »Dann wird es ja Zeit, daß Sie mal in eine andere Umgebung kommen«, meinte er.

      Wie sie sich freute, konnte man von ihrem Gesicht ablesen. Ganz still saß sie und blickte unentwegt zum Fenster hinaus. Als die Berge vor ihnen auftauchten, machte Frau Seidel zum ersten Mal den Mund auf.

      »So schön ist die Welt«, sagte sie andächtig. »Einmal müßte man so hoch da droben stehen können.«

      »Sie können ja mal mit der Bergbahn hinauffahren, wenn Sie sich getrauen«, sagte Daniel. »Aber von unten sieht es auch ganz hübsch aus.«

      Nach zwei Stunden Fahrt kamen sie zur Roseninsel. Der Dunst hatte sich aufgelöst. Unter strahlendem Sonnenschein lag sie vor ihnen.

      Auch Daniel hielt den Atem an und fuhr ganz langsam über die schmale Landzunge. Die Insel der Hoffnung, ein wahres Paradies! Malerisch eingefügt in diese romantische Landschaft lagen die Häuser.

      »Himmlisch«, flüsterte Molly.

      Frau Seidel fuhr sich mit dem Taschentuch über die Augen. Und Daniel dachte jetzt nur an seinen Vater.

      *

      »Sie kommen, Fee«, sagte Dr. Cornelius zu seiner Tochter.

      »Pünktlich ist er wenigstens«, sagte Felicitas spöttisch.

      »Worauf beruhen deine Vorurteile gegen Daniel eigentlich?« fragte er sinnend.

      »Vielleicht darauf, daß er alles dir überlassen hat, Paps«, sagte sie. »Im Erfolg wird er sich dann sonnen.«

      »So ist es nicht. Du siehst es falsch«, sagte Dr. Cornelius.

      »Na, wir werden es ja sehen«, sagte Felicitas. »Soll ich die Belegschaft zusammentrommeln, damit er auch gebührend begrüßt wird?«

      »Unsinn, das mag Daniel doch gar nicht«, sagte ihr Vater.

      Er ging den Ankommenden entgegen. Felicitas blieb zurück, aber sie warf doch einen verstohlenen Blick aus dem Fenster. Ihre Augen weiteten sich, als Daniel der alten Frau Seidel aus dem Wagen half.

      »Hier bringe ich dir die erste Patientin, Hannes«, sagte er zu dem Älteren. Früher hatte er noch Onkel gesagt, aber das hatte er dann eingestellt. So gewaltig war der Altersunterschied zwischen ihnen nicht, und wenn man Dr. Cornelius betrachtete, nahm man ihm seine sechzig Jahre ohnehin nicht ab.

      »Das freut mich aber«, sagte Dr. Cornelius, als er in das liebe Gesicht der alten Frau blickte. Frau Seidel lächelte verschämt. »Es ist zuviel der Ehre«, murmelte sie.

      Dr. Cornelius begrüßte Molly, die ihm wohlbekannt war.

      »Ich bin hingerissen«, sagte sie. »Das ist eine ganz andere Welt.«

      »Erst anschauen«, sagte Dr. Cornelius, »dann loben oder kritisieren.«

      Eine Kritik konnte nur wohlwollend sein. Das mußte auch Daniel zugeben, der alles nur im Rohbau gesehen hatte und damals noch nicht den richtigen Eindruck gewinnen konnte. Doch jetzt war wirklich alles traumhaft schön. Nicht nur die Seerosen blühten, sondern auch die Rosenstöcke in bunter Farbenpracht.

      Noch zeigte sich kein Mensch. Daniel war erleichtert, daß ihnen kein offizieller Empfang bereitet wurde. Dafür hatte er nichts übrig. Aber daß auch Felicitas sich noch nicht blicken ließ, kränkte ihn doch ein wenig, wenn er es sich auch nicht eingestehen wollte. Es war ja nicht so, daß sie sich fremd waren. Ihre Väter waren die engsten Freunde gewesen, und sie kannten sich von Kindheit an. Vielleicht war der Altersunterschied von neun Jahren doch ein bißchen groß, aber Daniel konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, als er fünfzehn und Felicitas sechs gewesen war. Da war sie zutraulich gewesen, da hatte sie ihn ihren besten Freund genannt. Und es war einige Jahre auch so geblieben, bis sie dann heranwuchs und sie sich nur noch manchmal sahen, weil sie im Internat war und er schon auf der Universität.

      »Wir brauchen nicht gleich alles auf einmal anzusehen«, sagte Molly. »Vielleicht möchte Frau Seidel sich ein wenig ausruhen.«

      Sie fühlte, daß Daniel gern mit seinem väterlichen Freund allein sprechen wollte. Er mußte ihn auch auf David Delormes Kommen vorbereiten.

      Während sich Frau Seidel auf einer Bank niederließ, gingen die beiden Herren auf das langgestreckte Gebäude zu, in dem sich die Behandlungsräume befanden.

      »Es wird dir hoffentlich nicht unangenehm sein, daß heute gleich noch ein Patient kommt«, sagte Dr. Norden.

      »Du hast es aber eilig«, schmunzelte der Ältere. »Aber mir soll es recht sein.«

      »Es hat sich so ergeben«, sagte Daniel. »Frau Seidel wollte ich eine Freude machen. Sie war meine erste Patientin, und ich betrachte sie als eine Art Maskottchen.«

      »Immerhin lobenswert, daß du dir dafür ein altes Mütterchen ausgesucht hast«, sagte Johannes Cornelius.

      »Ihr Aufenthalt geht natürlich auf meine Kosten«, sagte Daniel.

      Dr. Cornelius warf ihm einen schrägen Blick zu. »Hast du deswegen gleich auch einen zahlenden Gast hergeschwatzt?« fragte er belustigt. »Von kommerziellen Dingen wollten wir unsere Tätigkeit doch nicht bestimmen lassen.«

      »Aber draufzahlen sollst du auch nicht, Hannes«, sagte Daniel.

      »Wer zahlt denn bis jetzt drauf? Doch nur du. Ich verstehe nicht ganz, warum das unerwähnt bleiben soll.«

      »Ohne dich wäre Vaters Wunschtraum nicht zu verwirklichen gewesen. Ich habe einfach nicht das Format, ein Sanatorium zu leiten.«

      »Daß du dein Licht immer unter den Scheffel stellen mußt. Okay, Dan, wir haben uns geeinigt. Jeder tut auf seinem Platz seine Pflicht, aber es wäre doch eine große Freude für mich, wenn ich es noch erleben könnte, daß du mit mir zusammenarbeitest. Wer also ist der zahlende Gast?«

      »David Delorme.«

      »Waaas?« fragte Dr. Cornelius gedehnt. »Donner und Doria, wie hast du das fertiggebracht?«

      »Er ist mir sozusagen zugelaufen«, erwiderte Daniel lächelnd.

      Nachdenklich blickte ihn Dr. Cornelius an. »Fee wird staunen«, sagte er. »Delorme ist ihr Schwarm.«

      »Soso«, sagte Daniel, doch da stand schon Felicitas in der Tür.

      Lässig reichte sie Daniel die Hand. »Was ist mit Delorme?« fragte sie.

      »Er wird heute noch hier eintreffen«, erklärte Daniel mit einem sarkastischen Unterton. »Zu deiner Freude, wie ich soeben vernahm.«

      »Ausgerechnet hierher? Wieso?« fragte sie verwirrt.

      Sie sah bezaubernd aus. Glatt und seidig umfloß das silberblonde Haar ihr feines Gesicht, in dem große violette Augen leuchteten. Dieses Leuchten galt wohl Delorme, dachte Daniel. Felicitas gab ihm viele Rätsel auf. Hastig begann er zu erzählen, wie es zu der Bekanntschaft mit Daniel gekommen war. Natürlich mußte er dabei auch Isabel erwähnen.

      »Wird deine Freundin auch über Nacht hierbleiben?« fragte Felicitas anzüglich.

      »Das weiß ich nicht. Isabel trifft ihre Entscheidungen allein«, erwiderte Daniel im gleichen Ton.

      Warum gehen sie nur immer wie Kampfhähne aufeinander los, dachte Dr. Cornelius. Früher haben sie sich doch gut verstanden. Gab es da etwas zwischen den beiden, von dem er nichts wußte?

      »Ich werde dich jetzt mit meinen Mitarbeitern bekannt machen«, lenkte er schnell ab.

      Da war zuerst Dr. Jürgen Schoeller, einunddreißig Jahre, nur ein paar Zentimeter kleiner als Daniel, schlank, mittelblond und sehr sympathisch. Er hatte eine leise, angenehm