Dr. Schoeller. »Allerdings macht Mr. Delorme einen recht ausgeglichenen Eindruck.«
Was hat er gegen ihn, dachte Isabel. Dann kam ihr blitzartig ein Gedanke. Gefiel es ihm nicht, daß Felicitas sich so mit David beschäftigte?
»Doch, ich kann Ihnen rechtgeben. Schon die ersten Stunden auf der Insel der Hoffnung wirken sich günstig auf sein Seelenleben aus. Er ist der Hetze entflohen.«
»Die Menschen haben selbst schuld, wenn sie sich hetzen lassen. Wofür denn? Die Jagd nach Geld und Ruhm kann doch keine innere Zufriedenheit bringen.«
Isabel betrachtete ihn forschend.
»Waren Sie jemals arm?« fragte sie nachdenklich.
Er lächelte flüchtig. »Arm an Geld schon«, erwiderte er. »Ich bin bis jetzt noch nicht dazu gekommen, Reichtümer zu sammeln. Allerdings sehe ich auch nicht den Sinn meines Lebens darin.«
»Dann sind Sie zufrieden, mit dem, was Sie haben«, sagte Isabel.
»Ich bin glücklich, daß ich jetzt hier sein darf. Etwas Schöneres konnte ich mir gar nicht wünschen. Sind Sie mit Ihrem Leben zufrieden?«
»Doch, natürlich«, erwiderte Isabel, aber als sie es ausgesprochen hatte, wußte sie, daß es nicht stimmte. Aber was ging das diesen Dr. Schoeller an. Außerdem hatte sie denn Grund, unzufrieden zu sein?
Hatte sie nicht erreicht, was sie wollte? Nein, das Ziel, das sie sich gesteckt hatte, war noch immer nicht erreicht. Einmal wollte sie ganz unabhängig sein und nur das tun, was ihr Spaß machte. Aber auf die Annehmlichkeiten des Lebens wollte sie dafür nicht verzichten.
Als sie dann später in einem der hübschen, anheimelnden Häuser, in einem gemütlich eingerichteten Zimmer, das gar nichts mit der Nüchternheit eines Krankenzimmers gemein hatte, in einem breiten bequemen Bett lag, wanderten ihre Gedanken zurück zu jenem Tag, als sie als Volontärin ihren Weg begonnen hatte, wie jene Sabine Moll. Und ganz plötzlich kam es ihr in den Sinn, warum ihr der Name so bekannt vorgekommen war. Molly, Daniels treue Molly hieß Moll. Sollte Sabine ihre Tochter sein? Das wäre schon ein seltsamer Zufall. Und damit zerflossen ihre Gedankengänge auch schon, und Isabel sank in tiefen, traumlosen Schlummer.
Auch Frau Seidel war gleich eingeschlafen. Für sie war dieser Tag zugleich aufregend, himmlisch schön und beglückend gewesen. Ihr Dr. Norden hatte sie höchstpersönlich zu diesem wundervollen Zimmer geleitet, das sie nun vier Wochen bewohnen durfte. Vier Wochen im Paradies, worauf sollte sie noch hoffen am Ende eines Lebens? Etwas Schöneres konnte ihr nicht mehr widerfahren.
David Delorme hing anderen Gedanken nach. Auch er fühlte sich frei, aber er dachte an Lorna Wilding. Vielleicht würde auch sie hier, fern von Hektik und Betriebsamkeit, ihre innere Ruhe finden. Er wünschte sie nicht herbei, aber es wurde ihm bewußt, daß sie eine zu bedeutungsvolle Rolle in seinem Leben gespielt hatte, als daß er sich von einem Tag zum andern von ihr befreien konnte. Selbsterkenntnis sei der erste Schritt zur Besserung, hatte Isabel auf der Fahrt zu ihm gesagt; doch das hatte sie in bezug auf Lorna gemeint. Auch für ihn würde es gut sein, zur Selbsterkenntnis zu gelangen, denn schuldlos war er wohl nicht daran, daß Lorna soviel Macht über ihn gehabt hatte.
Hatte es ihm anfangs nicht gefallen, daß er sich nicht mehr Schritt für Schritt vorankämpfen mußte, daß sie ihm alle Erschwernisse aus dem Wege räumte, daß ihr Name, ihr Ansehen ihm Türen und Tore öffnete?
Was hatte denn Gladys gesagt? Was hatte sie ihm zugetraut? Doch nicht allzuviel. Er sei ein Phantast, hatte sie gesagt, und sie hatte ihn nicht gehen lassen wollen. Hatte nicht auch sie ihn auf ihre Weise zu einem Leben zwingen wollen, in dem er nicht glücklich geworden wäre?
Ja, Selbsterkenntnis allein konnte ihm nützen und ihn befähigen, den goldenen Mittelweg einzuschlagen, an sich zu arbeiten, langsam und stetig voranzuschreiten, zu lernen, die Menschen und die Welt mit klaren Augen zu sehen.
*
Während alle schon schliefen, saßen Dr. Cornelius und Daniel noch beisammen. Sie hatten schließlich auch einige geschäftliche Dinge zu besprechen.
»Im Laufe der nächsten Woche werden zwanzig Patienten eintreffen«, erklärte Dr. Cornelius. »In vier bis sechs Wochen werden wir voll belegt sein.«
»Du mußt mich auf dem laufenden halten, Hannes, damit ich auch disponieren kann. Ich habe einige Fälle, die ich dir anvertrauen möchte.«
»Das ist doch selbstverständlich«, sagte Dr. Cornelius.
»Wirst du mit einem Assistenten zurechtkommen?« fragte Daniel.
»Vorerst schon. Später kann man noch einen dazu nehmen. Aber Schoeller ist sehr zuverlässig, und ein zweiter Arzt müßte auf seiner Linie liegen. Gefällt er dir?«
»Schoeller. Gewiß. Er macht einen sehr sympathischen Eindruck.«
»Er ist ein guter Psychologe, das ist sehr wichtig. Ich hoffe, daß ich mit der Auswahl unserer Mitarbeiter die richtige Nase hatte. Es genügt schon, wenn die Patienten kommen und gehen. Wechsel im Personal mag ich nicht besonders.«
»Es sind immerhin ein paar junge hübsche Schwestern darunter. Sie werden nicht ewig bleiben. Und Fee?« Er unterbrach sich und blickte auf den Teppich.
»Sie freut sich auf die Aufgaben, die hier auf sie warten. Sie verspürt nicht den Drang nach der großen weiten Welt.«
»Wenn nicht einer kommt, der sie entführt in die große weite Welt«, sagte Daniel nachdenklich. Wenn er nicht jetzt schon gekommen ist, dachte er für sich weiter. Und ich, ausgerechnet ich, habe ihn auch noch hergebracht.
»Warum seid ihr eigentlich wie Hund und Katze?« fragte Johannes Cornelius sehr direkt.
»Frage mich nicht. Ich weiß nicht, was Fee gegen mich hat.«
»In gewisser Beziehung ist sie noch ein bißchen unreif«, sagte Dr. Cornelius. »Sie trägt es dir nach, daß du lieber deine Stadtpraxis behältst. Da hat sie irgendwas aufgeschnappt, daß du ein Modearzt seiest. Und gegen solche ist sie voreingenommen.«
»Das ist doch Blödsinn. Ich schicke keinen Patienten weg. Meint sie vielleicht auch, daß es ein Gag von mir war, daß ich Frau Seidel hergebracht habe? Dann kann ich ja nur froh sein, daß David Delorme zur gleichen Zeit gekommen ist. An ihm scheint sie ja tatsächlich einen Narren gefressen zu haben.«
Dr. Cornelius blinzelte zu Daniel hinüber. Ein rätselhaftes Lächeln legte sich um seinen schmalen Mund.
»Eines hat sie jedenfalls mit dir gemeinsam, Dan, die Liebe zur Musik. Du bist doch auch begeistert von seinem Spiel. Das ist Fee ebenfalls.«
»Er ist ein faszinierender junger Mann«, sagte Daniel, »und Fee ist ein bezauberndes Mädchen.«
»Aber zu klug, um sich Hals über Kopf zu verlieben.«
»Dagegen ist der Klügste nicht gefeit«, sagte Daniel.
»Darf ich mal fragen, wie du zu der sehr attraktiven Isabel stehst?« fragte der Ältere.
»Wir sind Freunde. Du brauchst mich gar nicht so skeptisch anzuschauen, Hannes. So unklug bin ich nicht, mit einer solchen Frau einen heißen Flirt anzufangen. Sie imponiert mir. Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben. Ich habe wirklich nicht die Absicht, mich zu binden. Lenchen versorgt mich gut. Warum sollte ich heiraten?«
Dr. Cornelius lachte leise. »Nun, vielleicht deshalb, um eine Familie zu haben«, meinte er.
»Für die ich keine Zeit hätte?«
»Immerhin bist du jetzt vierunddreißig. Ich finde, daß es das richtige Alter ist, sich nach einer Frau umzusehen. Nach der richtigen Frau, meine ich, denn ganz achtlos wirst du an ihnen ja nicht vorübergehen.«
»Es kann ja auch sein, daß diejenige, die ich für die Richtige halte, gegenteiliger Ansicht ist«, sagte Daniel gedankenvoll. »Was soll’s, Hannes. Mein Beruf füllt mich aus. Ich nehme ihn ernst, wenn man es mir auch nicht glauben will.«
»Ich glaube es dir«, sagte Johannes Cornelius