Jürgen Gulbins

Warum wir fotografieren


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der reduzierten Schärfentiefe wegen. Kit-Objektive mit maximalen Lichtstärken von F3,5–6,8 sind dafür weniger geeignet. Und je kleiner der Kamerasensor ist, umso lichtstärker muss das Objektiv sein. Berufsfotografen setzen für solche Aufnahmen Objektive mit Lichtstärken von F1,0 bis F1,2 ein. Bei etwas längeren Brennweiten – etwa dem typischen 85-mm-Porträtobjektiv (Vollformat bzw. KB-äqui- valent) – reichen auch F1,4 oder F1,8. (Mit F ist die maximal offene Blende eines Objektivs gemeint.) Diese Objektive sind jedoch relativ teuer und kosten mehr, als die meisten Amateure dafür ausgeben möchten. Aber auch Blendenwerte von f/2,8 oder f/3,5 sind sicher einsetzbar – eben mit etwas weniger Freistellung. Für die Aufnahme auf Seite 22 wurde sogar f/4,0 benutzt, möglich durch die etwas längere Brennweite, was eine geringere Schärfentiefe mit sich bringt. Für die Aufnahmen auf dieser und der nächsten Seite wurde aus dem genannten Grund ein lichtstarkes 45 mm, F1,8-Objektiv an einer MFT-Kamera (Micro-FourThirds) eingesetzt, und zwar bei Blende f/2,5, da leicht abgeblendet die Abbildungsqualität zunimmt.

      Und man muss Spaß an Nachbearbeitung haben sowie die Tricks dabei einigermaßen kennen. Magdalene hat sich diese Fähigkeiten autodidaktisch und mit Hilfe anderer Fotografen in ihrem Fotoclub erworben und setzt sie inzwischen sehr gekonnt ein. Man muss für solche Ergebnisse aber bereit sein, den Lernaufwand zu betreiben und dann die Zeit für die Nacharbeit aufzubringen. Tut man dies gerne, fällt die Arbeit leichter und man genießt den Erfolg mehr.

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      Nochmals ein Porträt von Annika. Eine Blende von f/2,5 und etwas Abstand sorgen für die optische Trennung des Kopfs vom Holzstapel mit ähnlichem Farbton im Hintergrund. So entsteht eine Ton-in-Ton-Aufnahme. (Olympus OM-D E-M5 Mark II mit M.Zuiko 45 mm F1,8 (90 mm KB-äquivalent), 1/1 600 s, f/2,5, ISO 160)

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      Gerade bei Porträts, verstärkt noch bei solchen mit Kindern und Jugendlichen, ist es sinnvoll, gleich eine ganze Serie zu erstellen, wie sie hier mit Annika entstand. Im Bild haben wir einen schönen Übergang von Unschärfe im Vordergrund, der Schärfe auf dem Gesicht und den Augen und der erneuten Unschärfe im Hintergrund. Für die Aufnahme ging die Fotografin ›auf Augenhöhe‹ zum porträtierten Gegenüber. (Olympus OM-D E-M5 Mark II mit M.Zuiko 45 mm F1,8 (90 mm KB-äquivalent), 1/2 000 s, f/2,5, ISO 160)

      So sitzt Magdalene oft abends, am Ende des Arbeitstags, wenn es draußen zu dunkel zum Fotografieren ist, an ihrem Rechner, um an ihren Bildern zu arbeiten. Es erfordert immer Experimentieren – mit dem Bildausschnitt, der Bildbearbeitung, mit unterschiedlichen Optimierungen, Verstärkungen, Abschwächungen, Retuschen. Dies kann – und ist bei Magdalene der Fall – aber trotz der erforderlichen Konzentration Entspannung und vor allem Befriedigung mit sich bringen.

       Eine andere Art von Porträt – Hände

      Es gibt viele Arten von Porträts – etwa die gezeigten Kopfporträts oder Halb- und Ganzkörperporträts. Mit etwas Fantasie – und der Bereitschaft der Porträtierten – kommt man jedoch auf eine andere Art von Porträts, bei der nicht einmal das Gesicht der Person zu sehen ist und die trotzdem viel über die Person aussagen kann. Eine solche Art sind Aufnahmen von Händen, wie wir sie auf dieser und den nachfolgenden drei Seiten sehen. Für solche Aufnahmen sollte man versuchen, einen Blick für interessante Details zu entwickeln.

      Die Aufnahme auf Seite 30 zeigt die Hand eines Mannes, sichtbar von Arbeit und Alter gezeichnet. Der Ausschnitt erfasst die typische Haltung eines Boule-Spielers mit den Kugeln in der Hand hinter dem Rücken. Die Rauheit der Hand sowie die Spuren in den Boule-Kugeln passen harmonisch zusammen.

      Natürlich liegt in dieser Beschreibung eine Interpretation, etwas Lebenserfahrung, etwas Fantasie, aber jedem Erwachsenen mit eigener Lebenserfahrung wird diese Assoziation in den Kopf kommen. Es sind keine ›schönen Hände‹ im Sinne unserer oft sehr vordergründigen Kosmetikindustrie, sondern sie sind rau, faltig, abgearbeitet, gezeichnet vom Leben im wörtlichen Sinn. Es sind Hände, die eine Lebensgeschichte erzählen und die sich – zumindest im Bild – nun ausruhen, entspannt gefaltet sind. Man braucht als Fotograf Empathie, um solche Aufnahmen zu machen.

      Jünger ist eine Hand in der nebenstehenden Aufnahme, während die zweite nochmals ein höheres Alter aufweist und noch faltiger ist. Und das Bild erzählt eine etwas andere Geschichte. Die Aufnahme komponiert eine junge sowie eine alte Hand in einem Bild. Das Bild erzählt eine kleine Geschichte, direkter noch als es die ›alten Hände‹ alleine tun. Hier umklammern die kleinen, noch schrumpeligen Finger des Kindes die großen, schon etwas rauen Finger des Erwachsenen. Man sieht förmlich die Bindung, die dabei zwischen den beiden Personen entsteht.

      Im Bild auf der gegenüberliegenden Seite liegen zwei Hände schützend, behütend um den Kopf des Neugeborenen. Das Bild ist, ohne ein Gesicht zu zeigen, ein Porträt von zwei Personen, dem Baby und seiner Großmutter. Auch hier ist der Kontrast zwischen der weichen, zarten Haut des Kinderkopfs und den deutlich älteren Händen erzählend.

      Mit solchen Aufnahmen entstehen nicht nur ›einfache Bilder‹, es bildet sich auch eine besondere Art von Dokumentation, von Erzählung, von Erinnerung. Man muss sie nur zu würdigen wissen.

      Schaut man ein wenig voraus und stellt sich vor, dass man der jungen Frau als Braut, die damals erst kurze Zeit auf der Welt war, dieses Bild zur Hochzeit schenkt, so wäre dies ein Geschenk, das weit über die inzwischen üblichen vorbereiteten Geschenkeinkaufslisten hinausgeht, das etwas Besonderes ist. Ist das nicht ein schöner Grund zu fotografieren?

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      ›Porträt‹ zweier Hände – einer ganz jungen und einer alten Hand, beide etwas faltig, die junge Hand noch, die alte Hand schon wieder. (Olympus OM-D E-M5 Mark II, mit M.Zuiko 12–40 mm, F2,8, bei 34 mm (68 mm KB-äquivalent), 1/50 s, f/7, ISO 200)

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      Hinterkopf und beschützende Hände. Das Schwarzweißbild passt hier sehr viel besser als die Version, die in Farbe aus der Kamera kam. Auch das ist eine bewusste fotografische Entscheidung. (Canon EOS 600D, EF 24–70 mm L F2,8 USM bei 70 mm (112 mm KB-äquivalent), 1/20 s, f/5,6, ISO 400).

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      Hand eines Boule-Spielers, entspannt und im richtigen Licht sowie mit einem gelungenen Wechselspiel von Schärfe und Unschärfe aufgenommen (Olympus OM-D E-M5 Mark II mit M.Zuiko 12–40 mm F2.8, bei 40 mm (bei 80 mm KB-äquivalent), 1/100 s, f/5,6, ISO 320, Ausschnitt)

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      Ein weiteres Bild aus Magdalenes Serie zu ›Junge und alte Hände‹. Hier sieht man die Hände eines alten Ehepaars, die eine Vertrautheit und ein Gefühl von gegenseitiger Zuneigung zum Ausdruck bringen. Die Hände der Frau sind von Gicht gezeichnet. Die beiden sichtbaren Eheringe erzeugen eine gewisse Harmonie. Dieses Bild in Farbe würde der Aufnahme einen Teil der Atmosphäre rauben.

      (Olympus OM-D E-M5 Mark II mit M.Zuiko 12–40 mm F2,8, bei 40 mm (bei 80 mm KB-äquivalent), 1/60 s, f/5,6, ISO 250)

       Fokussierung ist gut, ›fotografische Breite‹ ebenso

      Es hilft, wenn man sich als Fotograf auf ein Genre fokussiert, denn die verschiedenen Arten der Fotografie haben alle ihre eigenen Regeln. Beschäftigt man sich mit einem Genre intensiver, dann wird man darin besser, sammelt Erfahrung und kann die Einstellungen an der Kamera für die unterschiedlichen Szenen des Genres schneller und gekonnter