Gabriele Praschl-Bichler

Kaiserliche Kindheit


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bei mir. Nachmittags gingen wir in den Harrachischen Garten in die Blumenausstellung. Abends sind wir (Ferdinand Maximilian, Carl Ludwig und ein Erzieher) allein.

      Der Spaziergang auf der Bastei zählte wie der Besuch des Praters zu den beliebtesten Ausflügen der Wiener. Die Bastei war die alte Befestigungsanlage der Stadt, die in etwa wie die heutige Ringstraße verlief und die Innere Stadt (den ersten Bezirk) und die Längsseite der Hofburg umgab. Ihre Wälle waren begrünt und verfügten über zahlreiche Vergnügungsstätten.

      Der Harrachische Garten/Kaisergarten gehörte zum ehemaligen Gartenpalais Harrach, das auf eine wechselvolle Besitzergeschichte zurückblickt. Ursprünglich Eigentum der gräflichen Familie Harrach, kam es später in den Besitz Kaiser Leopolds II., wurde danach von einer anderen Familie erworben und ging zuletzt wieder in kaiserlichen Besitz über. Der berühmte Obstgarten, in dem sogar exotische Früchte gediehen, wurde ab 1841 zum größten Teil der drei Jahre zuvor gegründeten Gartenbaugesellschaft überlassen, die dort jedes Jahr Blumen- und Obstausstellungen veranstaltete. Erzherzog Carl Ludwig verbrachte auch die beiden folgenden Tage im Kaisergarten oder auf kurzen Spaziergängen mit der Mutter im Prater.

      Einen wesentlichen Höhepunkt brachte der 1. Mai, der um diese Zeit noch eine andere Bedeutung hatte als heute. Der Frühlingsbeginn wurde mit einem öffentlichen Fest im Freien begangen. Alle Welt – Reich und Arm – strömte in den Prater, um dort zu sehen oder gesehen zu werden. Die Damen erschienen in den neuen Frühjahrstoiletten, die Männer führten die neuerworbenen Wagen vor. Für alle Mitglieder der kaiserlichen Familie, die sich um diese Zeit in Wien aufhielten, stellte es eine Pflicht dar, an dem Fest teilzunehmen. Das Publikum dankte für das Erscheinen des Kaisers und der Erzherzoge mit lauten Beifallsbezeugungen.

       Mai 1844

       Mittwoch

      1. Mittags sind wir in den Kaisergarten (= Harrachischer Garten, siehe auch Eintragung vom 28. April) gegangen. Um ½ 4 Uhr Nachmittags haben wir im Prater mit dem Prinzen Nassau, mit der Mama, mit dem Papa und mit noch mehreren Anderen gespeist. Wir haben den neuen Wagen Sandor’s gesehen; er ist sehr lächerlich. Dann haben wir viele Jokeys gesehen, und auch noch viele andere Wägen, es war recht hübsch, aber sehr kalt. Heute Abends war ich allein.

      Das mittägliche Zusammensein im Prater vereinte einen Großteil der in Wien lebenden Habsburger sowie etliche Mitglieder anderer Fürstenfamilien. Der elfjährige Carl Ludwig hatte noch einen Prinzen von Nassau wahrgenommen. Vermutlich handelte es sich bei ihm um den in österreichischen Diensten stehenden Prinzen Moritz Nassau, dem Bruder des späteren Großherzogs Adolf von Luxemburg. Selbstverständlich gehörte auch er ›zur Familie‹. Denn der mittlerweile verwitwete Erzherzog Carl, der Bezwinger Napoleons, war mit Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg verheiratet gewesen, die eine direkte Tante von Moritz war.

      Mit ›Sándor‹ ist Moritz Graf Sándor von Szlawnicza gemeint, der durch seine Ehe mit Prinzessin Leontine Metternich Schwiegersohn des Staatskanzlers war. Er galt als einer der wagemutigsten Reiter seiner Zeit, verfügte aber auch über etliche Marotten, zu denen das alljährliche Vorführen eines neuen Wagens gehörte. Die Bemerkung, man habe ›den neuen Wagen Sandor’s gesehen; er ist sehr lächerlich‹, entstammte sicher einem Erwachsenenmund, die der selten kritisierende Junge hier übernahm. Obwohl Graf Sándor tatsächlich von der Wiener Gesellschaft belächelt wurde – er hatte von etlichen Stürzen Kopfverletzungen davongetragen, wodurch er absonderlich wurde –, hielt gerade die kaiserliche Familie treu zu ihm. Als er 1850 bei einem Unfall mit dem Hinterkopf an ein eisernes Gitter geschleudert wurde, litt er in der Folge unter Wahnsinnsanfällen. Er verbrachte eineinhalb Jahre in einer Nervenheilanstalt und war in der Folge nur noch bedingt gesellschaftsfähig, wie man den Memoiren seiner Tochter Pauline (verehelichte Fürstin Metternich) entnehmen kann: »… wer nur einige Worte mit ihm wechselte, merkte nichts von seinem traurigen Zustande. Bei einem längeren Gespräche fielen die Wiederholungen alter Geschichten auf … Der Kaiser und der gesamte kaiserliche Hof haben die treu dynastische Haltung meines Vaters nie vergessen. Insbesonders ließen die Frau Erzherzogin Sophie und Erzherzog Franz Carl keine Gelegenheit vorübergehen, ohne ihn, trotz seines Zustandes, zu sich zu rufen, so zwar, daß, wenn er im Sommer nach Ischl kam, er immer gleich zur Hoftafel geladen wurde … Erzherzogin Sophie (richtete es) dann immer so ein, daß kein Fremder an diesem Tage mit zur Hoftafel gezogen wurde, damit er, wie sie so liebevoll sich äußerte, ›die Freude haben möge, seine alten Geschichten ungestört erzählen zu können‹.« (Metternich, S. 53)

       Donnerstag

      2. Heute sind wir Mittags auf der Bastei und auf dem Glacis (eine der Bastei vorgelagerte, breite, unbebaute Fläche, die die Innere Stadt von den Vorstädten trennte) gegangen. Heute Nachmittags sind wir mit der Mama zum Wassertreter gegangen; es war ziemlich hübsch. Heute war die Großmama mit der Amie bei uns.

      Der erste gemeinsame Ausgang mit der Mutter ›zum Wassertreter‹ hatte sicherlich einen medizinischen Hintergrund. Daß Erzherzog Carl Ludwig die Räume dort ›ziemlich hübsch‹ fand, mag entweder mit der ungewöhnlichen Einrichtung zusammenhängen, eher aber mit seiner glücklichen Stimmung: Er durfte nach etlichen Wochen der Entbehrung endlich wieder mit der geliebten Mutter ausgehen. An den Abenden wurde die strenge Trennung (in geschlossenen Räumen) aber weiter aufrechterhalten.

      Seit 1. Mai waren zumindest gemeinsame Ausgänge erlaubt, weshalb in den Eintragungen der folgenden Tage von Spaziergängen mit den Eltern zu lesen ist. Außerdem wird eine neuerliche Besserung im Befinden des Bruders Franz Joseph verzeichnet (4. Mai).

       Sonntag

      5. Mittags waren wir in der Stadt, auf der Bastei und auf dem Glacis. Heute hat der Maxi bei der Mama gespeißt. Nachmittags waren wir ein wenig in der Stadt. Dann sind die Cameraden gekommen und wir haben im Kaisergarten exercirt und gespielt. Abends war die Großmama mit der Amie da.

      Eine besondere Hervorhebung – gleichzeitig aber auch eine besondere Enttäuschung – enthält der Vermerk, daß der Bruder Ferdinand Maximilian (wie sonst alle Brüder) das Mittagessen gemeinsam mit der Mutter einnehmen durfte. Er war schon früher an Scharlach erkrankt gewesen, weshalb man ihm das Zusammensein mit ihr früher erlaubte.

       Montag

      6. Heute Mittags waren wir in einem Gewölb (vermutlich in einem tiefliegenden Verkaufsladen) und haben etwas gekauft. Nachmittags sind wir mit der Mama im Prater spazierengegangen. Heute Abends bin ich allein, aber der Maxi ist mit der Mama im Theater, wo die Elßler tanzt.

      Abermals durfte der Bruder Ferdinand Maximilian der Mutter Gesellschaft leisten. Der sicherlich sehr enttäuschte Carl Ludwig verbrachte die Zeit wie üblich ›allein‹ mit einem Erzieher.

      Mit der im Theater tanzenden ›Elßler‹ ist die damals weltberühmte Balletteuse Fanny Elßler (1810–1884) gemeint, die durch die Neuartigkeit ihres Tanzstils und durch ihre Schönheit zu den meistbewunderten Tänzerinnen ihrer Zeit zählte.

       Dienstag

      7. Heute ist der Onkel Carl mit dem Fritz angekommen. Mittags waren wir im Augarten, wir sind auch geritten. Nachmittags bin ich mit dem Papa allein ausgegangen, und zwar in den Prater und dann ist die Mama gekommen. Wir sind mit ihr herumgegangen, dann bin ich mit dem Papa in das Kärntnerthortheater gegangen, dort hat die Elßler in einem neuen Ballet getanzt; es war sehr hübsch.

      Bei Onkel Carl handelt es sich abermals um Erzherzog Carl, den Sieger über Napoleon. Fritz (Erzherzog Friedrich) war einer seiner Söhne, der drei Jahre später im Alter von nur 26 Jahren verstarb.

      Erzherzog Carl Ludwig besuchte an diesem Abend mit seinem Vater offensichtlich dieselbe Vorstellung, die sein Bruder tags zuvor gesehen hatte. Sie fand im heute nicht mehr existierenden ›K.k. Hoftheater nächst dem Kärntner Thore‹ (dem Stadttor an der Kärntner Straße) statt, das an der Hinterseite – der damals noch nicht bestehenden – Staatsoper lag. Dort wurden vor allem Ballette sowie italienische und deutsche Opern aufgeführt.

       Mittwoch