Übung zählt zu den wenigen im Tagebuch erwähnten Unterrichtsstunden, was darauf schließen läßt, daß Carl Ludwig sie nicht ungern hatte. Den darauffolgenden Abend gab es ein Hofkonzert, an dem die Kinder – von der Galerie aus zusehend – teilnehmen durften.
Dienstag
21. Mittags waren wir im Augarten und um ½ 4 Uhr Nachmittags sind wir auf den Glashausball gegangen, und haben dort getanzt; ich habe die Quadrille mit der älteren Taaffe getanzt und mit der jungen Bellegarde den Cotillon, nach dem sind wir in den Prater spazierengegangen. Abends waren wir bei der Mama. Die Tante Amelie und der Prinz Wasa waren dort.
Schon sehr früh durften die Erzherzoge an Kinderoder Adoleszentenbällen teilnehmen, die am Nachmittag oder frühen Abend stattfanden und – wie die meisten Bälle bei Hof – zeitlich genau begrenzt waren. Carl Ludwig war wie seine Brüder ein begeisterter Tänzer und Ballbesucher – eine Leidenschaft, die er bis an sein Lebensende beibehielt.
Der elfjährige Tagebuchschreiber erwähnte zunächst einen Tanz mit der ›älteren (von zwei Schwestern) Taaffe‹. Vermutlich ist damit eine der drei Töchter Graf Ludwig Taaffes, k.k. Kämmerers, Geheimen Rats, Präsidenten der Obersten Justizstelle und der Hofkommission in Justizgesetzsachen, gemeint. Es wird sich dabei wohl nicht um die älteste, neunzehnjährige Clementine gehandelt haben, sondern eher um die nächstältere Walburga, die zu dem Zeitpunkt aber auch schon siebzehn Jahre alt war. Wahrscheinlich besuchte sie gemeinsam mit ihrer vierzehnjährigen Schwester Amalie den Ball, weshalb Walburga als ›die ältere‹ der beiden bezeichnet wurde. Der auf jeden Fall enorme Altersunterschied von sechs Jahren, den Walburga von ihrem Tänzer trennte, wurde durch seinen Status wettgemacht: Carl Ludwig war ein ranghoher Erzherzog, mit dem zu tanzen jeder auch noch so alten Gräfin eine Auszeichnung darstellen mußte.
Mit der ›jungen Bellegarde‹ ist die 14jährige Pauline gemeint, deren Vater, August Graf Bellegarde, Obersthofmeister der Kaiserin Caroline Auguste war.
Ein gesellschaftliches Detail am Rande: Wäre Erzherzog Carl Ludwig zum Zeitpunkt dieses Balles an die 18 Jahre alt gewesen und würde er den Cotillon mit der Gräfin Bellegarde während einer Saison noch einmal getanzt haben, dann hätte er sie innerhalb der nächsten Monate heiraten müssen. Dieser Tanz galt für Heiratsfähige damals als öffentliches Bekenntnis der gegenseitigen Liebe. Allerdings hatte der erwachsene Carl Ludwig sehr darauf geachtet, wann und mit wem er den Cotillon tanzt, da er wußte, daß die Verbindung mit einer Gräfin unstandesgemäß war und mit großer Wahrscheinlichkeit den Ausschluß aus dem Kaiserhaus nach sich gezogen hätte.
Tante Amelie und Prinz Wasa waren Geschwister, Kinder des letzten regierenden Königs von Schweden aus dem Hause Wasa, und mit Erzherzogin Sophie im ersten Grad vercousint. Ihre Mütter, Friederike und Karoline, Königinnen von Schweden und Bayern, waren Schwestern und Töchter des Erbprinzen Carl Ludwig von Baden. Amelie war seit Kindertagen die beste Freundin Sophies, mit der sie über Jahre hindurch einen innigen Briefverkehr hegte. Sie blieb unverheiratet und lebte als erwachsene Frau vorwiegend in Wien. Ihr Bruder, Prinz Gustav Wasa, der als Offizier in der österreichischen Armee diente, wäre der schwedische Thronprätendent gewesen, wenn sein Vater, König Gustav IV. Adolf, nicht im Jahr 1809 den Thron verloren hätte.
Mittwoch
22. Mittags sind wir mit der Mama und mit dem kleinen Ludwig in den Pratergarten gefahren, und haben dort mit der Mama, mit dem kleinen Ludwig, mit der Gräfin Arco, mit der Stephanie (unleserlich), mit der Gräfin Schönborn, mit der Marie Stadion und mit der Marie Vécsey gefrühstückt. Wir sind wieder zum Franzi in unsere alte Wohnung gezogen; er befindet sich sehr wohl. Nachmittags fuhren wir in den Prater, und sind dort dem Stephan, dem Kaiser und dem Franzi begegnet. Wir waren bis ¼ 10 Uhr Abends bei der Mama. Heute war auch der schöne Ball im Augarten, den der Gordon (vermutlich der damalige englische Botschafter in Wien) gibt. Die Mama geht auch hin.
An diesem Tag wurde die Krankheit Franz Josephs offiziell für beendet erklärt. Die Brüder Ferdinand Maximilian und Carl Ludwig zogen zurück in ihre Wohnung, die sie mit dem ältesten Bruder teilten. Deshalb fanden etliche Familienzusammenkünfte statt, um die Quarantäne feierlich zu beschließen.
Bei den neu hinzugekommenen Gesellschafterinnen während des Praterspaziergangs handelt es sich zunächst um eine – ohne Vornamen unter einer Vielzahl von weiblichen Familienmitgliedern nicht zu bestimmende – Gräfin Arco und um eine in den folgenden Eintragungen zigmal zitierte Gräfin Marie Vécsey, die mit der Leitung der Kammer des dreijährigen Ludwig Victor betraut war. Ihr Rang muß dem einer Aja entsprochen haben, obwohl sie den Titel – verwunderlicherweise – nicht führte.
Freitag
24. Um 9 Uhr frühstückten wir mit allen Carlischen und auch mit dem Papa und mit der Mama. Wir machten Visiten und später sind wir mit dem Papa und mit der Mama in den Prater spazieren gegangen. Abends besucht uns Albert. Um ½ 9 Uhr gingen wir zur Mama. Franzi ging in das Kärntnerthortheater, wo die Elßler tanzte.
›Alle Carlischen‹ meint den – zu diesem Zeitpunkt – in Wien lebenden Teil der Familie des verwitweten Erzherzog Carl. Dazu gehörten der mit Hildegarde von Bayern verheiratete Sohn Albrecht (›Albert‹) und die Kinder Carl Ferdinand, Marie Karoline und Wilhelm. Da ›Albert‹, der älteste Sohn Erzherzog Carls, als einzelner Abendbesuch noch einmal erwähnt wird, kam er an diesem Tag offensichtlich zweimal.
Samstag
25. Mittags waren wir im Augarten. Nachmittags sind wir nach Schönbrunn gegangen. Abends waren wir bei der Mama.
Daß man am Nachmittag nach Schönbrunn ›ging‹, bedeutet, daß an diesem Tag einer der zweimal pro Jahr stattfindenen Umzüge stattfand. Im Frühjahr wechselte die kaiserliche Familie von der in der Wiener Innenstadt liegenden Hofburg in das Landschloß Schönbrunn, im Herbst fand die Rückübersiedlung statt. Für die jungen Erzherzoge bedeutete der Aufenthalt in Schönbrunn eine Verminderung des theoretischen Unterrichtsstoffs, mehr Lehrstunden im Freien und viel gemeinsame Zeit mit den Eltern, mit denen man ausgiebige Spaziergänge unternahm.
Pfingstsonntag – Sonntag
26. Heute ist Pfingstsonntag. Mittags waren wir im Boulingrin und haben dort mit den Bombelles gespielt. Wir speisten bei der Mama. Nachmittags waren wir mit der Mama und mit dem Papa in dem bothanischen Garten, und beim Richter von Lainz (einem Speiselokal in der Nähe des Lainzer Tiergartens, der zu den kaiserlichen Jagdrevieren gehörte und im Westen von Schönbrunn liegt). Abends waren wir bei der Mama.
Die Bezeichnung ›Boulingrin‹ besteht seit dem 17./18. Jahrhundert als französisierte Fassung des englischen Wortes ›Bowling Green‹. In Schönbrunn war damit ein innerhalb des Schloßparks abgegrenzter Teil bezeichnet, der an die Orangerie anschloß und sich bis zum Meidlinger Tor erstreckte. Das Boulingrin umfaßte einen Kinderspielplatz mit Schießbuden, einen Kaninchenstall, eine Schaukel und ein kindergerechtes Festungswerk. Später wurde auch eine kleine Meierei angelegt. Das ›Café Meierei‹ erinnert bis heute an den einstigen Kinderspielplatz der Erzherzoge. Im Inneren des Kaffeehaus-Pavillons befindet sich übrigens ein Aquarell der spielenden Kinder vor demselben Gebäude im Originalzustand.
Pfingstmontag – Montag
27. Wir speisten bei der Mama. Nachmittags waren wir mit der Mama beim guerra. Es war sehr schön. Abends waren wir bei der Mama.
Eine für Erzherzog Carl Ludwig typische Eintragung: zwei Zeilen mit drei Hinweisen auf ein Zusammensein mit der geliebten Mutter.
Wer oder was sich hinter ›guerra‹ (Krieg?/Kriegsheld?) verbirgt, läßt sich nicht nachvollziehen. Vielleicht ist damit ein – verwandter oder gut bekannter – Militär gemeint, den man mit diesem Spitznamen rief. Die Eintragungen der beiden nächsten Tage wiederholen Spaziergänge und abendliche Zusammentreffen mit Erzherzogin Sophie.
Donnerstag
30. Heute ist der Namenstag des Kaisers und des Maxi. Er (der Bruder) hat von der Mama ein großes