in der halben Welt bekannt geworden wäre“, erklärte der Heimatforscher Ludwig von Hörmann 1877.
Im 18. Jahrhundert begannen die Deferegger mit Teppichen und Decken zu handeln. „Kotzen“ oder „Deferegger Teppiche“ hieß diese grobe Ware aus Kuhhaar, die sie im Pustertal einkauften. Später, als die Hausierer auch in die Städte gingen, waren feinere und kostbarere Decken und Teppiche gefragt. Die bezogen sie aus dem schwäbischen Nördlingen. Es gab Zeiten, in denen jeder fünfte Deferegger als Hausierer unterwegs war. Auch Reimmichls Großvater mütterlicherseits gehörte dazu.
Es hätte sich für einen einzelnen Händler jedoch nicht gelohnt, die Ware, die er auf seine Kraxe gepackt hatte, vom Defereggental bis in weit entfernte Länder zu tragen. Deshalb taten sich jeweils mehrere Hausierer zusammen – meistens waren es Verwandte und Freunde – und gründeten eine Handelsgesellschaft, eine sogenannte „Kompanie“, in die jeder einen bestimmten Betrag (Einlage) einzahlte. Mit dem Geld wurden in fernen Gebieten Lager angelegt und der Transport der Ware zu den Lagern organisiert. Der einzelne Hausierer reiste dann zum jeweiligen Lager und betrieb den Handel von dort aus. Zusätzlich wurden noch Lohnknechte angestellt. Anführer einer „Kompanie“ war jeweils ein versierter, erfahrener Hausierer.
Kehrte die „Kompanie“ nach erfolgreicher Handelsfahrt wieder ins Tal zurück, wurden alle Rechnungen beglichen, die Knechte entlohnt und der Gewinn entsprechend der Einlage unter den Gesellschaftern aufgeteilt. Dabei hatten die Knechte die Möglichkeit, zu Gesellschaftsteilhabern aufzusteigen: Sie konnten ihren Lohn, oder einen Teil davon, in der gemeinsamen Kassa stehen lassen, um zukünftig bei den Handelsreisen bereits mit bescheidenem Kapital als Teilhaber zu hausieren und am Gewinn beteiligt zu sein. Diesen Karriereweg ging auch der Eggerbauer Johann Rieger. Er begann in den 1840er-Jahren als Kompanie-Knecht und brachte es durch Fleiß im Laufe entbehrungsreicher Jahre schließlich zum wohlhabenden Gesellschafter. 1884 – Reimmichl war zu dieser Zeit bereits Kooperator in Sexten – schied Johann Rieger aufgrund einer chronischen Krankheit aus und ließ sich auszahlen. Ein Teilhaber konnte nämlich jederzeit Abrechnung verlangen und aus der Kompanie ausscheiden.
Auf diese Handelsfahrten wurden oft bereits Halbwüchsige mitgenommen. Die Hausierer erwarben sich deshalb bereits früh Handels- und Sprachkenntnisse, sie zeigten gewandte Umgangsformen: Reimmichls Vater wurde ein ausgezeichneter Geschäftsmann, war geschätzt wegen seines klugen Rates und konnte sich in drei Sprachen sehr gut verständigen.
Die Deferegger Hausierer blieben aber Bauern – trotz des großen wirtschaftlichen und finanziellen Erfolges. Der Handel war immer nur ein Nebenerwerb. Dass sie aber erfolgreich waren, zeigten sie deutlich: Sie kleideten sich gern nach neuester Mode, die sie auf ihren Fahrten kennenlernten. Wenn sie aber daheim in städtischer Kleidung zur Heuarbeit schritten, löste das im Tal natürlich Kopfschütteln aus: Als „Deferegger Grafen“ wurden sie dann verspottet. Sie spielten daheim überhaupt gerne die feinen, noblen Herren. Andererseits zeigten sie sich oft großzügig. Gerade Reimmichls Vater war ein solches Vorbild an Großzügigkeit, sei es gegenüber der Nachbarschaft, der Gemeinde oder der Kirche. Aber auch andere „Fortgeher“, die im Ausland zu Wohlstand gekommen sind, erwiesen sich immer wieder als Wohltäter ihres Heimattales. So übernahm z. B. ein einzelner Hausierer, der ebenfalls zum Mitbesitzer einer Handelsgesellschaft aufgestiegen war, fast die gesamten Kosten für die Errichtung eines Armenhauses.
Johann Rieger begann seine Handelskarriere als Lohnknecht einer Handelskompanie. Als er 1860 mit 33 Jahren die um vier Jahre jüngere Maria Brugger vom Breudinghof heiratete, war er als „Teppich- und Hut-Vertreter“ bei einer St. Veiter Handelsgesellschaft beschäftigt. Durch Fleiß brachte er es bis zum Teilhaber. Später wirkte er in Lemberg (heute in der West-Ukraine), Prag und Budapest, wo die Handelsgesellschaft Niederlassungen betrieb. Er war nur noch wenige Wochen im Jahr zur Sommerszeit und um Weihnachten daheim.
Johann Rieger zog sich jedoch während der früheren, entbehrungsreichen Jahre ein Lungenleiden zu, das ihn schließlich mit 57 Jahren zwang, aus dem Geschäft auszusteigen. Er ließ sich 1884 seine Gesellschaftsanteile auszahlen und verfügte nun über ein beträchtliches Vermögen. Mit einem Teil davon vergrößerte er durch Zukäufe seinen Hof, den bisher seine Frau und sein Bruder, „Onkel Stöffl“ genannt, bewirtschafteten. Es blieb aber immer noch genügend Geld übrig für ein finanziell abgesichertes Leben. Auch wenn er seine Krankheit nie mehr ganz überwand: In der frischen Luft des Defereggentales besserte sich sein Gesundheitszustand zusehends und er konnte wieder alle bäuerlichen Arbeiten verrichten.
Natürlich wollte die Gemeinde nicht auf einen so welterfahrenen und erfolgreichen, gleichzeitig bekannt hilfsbereiten Mann verzichten, und so wurde er Bürgermeister von St. Veit. Er hatte für die Nöte der Gemeindebürger immer ein offenes Ohr, war ein geschätzter Ratgeber und unterstützte in Not geratene Mitbürger mit Zuwendungen aus eigener Tasche oder verhalf ihnen zu günstigen Darlehen, für die er oft selbst bürgte.
Er war auch ein großer Wohltäter der Kirche: Anlässlich der Primiz seines Sohnes Sebastian 1891 spendierte er der Seelsorgskirche in St. Veit einen herrlichen Messornat, einen goldenen Kelch, eine Monstranz und ein Ziborium (Aufbewahrungskelch für die konsekrierten Hostien).
Johann Rieger waren nach dem Ausscheiden aus der Firma allerdings nur elf Jahre vergönnt, dann meldete sich wieder die alte Krankheit. Er starb 1895 im Alter von 68 Jahren. Reimmichl war damals Kooperator in Dölsach und konnte die letzten Stunden bei seinem Vater verbringen und die Totengebete sprechen.
Reimmichls Eltern: Johann Rieger mit „Kaiserbart“ (1827–1895) und Maria geb. Brugger (1831–1914)
(Foto: Reimmichlmuseum, Hall)
Johann Rieger hinterließ ein beträchtliches Vermögen, von dem auch Reimmichl seinen Anteil bekam. Nun offenbarte sich erstmals die selbstlose Großzügigkeit Reimmichls, die sein Leben auszeichnen sollte. Den Großteil des Erbes verwendete er zum Ankauf einer Volksbibliothek, die er der Gemeinde Dölsach, wo er gerade Kooperator war, zum Geschenk machte. Um den Rest ließ er sich eigene Möbel anfertigen. Sein Neffe Dr. Hans Brugger erzählt, dass Reimmichl zeitlebens an diesen altmodischen Möbeln hing und sie bei jeder Übersiedlung, von Pfarrhaus zu Pfarrhaus, bis nach Heiligkreuz, mitschleppte, gleichsam als Erinnerung an seinen Vater, den er tief verehrte.
Alte St. Veiter schilderten Johann Rieger, der einen sogenannten Kaiserbart, also einen Backenbart trug, als eher schweigsam – für einen Deferegger ungewöhnlich, wie Reimmichl später schmunzelnd meinte -, aber hilfsbereit, pflichtbewusst, rechtschaffen und tief religiös. Musterhafte Ordnung am Hof war ihm selbstverständlich und strengen Gehorsam setzte er voraus. Doch ein Laster hatte auch dieser charakterfeste Mann, das er zweifellos Reimmichl vererbte: Er rauchte Pfeife wie ein Schlot.
Albuin Messner, ein Freund Reimmichls und von 1917 bis 1937 Pfarrer von St. Veit, berichtet in seinen Aufzeichnungen von einer anderen Facette Riegers: „Vater Rieger war mit seinen Kindern sehr streng, nie hat er sie verwöhnt. In Anwesenheit des Vaters herrschte stets Ruhe in der Stube, umso lauter ging es her, wenn der Vater nicht in der Nähe war.“
Reimmichl erbte von seinem Vater die Großzügigkeit und den Drang in die Ferne, der ihn später auf große Reisen durch Europa, vom Nordkap bis an die Küste Afrikas führen sollte.
Da Johann Rieger den Großteil des Jahres auswärts verbrachte, musste seine Frau Maria in Abwesenheit des Mannes die Rolle des Familienoberhauptes übernehmen. Sie bewirtschaftete den Hof gemeinsam mit Stöffl, einem Bruder ihres Mannes, führte den Haushalt und zog die Kinder groß. Sie war klug, geschickt und führte ein strenges Regiment. Ihr Einfluss auf die Entwicklung der Kinder war größer als jener des Vaters.
Reimmichls Mutter wurde 1831 als Maria Brugger vom Breudinghof geboren. Als sie 1860 mit 29 Jahren Johann Rieger heiratete, konnte sie weder lesen noch schreiben, ein äußerst unangenehmer Zustand, wenn man bedenkt, dass der Mann die meiste Zeit des Jahres in der Fremde war. Doch die Liebe zu ihrem Mann und der Wille, eine tüchtige Hausfrau zu werden, bewogen sie, noch mit 30 Jahren Lesen und Schreiben zu lernen, wobei sie ihr Mann und ihr Schwager kräftig unterstützten. So war in Zukunft wenigstens ein regelmäßiger Briefkontakt zwischen den beiden Eheleuten