Wucht ihrer Oberweite steckte in einer augenscheinlich hauchdünnen Bluse, die deutlich zeigte, daß die junge Dame auf Stützen jeder Art bewußt verzichtete. Das Haar war schulterlang und honigblond.
Nicht nur Parker war beeindruckt.
Es gab da auf dem Parkplatz eine Reihe von Männern aller Altersklassen, die völlig vergaßen, daß sie ei-gentlich in ihre Wagen steigen wollten. Diese Männer sahen verstohlen oder offen hinüber auf das Grund-stück und auf die Malerin, die sich wohl nicht bewußt war, wie sehr sie die Räumung des Parkplatzes verzö-gerte.
Der Parkplatz gehörte zu den Tennisanlagen von Kew Gardens, westlich von London, an der Themse ge-legen. Das Match einiger lokaler Vereine war vor zehn Minuten beendet worden. Der Andrang auf dem Parkplatz war dementsprechend massiv.
Der überdachte Swimming-pool gehörte zu einem kleinen Landsitz, der von weiten, gepflegten Rasenflä-chen und Baumgruppen umgeben wurde. Dieser Swimming-pool mit den zum Garten hin geöffneten Glastü-ren fügte sich gerade noch in das ansonsten seriöse Gesamtbild ein.
»Ich werde für Sie den ›Playboy‹ abonnieren«, ließ Agatha Simpson sich ironisch vernehmen. Sie stand inzwischen seitlich hinter ihrem Butler und beobachtete ebenfalls die Künstlerin.
»Ich bitte um Vergebung«, erwiderte Parker ein wenig irritiert, »ich muß Mylady übersehen haben.«
»Kunststück!« Agatha Simpson lachte ein wenig anzüglich. »Damit kann ich natürlich nicht konkurrie-ren.«
Was vollkommen stimmte.
Lady Agatha Simpson war etwa 60 Jahre alt, groß und erinnert an eine Bühnenheroine vergangener Thea-terzeiten. Sie hatte ein volles Gesicht mit sehr vielen Lachfältchen um Mund und Augen, besaß eine Art Ad-lernase und ein energisches Kinn. Die dunklen Augen waren in steter Bewegung. Einer Lady Agatha entging kaum etwas von Interesse.
Sie trug ein an sich teures Jackenkleid, das allerdings zu groß und zu bequem war. Es hing faltenreich an ihr herunter und paßte auf den Punkt genau zu den großen, derb wirkenden Schuhen, die Lady Agatha be-vorzugte.
»Reißen Sie sich von dieser Einladung los«, meinte Parkers Herrin und deutete mit ihrer Lorgnette hinüber auf das Grundstück. »Dieses Dämchen posiert etwas zu eindeutig.«
»Wie Mylady befehlen«, erwiderte der Butler und wandte sich zu seinem Wagen um.
Genau in diesem Augenblick fiel der Schuß!
*
Die Monroe-Kopie vor der Staffelei stieß einen entsetzten Schrei aus und rannte zur Terrasse des Hauses. Dabei verlor sie das Gleichgewicht, rutschte aus und landete mit einem zweiten Aufschrei im spritzenden Wasser. Sie schien nicht besonders sportlich zu sein. Sie schlug wild um sich und paddelte an den Rand des Swimmingpools heran.
Die Staffelei war wie von einer unsichtbaren Riesenfaust zur Seite geschleudert worden und lag zusam-mengeknickt im Gras.
Lady Agatha, Parker und Kathy Porter erhoben sich aus ihrer Kniebeuge, die sie beim Aufpeitschen des Schusses automatisch eingenommen hatten.
»Sollte da irgendein Flegel auf mich geschossen haben?« fragte die Sechzigjährige ergrimmt.
»Keineswegs, Mylady«, gab der Butler zurück und wies mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den Swimming-pool, aus dem die Monroe-Kopie gerade herauskletterte, um dann in langen Sätzen auf das Haus zuzulaufen.
»Das will ich mir auch ausgebeten haben«, stellte Agatha Simpson fest. »Kommen Sie, Mister Parker! Wir werden gebraucht.«
»Sind Mylady sicher?« fragte Parker zögernd.
»Es handelt sich doch offensichtlich um einen Mordversuch«, freute sich die alte Dame und sah ihren But-ler unternehmungslustig an. »Sehen Sie sich das an!«
Der Schuß und die flüchtende Malerin hatten bei den männlichen Zuschauern auf dem Parkplatz erstaunli-che Reaktionen ausgelöst. Die Mehrzahl der Betrachter befand sich noch in Deckung zwischen den abge-stellten Wagen. Doch einige mutige Männer hasteten auf die Taxushecke zu, um der Monroe-Kopie ihre Hil-fe anzubieten. Sie warfen sich auf und unter die Hecke und arbeiteten sich wütend durch dieses Hindernis.
»Worauf warten Sie noch, Mister Parker?« Lady Simpson setzte sich in Bewegung, aber sie hielt keines-wegs auf die Taxushecke zu. Sie marschierte auf ihren stämmigen Beinen zum angrenzenden Grundstück, das einen etwas verwilderten Eindruck machte. Damit bewies die passionierte Detektivin, daß sie die Lage durchaus richtig einschätzte. Der Schuß mußte von diesem Grundstück aus abgefeuert worden sein.
Parker folgte notgedrungen, wobei er mit Agatha Simpsons Gesellschafterin einen hilfesuchenden und er-gebenen Blick wechselte.
Es war also wieder mal passiert.
Agatha Simpson war mit einem interessanten Fall konfrontiert worden. Sie würde nun nicht eher ruhen, bis dieser Fall geklärt war. Die resolute Dame sehnte sich nach Abwechslungen dieser Art. Und erstaunli-cherweise kam sie immer wieder auf ihre Kosten.
»Einen Augenblick, bitte, Sir …« Agatha Simpson hatte den Parkplatz verlassen und rief jetzt einen jun-gen Mann an, der hinter dichtem Busch- und Strauchwerk rechts vom Parkplatz hervorkam. Er schleppte bezeichnenderweise einen Geigenkasten mit sich herum.
Der junge Mann war etwa 25 Jahre alt, schlank und mittelgroß. Er trug gepflegte, sportliche Kleidung und paßte durchaus in diese Gegend.
»Einen Moment, bitte!« Lady Simpsons Stimme klang bereits wesentlich schärfer. Sie war nicht gewillt, diesen Mann ziehen zu lassen. Unternehmungslustig funkelten ihre schwarzen Augen.
Der Geigenkasten!
Das war ein Indiz nach Myladys Geschmack.
Natürlich wußte sie aus Erfahrung, daß in solchen Behältern nicht ausschließlich Instrumente transportiert wurden, Kästen dieser Art enthielten recht oft Schußwaffen aller Art.
Der junge Mann reagierte noch immer nicht.
Er war allerdings etwas schneller geworden und hielt jetzt auf einen Hillman zu, der am Straßenrand vor dem Parkplatz abgestellt worden war.
»Warten Sie!« Lady Simpsons Stimme grollte. Sie blieb stehen und bemühte ihren Pompadour.
Es handelte sich um ein mit Straß und Perlen besticktes Handbeutelchen, wie es von älteren Damen gern benutzt wird, um Gegenstände persönlichster Art aufzubewahren. Myladys Pompadour war allerdings we-sentlich größer als der Durchschnitt und schien mehr zu enthalten als nur einige Toilettenartikel.
Lady Agatha hielt die Schnüre des Pompadours in der rechten Hand und ließ ihn kreisen. Dann, mit einer leichten Verbeugung, ließ sie die Schnüre los und schickte den Handbeutel auf die Reise.
Agatha Simpsons. Geschicklichkeit war schon eine beachtenswerte Sache. Der Pompadour zischte nach-drücklich durch die Luft, überbrückte die fast 20 Meter und … klatschte dann gegen den Hinterkopf des Geigenspielers.
Der Musikus – falls er einer war – blieb sofort stehen.
Dann rutschte er allerdings im Zeitlupentempo in sich zusammen, wobei er den Geigenkasten, den er sich unter den Arm geklemmt hatte, verlor. Es staubte ein wenig, als der Mann auf dem Boden landete.
»Treffer!« stellte Lady Agatha zufrieden fest. »Widmen wir uns diesem Subjekt, Mister Parker. Es befand sich nicht grundlos auf der Flucht.«
Parker beeilte sich, zu dem jungen Mann zu kommen.
Er wußte sehr gut, daß der Mann Hilfe brauchte. Parker kannte nämlich den Inhalt des Pompadours. In dem Handbeutel befand sich Myladys Glücksbringer: ein echtes Hufeisen von beachtlichem Gewicht.
Der junge Mann stöhnte leicht, als Parker sich über ihn beugte.
»Sie hatten einen Unfall?« erkundigte sich der Butler und nahm den Pompadour schnell an sich. Er ließ ihn unter seinem schwarzen Zweireiher verschwinden.
»Ohhh …« stöhnte der junge Mann.
»Nur