Arno Endler

E-Fam Exodus


Скачать книгу

und erhielt offenbar sofort Antwort. Man beobachtete uns wohl. »Dies sind Poetrees, Bürger Mayer. Unsere Erfindung. Sozusagen das Geschäftsmodell von POETS PLC.«

      »Poet Trees? Dichter-Bäume?«, hakte ich nach.

      »Ja, Poetrees. Kommen Sie. Ich sehe einen freien Platz.« Er wartete nicht auf meine Zustimmung, sondern eilte los. Ich folgte gezwungenermaßen zu einem der Bäume.

      Dort angekommen, stützte sich Peabloid lässig mit einer Hand an dem beinahe durchgehend oberschenkeldicken Baumstamm ab. Nur unten, wo die Kunden sich hinsetzen würden, verbreiterte sich das Gebilde so, dass es wie eine ergonomisch geformte Rückenlehne wirkte.

      Ich trat näher, untersuchte den Stamm auf meine Weise. Er roch neutral, mit einem Hauch rostenden Metalls. Die Oberfläche war glatt und schimmerte im Licht der künstlichen Sonne goldfarben. In rund zweieinhalb Metern Höhe begann die Verästelung. Der Baum trug mehr als ein Dutzend Äste, an deren Spitzen helle Blätter hingen. Ich stellte verwundert fest, dass sie wie Druckerpapier aussahen, rechteckig, genormt und jungfräulich weiß.

      Klar waren die Poetrees ein technisches Konstrukt. In Sektor drei gab es weder Gras noch natürlich gewachsene Bäume. Alle Gewächshäuser, in denen Nahrung oder Rohstoffe heranwuchsen, befanden sich in anderen Sektoren der Mega-City Neun.

      Die Verwendung der Baumform war nun nichts Neues für mich. Ich hatte schon Bekanntschaft mit den Enertrees gemacht, die mich beinahe mein Leben gekostet hatten.

      Der Zweck der Poetrees blieb mir ein Rätsel.

      »Setzen Sie sich doch, Bürger Mayer«, bat der POETS-Mitarbeiter. Sein Lächeln wirkte nun mehr wie das diabolische Grinsen eines Teufels. Er vollführte eine einladende Geste. »Es tut nicht weh.«

      »Was tut nicht weh?« Meine Rückfrage kam panischer rüber als gewollt.

      »In diesen Poetrees ...« Er tätschelte den Stamm mehrfach, umfasste schließlich mit beiden Händen den Korpus. »Ah, was für ein Genuss. Entschuldigen Sie. Ich komme leicht ins Schwärmen.« Er wich einen Schritt zurück. Als er bemerkte, dass ich keine Anstalten machte, mich hinzusetzen, gönnte er sich ein kurzes Augenverdrehen. »Nun, wir sind stolz, das Endprodukt einer langen Reihe von Hybridrechnern in den Poetrees nutzen zu können. Eine organische Filamentstruktur, die eine User-Rechner-Kopplung ermöglicht.«

      »Sie koppeln ...?«

      »Ja, Bürger suchen uns auf, um diese Verbindung erleben zu dürfen.«

      Ich sah mich um. »Jeder, der hier an einem der Bäume sitzt, ist mit diesem verbunden?«

      »Korrekt. Genau gesagt, diffundieren die semiorganischen Fasern über die Nackenanschlüsse der High-Cons direkt in die verschiedenen Gehirnzentren.«

      »Wie bitte?«

      Peabloid lächelte versonnen. »Stellen Sie es sich wie eine Art Pilz vor, der sich bis in Ihren Körper erstreckt. Sie haben dann Zugriff auf Dutzende High-End-Rechner, die mit den neuronalen Netzen im Hirn interagieren.«

      »Der Rechner kontrolliert den Nutzer?«

      »Nein. Er kanalisiert nur die ungeordneten Gedanken, verstärkt konzentrierte Denkprozesse und unterdrückt ablenkende Einflüsse.«

      »Wozu?«, stellte ich die drängende Frage.

      »Es hilft Autoren bei der Schreibarbeit. Setzen Sie sich und probieren Sie es selbst aus.«

      Ich hob erneut abwehrend die Hände. »Halt, halt! Sie sagten etwas von High-Cons. Also nur Inhaber eines NFDs können darauf zugreifen, oder?« Die Nanofluidic-Devices waren nun seit rund fünfzig Jahren der letzte Schrei der Online-Süchtigen. Die NFDs wurden in der Nähe des Stammhirns implantiert und verfügten über einen Mikroreaktor sowie einen multifunktionalen Nano-Empfänger-Sender. Mit einem NFD konnte man jederzeit und überall innerhalb des Netzsendebereichs online gehen. Man »sah« die Bilder direkt im Gehirn, man »hörte« die Musik, ohne die Ohren anstrengen zu müssen.

      Landläufig bezeichnete man die NFDler auch als gechipt. Doch die herkömmlichen Nano-Chips, die den Zugang ermöglicht hatten, waren Dinosaurier auf dem Markt. Ich wollte keines von beidem in meinem Körper wissen. Das sagte ich ihm. »Ich bin kein High-Con. Also kann ich es wohl nicht testen.«

      »Kein High-Con?« Peabloid starrte mich an, als wäre ich eine Kakerlake auf seinem Mittagessen. »Wie ...?« Er verkniff sich die Frage.

      »Ich nenne einen E-Fam mein Eigen.« Zum Glück konnte mich Otto nicht hören. »Das erleichtert mir das Leben.«

      »Gut. Kommen Sie, Bürger Mayer. Ich zeige es Ihnen an einem gemieteten Platz.« Er ging einfach weiter, wartete nicht mal, ob ich ihm folgte. Sein Ziel war der Nebenbaum. Ein abgemagerter Mann lehnte an ihm mit geschlossenen Augen. Ich sah die Bewegungen hinter seinen fahlen Lidern. Die Augäpfel rotierten, zuckten.

      »Kann er uns hören?«, flüsterte ich.

      »Nein, Bürger Mayer. Nicht während einer Sitzung. Seine endet in ...« Peabloid legte den Kopf zur Seite und nickte dann. »In rund zehn Minuten. Sehen Sie nur dort oben.« Er deutete hoch zu einem Ast.

      Neben den vielen Blättern glitzerte auch ein kleiner Kristall an einem Ast. Wie eine Frucht entsprang er einer Knospung. Er drehte sich ruckartig, um im nächsten Moment wieder ruhig zu hängen.

      »Ist das ein Datenspeicher?«, fragte ich.

      »Korrekt. Er hat sich für die elektronische Ausgabe seines Werks entschieden. Manche bevorzugen den Papierausdruck.«

      »Sie meinen, auf diesen Blättern kann er sich seine Gedanken ausdrucken lassen?«

      Peabloid weidete sich sichtlich an meinem Erstaunen. »Nicht seine Gedanken. Gedanken sind konfus, wirr, ungeordnet, selten klar definiert. Unsere Kunden sind durch die Koppelung derart konzentriert, dass sie fertige Texte verfassen. Druckfertig, sozusagen, wenn man das heute auch nicht mehr sagen kann. Es geht rasant. Ein Krimi in einer Sitzung. Ein historischer Roman von epischen Ausmaßen in vielleicht vier Sitzungen. Hier wurden zahllose Drehbücher, Theaterstücke und Musiktexte verfasst. Spart Zeit und Geld und schont die Nerven, was den Abgabetermin angeht.«

      »Es entstehen hier nicht nur Bücher?«, vermutete ich und musste an die Aufteilung denken. POETEN und JOURNALE.

      »Nein. Sachbücher, journalistische Artikel, Anwenderhandbücher, Dissertationen, Hausarbeiten, was immer Sie sich vorstellen mögen. Alles kommt von hier, wenn wir jemanden als Kunden akzeptieren.«

      Ich hoffte, dass mein Pokerface intakt blieb. Doch in meinem Inneren schrie eine Stimme, dass mir die Zeit davonlief. Ich musste meinen Auftrag erledigen.

      »Okay. Danke für die Führung. Wir sollten weiter. Ich möchte mich vergewissern, dass Bürger Gangnes tatsächlich nicht hier ist.«

      »Wie Sie wünschen, Bürger Mayer.« Peabloid setzte den Rundgang schweigend mit mir fort.

      Ich brüllte subvokal. »Otto! Bitfucking! Kannst du mich hören? Otto!«

      Aber mein E-Fam schwieg.

      2

      Ich spielte auf Zeit, stellte zahlreiche Nachfragen, sah mir einige Kunden der POETS länger an, als wolle ich mich davon überzeugen, dass keine Bodysuits im Einsatz waren. Mir war klar, dass ich Kore Gangnes so nicht finden würde.

      Peabloid verkörperte Zuversicht und zugleich Verachtung meiner Person. Er lauschte immer wieder seiner Stimme im Ohr, geleitete mich von Baum zu Baum, bis er schließlich stoppte. »So, Bürger Mayer. Zufrieden?«

      Ich sah mich um. Die Landschaft wirkte endlos, bis zum Horizont erstreckten sich die regelmäßig aufragenden Poetrees, doch kein Mensch saß an den Stämmen. »Das ist die virtuelle Darstellung?«, vergewisserte ich mich.

      »Korrekt, Privatermittler Mayer«, entgegnete Peabloid unhöflich. »Es ist die Wand. Sie haben beide Bereiche gesehen und inspiziert. Hier endet die Tour. Weder im Poeten- noch im Journale-Bereich ist der Gesuchte zu finden. Kein Grund, die Capcops zu rufen,