Klaus Heimann

Lotte mischt mit


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sind nicht aus Wildpark West. Was tun Sie hier?«, fragte mich ein älterer Herr mit Vollglatze wichtigtuerisch.

      Lotte nahm mich vor ihm in Schutz. »Mein Mann ist bei der Kripo!«

      Ein wenig Stolz klang mit, der mein aufgewühltes Bastlerherz erwärmte. Allerdings hätte ich mich auch selbst zu erkennen geben können.

      Stattdessen spulte ich meine Routine ab. »Sind Sie hergekommen, weil Sie Schüsse aus diesem Haus gehört haben?«

      Wieder schob sich der Glatzkopf vor. »Genau deshalb. Zwei, um genau zu sein.«

      »Hat irgendjemand einen schwarz gekleideten Verdächtigen aus diesem Haus herauskommen sehen?«

      Murmeln machte sich breit. Kopfschütteln.

      Ich hakte nach: »Also niemand?«

      Keine Antwort, ratlose Gesten.

      »Sie sollten sich nicht allzu sicher fühlen, so wie Sie hier herumstehen. Ich empfehle Ihnen, zurück in Ihre Wohnungen zu gehen, Fenster und Türen zu verriegeln und vorerst nur Besuchern zu öffnen, die Sie kennen. Es ist schon vorgekommen, dass jemand in Situationen wie diesen zur Geisel wurde«, deutete ich an, um den Platz zu räumen. Zu Anordnungen war ich hier natürlich nicht befugt.

      »Hört auf den Mann«, rief der Wichtigtuerische in die Runde, um einen Rest seiner ziemlich schnell zusammengedampften Autorität zu retten. Damit löste er eine spontane Fluchtwelle aus. Das Trüppchen stob auseinander. Nur Lotte blieb bei mir. »Du bitte auch! Und verständige die Kollegen, wenn dein Abstand groß genug ist!«

      »Ich werde dich doch jetzt nicht alleine lassen!«

      »Doch, das wirst du. Sieh zu, dass dich einer von diesen Leuten mit ins Haus nimmt. Du bist genauso in Gefahr wie alle anderen. Abmarsch!« Mein Befehlston erschreckte Lotte. Da sie mich aus nahe liegenden Gründen bestens kannte, spürte sie den Ernst, der darin lag. Sie stellte ihr Fahrrad am Straßenrand auf den Ständer und trat ebenfalls die Flucht nach hinten an. Nicht, ohne mich zu ermahnen: »Sei bitte vorsichtig!« Gut gemeint, aber überflüssig.

      Ich stellte mein Fahrrad neben Lottes ab, schlich an die Hauswand heran und ging in die Hocke. Oberhalb befand sich ein Fenster. Langsam schob ich den Kopf hoch und lugte hindurch. Ich interessierte mich offensichtlich für die Toilette. Sie war leer. Geduckt und möglichst lautlos schlich ich weiter die Wand entlang. Das nächste Fenster. Diesmal eine Art Arbeitszimmer. Wieder leer.

      Ich erreichte die Hausecke und ließ meinen Kopf wie die Zunge eines Chamäleons vorschnellen. Die Blitzaufnahme der Seitenfront verriet mir, dass ich weiterhin Deckung unterhalb der Fenster fand. Also los. Als Nächstes die Küche. Niemand drin. Weiter …

      Mittlerweile war ich an der Hinterfront der Villa angelangt, die zum Garten wies. Zwischen den alten Bäumen hindurch ließ sich die Havel erahnen. Dafür opferte ich natürlich nur einen oberflächlichen Blick. Ich wiederholte die Chamäleon-Nummer. Zum Garten hin besaß die Villa eine ausgedehnte, bodentiefe Fensteranlage. Davor eine riesige Terrasse, reich dekoriert mit Pflanzkübeln. Hier konnte ich keine Deckung unterhalb der Fenster finden. So, wie die Pflanzkübel verteilt standen, waren sie mir ebenfalls nicht nützlich.

      Ich machte mich auf dem anthrazitfarbigen Naturstein der Terrasse lang. Von einem der mächtigen alten Bäume herunter hörte ich einen Vogel krächzen. Vorsichtig robbte ich, ständig den Kontakt zur Hauswand suchend, an die Fensterreihe heran. Ein Schiebeelement gab einen Spalt frei, durch den ein Mensch gerade hindurchpasste. War dort jemand geflüchtet? Oder befand sich derjenige, der geschossen hatte, noch im Haus?

      Zentimeter um Zentimeter reckte ich den Hals vor. Es gelang mir, ins Haus hineinzuspähen. Was ich in diesem Sekundenbruchteil sah, bestätigte meine Befürchtungen. Zwei Körper lagen auf dem Boden, dicht beieinander. Ansonsten schien sich niemand im geräumigen Wohnzimmer aufzuhalten.

      Wie sollte ich weiter vorgehen? War der Täter noch drin, bestand Lebensgefahr für mich. Sollte ich lieber auf das Eintreffen der Kollegen warten?

      Es war möglich, dass die beiden Menschen, die dort drinnen lagen, Hilfe benötigten. Je schneller, desto besser. Gemäß meinem Anspruch an mich selbst, besaß ich keine andere Wahl: Rein!

      Ich griff nach einem trockenen Ast, der zufällig in meiner Nähe lag. Mit Wucht schleuderte ich ihn gegen die Glasfront. Ein scharfes Klatschen war die Antwort – wie ich es geplant hatte. Wäre der Täter noch im Haus, würde er nachsehen oder im Reflex einen weiteren Schuss abgeben.

      Angestrengt horchte ich in die Villa hinein. Eine Minute lang blieb alles still. Es wurde immer unwahrscheinlicher, dass sich außer den beiden daliegenden Körpern noch jemand darin aufhielt. Sollte ich es wagen?

      Lotte brachte mein Herz ein paar Schläge zum Stillstand.

      »Was ist da los?«

      Unbemerkt war meine Allerbeste von hinten an mich herangeschlichen. Aufrecht und arglos, dafür mit neugierig aufgerissenen Augen, stand sie direkt hinter mir. Am liebsten hätte ich sie zusammengefaltet, aber ich war Profi genug, um das der Sachlage geschuldet hinunterzuschlucken.

      Mit einem Handzeichen bedeutete ich Lotte, sich sofort hinzuhocken. Sie befolgte meine Anweisung entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten auf der Stelle. Ich flüsterte ihr ins Ohr: »Ich werde drinnen nachsehen. Bleib unbedingt hier, hörst du!«

      In Zeitlupe richtete ich mich auf. Allen Mut zusammennehmend, zwängte ich mich - nur den Körper einsetzend -, durch den verflixt engen Spalt des Schiebeelements ins Wohnzimmer. Dabei gab es ein wenig nach. Hier war entweder ein gertenschlanker Täter durchgeschlüpft oder er hatte die Tür wieder hinter sich zugezogen. An die dritte Möglichkeit, dass sie nur zum Lüften offenstand, mochte ich nicht denken.

      Es waren zwei Frauen, die im Wohnzimmer lagen. Eine ältere, grauhaarige Dame im Strickkleid, seitlich von einem Sofa zusammengesackt und eine Jüngere, deren Leiche ich zuerst näher betrachtete. Sie lag seltsam verdreht auf dem Parkett, das Gesicht zum einfallenden Licht gewandt. Mitten auf der Stirn prangte ein Einschussloch. Neben ihrem leblosen Körper lag ein Tablett, daneben zersprungenes Porzellan. Der Tee, den sie zum Zeitpunkt ihrer Ermordung offenbar gerade servieren wollte, hatte sich mit der Blutlache unter ihrem Kopf vermischt. Hier kam jede Hilfe zu spät.

      Ich ging zur Älteren hinüber. Ihr Gesicht lag halbschräg auf dem Boden, sodass sie mich aus einem erloschen Auge anglotzte. Unter ihrem Kopf tränkte ein Läufer reichlich Blut. Ich ging in die Knie und drehte sie etwas zur Seite. Ein Einschussloch. Mitten auf der Stirn.

      Hinter mir knirschte der Mechanismus der Schiebetür. Erschrocken fuhr ich herum.

      »Sind die tot?«, fragte Lotte überflüssigerweise. Entgegen meiner Mahnung war sie hinter mir hergeschlichen. Ehe ich sie stoppen konnte, trat sie mit entsetzt aufgerissen Augen ins Wohnzimmer. Super – jetzt mussten wir der Spurensicherung unserer beider Spuren am Tatort plausibel machen. Nur Lottes Gesichtsausdruck verhinderte, dass ich sie lauthals anschrie. Kein schöner Anblick, so ein Mordopfer. Mein Kollege Erich hatte sich bis heute nicht daran gewöhnt.

      Eine kleine Zurechtweisung war trotzdem angezeigt.

      »Bist du von Sinnen? Du solltest doch draußen bleiben. Du zerstörst vielleicht wichtige Spuren!«

      Meine Worte erreichten meine paralysierte Gattin nicht.

      »Die armen, armen Frauen. Das war diese schwarze Figur.«

      »Sachte, sachte. Wir wissen noch gar nichts. Hast du die Kollegen angerufen?«

      Keine Antwort.

      »Hallo! Hast du die Kollegen angerufen?«

      »Nein«, piepste Lotte, dem Weinen nahe.

      »Du verlässt jetzt augenblicklich mit mir diesen Tatort. Werde ich eben selbst anrufen.«

      Ich musste Lotte am Arm herauszerren, so schockiert war sie.

      Als ich im Garten mein Handy aus der Tasche holte, kam sie wieder zu sich. »Du brauchst die Polizei nicht zu rufen.«

      »Aber du hast es doch nicht