Paul Fenzl

Scherbentanz


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würde der Köstlbacher auch da eine gute Figur abgeben, aber als Spezialist in Sachen Mord, da ist er ohne jeden Zweifel bei der Aufklärung eben dieser Kapitalverbrechen am besten aufgehoben.

      Ist ja irgendwie schon fast pervers, wenn du einer Arbeit nachgehst, die davon lebt, dass einer gewaltsam stirbt. Gut, die Leute vom Bestattungsinstitut leben auch irgendwie vom Tod, egal wie der sich sein Opfer geholt hat, ob durch einen Verkehrsunfall, eine Krankheit, die Hand eines Mörders oder eben nur aus Altersgründen. Aber was anderes ist das trotzdem. Bei denen läuft alles pietätvoll ab. Davon ist bei der Mordkommission nichts zu spüren.

      Wie sich dann jedenfalls über ein Jahr, abgesehen von ein paar Selbstmördern, die nachweislich ohne Fremdverschulden ihren Freitod gewählt hatten, die Gewaltbereitschaft einiger Bürger maximal in Schlägereien entlud, die selten mehr als ein paar Beulen oder Schrammen zur Folge hatten, und kein weiterer Mord mehr im Zuständigkeitsbereich der Kripo Regensburg passierte, da dachten die oben in München doch tatsächlich darüber nach, die Abteilung für Mord zur Einsparung von Personal ganz zu streichen. Im Bedarfsfall sollte dann nur schnell aus den anderen Abteilungen eine Sondereinsatzkommission gebildet werden. Positive Erfahrungen mit solchen SOKOS hatte man ja bundesweit schon mehrfach gesammelt. Nur führte die Bildung einer SOKO bisher nie zur Abschaffung einer Kripo-Abteilung, die sich überwiegend mit Mordfällen befasste. Derartige Erwägungen waren neu und für die eventuell betroffenen Beamten sehr beunruhigend.

      Ich sage immer, alles hat zwei Seiten. Und das trifft auch auf den Mord zu, der dem Köstlbacher soeben telefonisch durchgegeben worden ist. Natürlich bedeutete der wieder den Beginn einer ganzen Menge unangenehmer Arbeit. Aber dafür sind der Köstlbacher und sein Team schließlich da. Ohne diese aktuelle Mordmeldung hätten die Pläne von denen oben in München womöglich tatsächlich noch Fürsprecher gefunden. Diese Gefahr würde zwar weiterhin bestehen, aber zumindest für den Moment war sie gebannt.

      Abgesehen von diesen personellen Umstrukturierungsideen seitens des Ministeriums hatte die Zeit ohne einen Mord in Regensburg auch sein Gutes für den Köstlbacher gehabt. Und dabei denke ich vor allem an seine Familie, der er sich wieder mehr widmen konnte, weil er nun in aller Regel verlässliche Arbeitszeiten hatte und seine Anna ihn bezüglich seiner Pflichten als Familienoberhaupt besser einplanen konnte.

      Ich kann jetzt direkt deine Gedanken dazu lesen. ›Als ob das der Köstl­bacher als Vorteil empfunden hätte!‹ Natürlich hast du recht! Für ihn war das oft eher lästig. Aber immerhin beruhigte es sein schlechtes Gewissen, das er sonst meistens hatte, wenn er unvermittelt zu einem Tatort oder zu einer Vernehmung gerufen wurde. Nur wenn der Grill gerade heiß war und die Würstchen schon duftend darauf brutzelten, dann wäre er natürlich lieber geblieben, als hungrig das Haus zu verlassen.

      Während seiner ›geregelten‹ Arbeitszeit hat der Köstlbacher selbstverständlich nicht nur Däumchen gedreht und Kaffee getrunken. Wobei er mir einmal gestanden hat, dass er in der Tat schon Sodbrennen vom vielen Kaffee bekommen hat.

      Die Mordfälle der vergangenen Jahre hatten dem Kriminalhauptkommissar Edmund Köstlbacher kaum Zeit gelassen, Regensburg aus kriminalistischer Sicht ganzheitlich zu erfahren. Dazu hatten sich jetzt genug Gelegenheiten ergeben.

      Und das ›Ganzheitliche‹, das hat schon was! In der Medizin hört man dieses Schlagwort ja auch immer wieder. Und nicht nur da! Aber bleiben wir einmal einen kurzen Gedanken bei der Medizin. Was hilft es dir, wenn dir ein Arzt irgendein Krankheitssymptom wegmacht und die Ursache nicht behebt? Du verstehst, was ich mit dem ›das Ganzheitliche‹ meine.

      Und wenn der Köstlbacher einen Mörder dingfest macht, dann ist das in gewisser Weise etwas in der Art. Er eliminiert ›ein‹ Symptom. ›Das Ganzheitliche‹ erledigen dann später all die Gutachter, die zum Prozess herangezogen werden, während der Köstlbacher schon wieder irgendein neues ›Symptom‹ im Visier hat.

      Zugegeben, natürlich fehlt so einem Kriminaler, auch wenn er einer vom Kaliber eines Köstlbacher ist, die psychologische Ausbildung, um ganzheitlich arbeiten zu können. Dafür gibt es bei der Kripo Regensburg schließlich den Polizeipsychologen Dr. Hartmut Schenker. Aber so ein Gewaltverbrechen, so ein Mord, der passiert in aller Regel nur in einem größeren Zusammenhang. Und der ist ebenso in aller Regel eingebettet in einen Personenkreis, der es ganz allgemein mit dem Gesetz nicht so ernst nimmt.

      Und genau diesen Personenkreis lernte der Köstlbacher intensiv in all den Wochen und Monaten kennen, in denen er mangels eines neuen Mordes anderen Kollegen, wie denen von der Sitte, vom Rauschgift, von der Wirtschaft und vom Diebstahl aushalf. Auch Probleme mit Migranten, religiösen Fanatikern und politisch radikalen Randgruppen landeten dabei auf seinem Schreibtisch.

      Im Ministerium in München kamen seine umsichtige und breitgefächerte Arbeit, seine Teamfähigkeit und letztendlich die Erfolge, die er immer wieder aufs Neue vorzuweisen hatte, gut an. Der bislang über Regensburg hinaus weithin unbekannte, schrullige Kriminaler, der sich vor ein paar Jahren von Straubing nach Regensburg hatte versetzen lassen, erregte positives Aufsehen, das noch Folgen zeigen sollte. Aber davon später!

      Kapitel 2

      Dass jede friedliche Ruhe auch einmal vorüber ist, das ist ein Naturgesetz. Das trifft auf den täglichen Straßenverkehr genauso zu wie auf dein Eheleben oder das leidige Wetter. Und schon dreimal auf einen Kommissar von der Mordkommission, der vor lauter Ruhe schon an seiner Existenzberechtigung zweifelt und nach anfänglicher Verärgerung die Umstrukturierungspläne derer in München in Ansätzen zu verstehen beginnt.

      »Funken Sie die Dr. Sieber an. Am Emmeramsplatz liegt eine tote Frau. Scheint kein Unfall zu sein! Sagen Sie ihr, ich bin mit dem Liebknecht unterwegs!«, orderte der Köstlbacher und war auch schon an seiner Sekretärin Edith Klein vorbei hinaus in den Flur verschwunden, um mit dem Lift runter zum Einsatzwagen zu eilen. Die Abteilungsleiterin legte großen Wert darauf, über Einsätze ihrer Beamten außer Haus informiert zu werden.

      Sicher wäre er zu Fuß die beiden Stockwerke schneller unten gewesen, aber du kennst inzwischen den Köstlbacher. Treppauf tut’s die Pumpe nicht und treppab schmerzt das rechte Knie. Alles eigentlich viel zu früh für seine gerade mal 47 Jahre. Aber wenn du das nötige Schlachtgewicht auf die Waage bringst, spielt das Alter nur mehr eine untergeordnete Rolle, was die Kondition betrifft.

      Trage einmal versuchsweise zwei große Gießkannen voll Wasser. Eine links und eine rechts. Und steige mit denen eine Treppe hinauf. Du kannst es auch mit einem vollen Kasten Bier versuchen. So kannst du am besten, zumindest ansatzweise, nachempfinden, was dem Köstlbacher seine Knie beim Treppensteigen aushalten müssen.

      »Du hast am Telefon was von einer Toten am Emmeramsplatz gefaselt?«, fragte den Kommissar der Liebknecht, der schon hinterm Steuer des schwarzen Dienstaudis auf seinen Chef wartete.

      »Ja! Direkt vor dem Evangelischen Krankenhaus!«, antwortete der Köstlbacher.

      »Dort ist doch auch ein Notarzt stationiert. Konnte der nichts mehr machen?«, fragte der Liebknecht.

      »Allem Anschein nach nein. Außerdem kann auch ein Notarzt eine Tote nicht wieder zum Leben erwecken!«, grummelte der Köstlbacher, weil er doch selber nichts wusste, außer dass er von Kollegen, die schon vor Ort waren, gerufen worden ist.

      Dem Liebknecht war klar, wann es besser ist, den Mund zu halten. Zwar bestand kein Anlass, nicht mit dem Edmund weiter über den Grund zu sinnieren, der sie zum Emmeramsplatz führte, aber wenn der Edmund diesen brummigen Unterton in seiner Stimme anschlug, war es angebrachter, eine Konversation nicht erzwingen zu wollen. Eigentlich müsste sein Chef ja eher jubeln, weil alles darauf hindeutete, dass die Regensburger Mordkommission wieder etwas zu tun bekäme, was ihrem Aufgabenbereich entspricht. Aber so ist er eben, der Köstlbacher, immer anders, als man es von ihm erwartet. Für einen Kollegen, der diese Eigenheit kennt, kein wirkliches Problem. Für einen Straftäter, auf den es der Köstlbacher abgesehen hat, ein undurchschaubarer und damit gefährlicher Ermittler.

      »Schau, schau! Der Kollege Jung ist schon da!«, sagte der Liebknecht erstaunt, als sie den Emmeramsplatz erreichten.

      »Seltsam! Allein! Ganz ohne sein Team?«, kommentierte der Köstlbacher.