Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


Скачать книгу

nutzten sie, um die eine oder andere ihrer Pausen zusammen zu verbringen. »Sonst würden wir uns wahrscheinlich überhaupt nicht mehr treffen«, stellte Konrad fest. »Wie sieht’s denn aus bei euch nach den Aufregungen der letzten Zeit?«

      »Alles wieder normal. Und heute nacht war es bisher noch ziemlich ruhig«, stellte Adrian fest. »Wenn es so bleibt, habe ich nichts dagegen, da ist Nachtdienst direkt erholsam.«

      Konrad lachte. »Bei mir ist es ähnlich, nur eines der Kinder bereitet mir ein bißchen Kummer. Aber die anderen schlafen alle und weinen heute nacht nicht einmal nach ihren Eltern.« Er sah Adrian an. »Daß Frau Plessenstein einen Sohn hat, geht mir nicht aus dem Kopf.«

      »Ich hätte meinen Mund halten sollen«, sagte Adrian voller Reue. »Jetzt wirst du dich nie mehr trauen, sie anzusprechen, wie ich dich kenne.«

      »Du kennst mich schlecht«, widersprach Konrad lächelnd. »Ich warte nur darauf, daß meine Stunde schlägt. Es ist noch zu früh, das weiß ich.«

      Adrian sah ihn kopfschüttelnd an. »Manchmal kann ich mich über dich nur wundern. Aber wahrscheinlich hast du sogar recht. Du hattest ja auch sonst recht. Sie scheint wirklich nett zu sein.«

      Konrad nickte, ein sanftes Lächeln im Gesicht. »Ja«, sagte er leise. »Das ist sie auch. Und wahrscheinlich hat sie auch einen sehr netten Sohn – jedenfalls, wenn er ein bißchen Ähnlichkeit mit seiner Mama hat.«

      »Aber in Wirklichkeit ist es der Freund, der dich beschäftigt, oder?« fragte Adrian. »Gib’s zu, Konrad: Du denkst weniger über den Sohn nach als über den Freund.«

      Konrad schüttelte den Kopf. »Nein, tue ich nicht. Sie hätte einen anderen Ausdruck in den Augen, wenn sie glücklich wäre, das habe ich dir doch schon gesagt.«

      »Ich bin wirklich gespannt, wie diese Geschichte weitergeht«, meinte Adrian. »Im Augenblick ist es ja noch gar keine Geschichte, aber wenn ich dich höre, mit welcher Sicherheit du davon ausgehst, daß es eine werden wird… Also, ehrlich, so sicher möchte ich auch mal sein.«

      Konrad lachte. »Na ja, wenn ich ehrlich bin, dann spiele ich dir manchmal auch was vor. Besonders, wenn mich mal wieder komplett der Mut verlassen hat. Das passiert ungefähr alle zwei Tage.«

      Sie lachten beide und standen auf, um sich wieder an die Arbeit zu machen. »Weiterhin eine ruhige Nacht, Adrian«, wünschte Konrad.

      »Und dir noch schöne Träume«, gab Adrian anzüglich zurück.

      *

      Gabriele Plessenstein konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Als Rainer Wollhausen gegangen war, hatte sie zunächst geweint – aber mehr vor Wut als vor Kummer. Es war ihr wie Schuppen von den Augen gefallen, daß sie mit diesem Mann niemals glücklich werden konnte. Und er würde nie ein zweiter Vater für Florian werden. Durch die herzlose Art, in der er sich an diesem Abend geäußert hatte, waren auch ihre letzten Zweifel verflogen, und sie sah auf einmal so klar, daß sie sich selbst nur wundern konnte, warum sie diese Einsichten nicht schon viel früher gehabt hatte.

      Doch das stimmte natürlich nicht, denn eigentlich hatte sie es längst gewußt, sagte sie sich nun. Aber sie hatte es nicht wahrhaben wollen – aus Angst, wieder für lange Zeit allein zu sein. Merkwürdigerweise war sie nicht nur wütend und traurig, sondern sie fühlte sich auch befreit, und das wunderte sie nicht wenig.

      Sie lief in ihrer Wohnung herum und hätte am liebsten bei Max’ Eltern angerufen, aber es war viel zu spät. Sie hätte so gern noch mit Flo gesprochen und ihn gefragt, was genau Rainer gesagt hatte. Florian war sehr empfindlich, ein falsches Wort konnte bei ihm viel Unheil anrichten. Allerdings würde sie bis zum nächsten Tag warten müssen. Vielleicht konnte sie ja morgens vor der Schule anrufen? Aber dann würde er vielleicht das Gefühl haben, daß sie ihn wie ein Baby behandelte, und das konnte er überhaupt nicht leiden.

      Sie seufzte unglücklich. Also würde sie warten, bis er ganz normal nach Hause kam – dann erst würde sie mit ihm reden. Und sie konnte nur hoffen, daß er ihre Fragen aufrichtig beantwortete.

      Erneut fühlte sie Wut auf Rainer in sich hochsteigen. Dieser elende Egoist, dachte sie. Fehlt nur noch, daß er spöttische Bemerkungen gemacht hat. Dann wüßte ich auch, warum der Junge so bedrückt gewirkt hat. Schlagartig unterbrach sie ihre Wanderung durch die Wohnung und blieb wie angewurzelt stehen. Natürlich, das war der Grund gewesen. Wieso hatte sie das nicht gleich gewußt?

      Sie beschloß auf der Stelle, am nächsten Tag Flos Lieblingsgericht zu kochen und ein langes, liebevolles Gespräch mit ihm zu führen, sobald er nach Hause kam. Und sie würde ihm vor allem erzählen, daß sie sich endgültig von Rainer getrennt hatte. Nie wieder würde dieser ihre Wohnung betreten, das stand felsenfest!

      Flo würde sich sehr darüber freuen, das wußte sie. Dieser Gedanke beruhigte sie immerhin soweit, daß sie aufhören konnte, in der Wohnung herumzulaufen. Sie setzte sich in einen Sessel und schloß die Augen. Ganz allmählich wurde sie etwas ruhiger.

      *

      Max hatte noch ein paarmal verzweifelt nach Florian gerufen und sich dann vorsichtig an der Mauer hinuntergleiten lassen. Nach einigen Augenblicken hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und er konnte feststellen, was passiert war: Ein Steinbasssin voller Wasser stand genau dort, wo Florian von der Mauer gefallen war. Aber sein Freund war nicht in der Mitte des Beckens aufgeschlagen, sondern am Rand – das was das gräßliche Knacken gewesen, das Max gehört hatte!

      »Flo!« flüsterte er und fragte sich einen schrecklichen Augenblick lang, ob sein Freund wohl tot sei. Florian gab keine Antwort. Er hing, merkwürdig verdreht, halb im Wasser und halb auf der steinernen Einfassung des Beckens.

      Max erwachte aus seiner Erstarrung. Flo war garantiert nicht tot! Er versuchte, ihn aus dem Becken zu ziehen, doch das war viel schwieriger als gedacht. Sein Freund schien auf einmal tonnenschwer, und Max kam richtig ins Schwitzen, bis er ihn endlich aus dem Wasser gezogen hatte. Dann bettete er ihn neben dem Bassin auf den Boden. Eilig kramte er eine der Decken aus seiner Tasche und wickelte sie um Florian, der sich noch immer nicht rührte.

      Max klopfte ein bißchen gegen seine Backe – das hatte er schon mal in einem Film gesehen, daß man das so machte. Im Film wachten die Leute dann immer hustend und spuckend auf, und alles war wieder gut. Aber Florian hatte gar kein Wasser geschluckt, deshalb hustete er auch nicht. Allerdings wachte er auch nicht auf.

      Max überlegte, was er nun tun sollte. Er mußte Hilfe holen, das war klar. Allerdings mußte er Flo dazu allein hier liegen lassen, und das gefiel ihm gar nicht. Doch er sah schnell ein, daß ihm nichts anderes übrigbleiben würde.

      Ein letztes Mal sagte er: »Flo! Hörst du mich?« Er bekam wieder keine Antwort. Er richtete sich auf und sah sich um. Der Bauernhof, zu dem die Scheune vermutlich gehörte, lag nicht allzu weit entfernt. Dorthin würde er laufen. Er mußte sich beeilen, deshalb schob er alle Gedanken an das, was passieren würde, weit von sich und rannte los. Er rannte so schnell wie noch nie in seinem Leben, und später wußte er nicht mehr, ob es die Angst vor der mittlerweile ziemlich dunklen Nacht gewesen war, die ihn gejagt hatte – oder die Angst um seinen Freund Florian, der stumm und reglos neben einem steinernen Wasserbecken auf einem fremden Grundstück lag.

      *

      Der Bauer Johann Friedrichs schimpfte und knurrte, als er durch lautes Geschrei und Gehämmer an der Haustür aus tiefstem Schlaf geweckt wurde. Der Hund schlug an, und allmählich wurde Johann Friederichs richtig wach.

      »Was ist denn los?« fragte seine Frau schlaftrunken.

      »Das werden wir gleich wissen«, antwortete er grimmig und stieg aus dem Bett. Er warf sich einen alten Bademantel über und lief nach unten. Wer wagte es, mitten in der Nacht wie ein Verrückter an seine Tür zu hämmern?

      Als er unter weiterem Gebrumm und Geschimpfe öffnete, starrte er verblüfft auf den zitternden Jungen, der mit blassem Gesicht und Augen, die vor Angst riesengroß waren, vor ihm stand.

      »Ja, da soll doch…!« rief er. »Was ist denn mit dir los, Jungchen? Komm rein, du zitterst ja wie Espenlaub!«

      Aber