rief seine Mum von unten. »Du hast Besuch.«
»Komme gleich.« Mason blickte noch einmal sein Spiegelbild an und nickte sich selbst aufmunternd zu. »Dann mal auf in den Kampf.« Er verließ das Badezimmer und rannte die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.
Im Flur unten sah seine Mum zu ihm hoch und schüttelte den Kopf. »Ich hab dir schon tausend Mal gesagt, du sollst ordentlich die Treppe runter gehen. Du wirst dir noch das Genick brechen!«
»Mir kann auch auf dem Weg nach draußen ein Satellitenteil auf die Birne fallen«, erwiderte Mason. »Oder ’ne Toilettenschüssel von der ISS.«
»Die Wahrscheinlichkeit, dass dir so etwas passiert, ist allerdings dreimal geringer als ein Sechser im Lotto«, gab seine Mum zurück. »Solange wir also nicht dreifache Millionäre sind, wirst du gesittet durch dieses Haus gehen. Verstanden?«
»Ist ja gut«, sagte Mason und lächelte Danielle zu, die im Türrahmen stand. »Hi.« Sie lächelte zurück. Mason erkannte sie kaum wieder in ihrem schwarzen knöchellangen Kleid und mit den hochgesteckten Haaren.
Masons Mum kam auf ihn zu und richtete sein Hemd. »Keine Krawatte?«
»Nein. Es schnürt mir die Luft ab.«
Seine Mum nestelte weiter an seinem Kragen herum. Wenn sie jetzt ein Taschentuch herausholt und mir einen Fleck von der Wange reibt, kann sie was erleben. »Ich denke, es sitzt jetzt. Danke.«
Danielle hüstelte dezent. Mason blickte auf. Lachte sie ihn etwa aus? Na, die konnte was erleben.
Endlich ließ seine Mum ihn los. »Na gut. Dann passt auf euch auf, ja?«
»Klaro.«
»Können wir?«, fragte Danielle und verzog die Mundwinkel.
Sie lachte. Eindeutig. »Ja.«
»Richte der Familie mein Beileid aus«, sagte Mum. »Und das von deinem Dad natürlich auch. Immerhin sind wir damals unter dem Direktor zur Schule gegangen und hatten auch das ein oder andere Mal mit ihm zu tun.«
»Machen wir.« Bildete er es sich ein, oder war seine Mutter etwas enttäuscht. »Bis später. Wir bleiben sicher nicht allzu lange.«
Seine Mum nickte und schloss die Tür hinter ihnen. Danielle und Mason traten ins Freie. Natürlich wartete der Chauffeur – verflixt, wie hieß der denn? Gregor? Gustav? – am Straßenrand.
»Deine Mum wirkte irgendwie komisch, als sie vom alten Direx sprach«, sagte Danielle.
»Ich glaube, sie ist etwas angefressen, weil sie nicht eingeladen wurden.«
»Mum meinte, dass nur die engen Freunde dabei sind, und da Dad mit Snyder nach seiner Schulzeit öfter geschäftlich zu tun gehabt hat, sind wir dabei.«
»Was für eine Art Geschäfte?«
»Keine Ahnung. Irgendwelche Firmenübernahmen. Dad spricht zuhause nicht über seine Arbeit, wahrscheinlich denkt er, wir verstehen das sowieso nicht.« Danielle nickte dem Chauffeur zu, der ausgestiegen war und ihr die Tür aufhielt. »Danke, George.«
George! Natürlich. Das war’s. Mason bedankte sich ebenfalls und stieg ein. Er ließ sich mit Danielle in die weichen Polster sinken. Es roch nach Leder und Holzpolitur.
»Wo sind eigentlich deine Eltern?«, fragte er.
»Sie sind direkt von der Stadt aus hingefahren. Ich sagte, wir würden uns dort treffen.«
Kaum saßen sie im Wagen, klingelte ihr Smartphone. Danielle zog es aus ihrer kleinen Handtasche. »Meine Mum will wissen, wo ich bleibe. Ich antworte ihr rasch.«
»Haben wir einen Plan für heute Abend?«, fragte Mason, während Danielle tippte. »Wo sollen wir nach dem Super-8-Film suchen?«
»Ich habe keine Ahnung. Das Haus von Snyder ist riesig. Ich habe die Adresse gegoogelt, die mir Mum gegeben hat. Drumherum ist ein Wäldchen. Es gibt also tausend Verstecke.«
»Also, wenn ich er wäre, würde ich etwas so Wertvolles nicht irgendwo draußen deponieren. Ich würde es bei mir haben wollen.«
»Vielleicht sollten wir in seinem Büro anfangen.«
»Wäre das nicht zu offensichtlich?«
Danielle zuckte die Schultern. »Irgendeinen Anhaltspunkt brauchen wir, und warum nicht etwas dort verstecken, wo es niemand suchen würde, gerade weil es zu offensichtlich ist.«
»Stimmt auch wieder«, sagte Mason und beobachtete, wie die Gegend an ihm draußen vorüberzog.
»Hier im Wagen müsste noch eine Ersatzkrawatte liegen«, sagte Danielle. »Dad hat immer welche dabei, falls er mal eine braucht.«
»Du denkst, ich sollte eine tragen.«
»Es wäre schicker. Ich kann sie dir auch binden.«
Mason seufzte. »Meinetwegen.«
*
Angel Island
Olivia bremste so heftig, dass eine Staubwolke den Wagen einhüllte. Sie stellte den Motor ab und sprang aus dem Auto. »Das ist ja der Wahnsinn! Schau dir die Kulisse an! Oh Randy, ich könnte dich knutschen.«
Randy stieg ebenfalls aus. Ihm war ein wenig schwindelig von Olivias Fahrstil, aber insgeheim wünschte er sich, auch so fahren zu können wie sie: unerschrocken und selbstbewusst.
Sie waren über eine Brücke auf die Insel gelangt und hatten direkt vor dem alten Rummel geparkt. Das Riesenrad stach Randy als erstes ins Auge. Es hingen sogar noch einige Gondeln dran, manche schwankten leicht durch den Wind hin und her, der vom Meer her wehte. Über dem Riesenrad stand der Mond satt und groß am Nachthimmel und hüllte alles in ein wunderschönes silbernes Licht. Das Meer glitzerte, als würden tausende Diamanten auf der Oberfläche treiben. Olivia hatte recht: Es war mystisch und faszinierend.
»Das ist perfekt«, sagte sie. »Dieses Licht ist der Hammer! Ich könnte das Meer und den Mond als Hintergrund nehmen und einige Stände fotografieren. Das Motto des Wettbewerbs ist »Catch the Night«. Wenn ich hier nicht die Nacht einfangen kann, dann weiß ich auch nicht.«
»Schön, wenn es dir gefällt.«
»Großartig. Einfach großartig.«
»Es gibt auch ein sehr altes Karussell mit Holzpferden und so«, sagte Randy. »Vielleicht funktioniert es noch. Wir könnten es anwerfen und du machst ein paar Bilder, wie sich die Figuren drehen.«
Olivia drehte sich zu ihm. Ihre hellen Zähne blitzten in der Dunkelheit. Hätte sie keine Ohren, würde sie im Kreis grinsen. »Wie gesagt, ich könnte dich knutschen.«
Randy wurde heiß. Olivia kam auf ihn zu, er wich zurück, überlegte sich bereits, wie er sie davon abhalten sollte, doch sie klopfte ihm auf die Schulter und lief weiter zum Kofferraum, um ihre Fototasche herauszuholen. Das mit dem Knutschen war offenkundig nur rhetorisch gemeint, und Randy ließ erleichtert die Luft aus den Lungen. Olivia war ein nettes Mädel, aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, mit ihr herumzumachen.
Sie schulterte ihre Tasche. »Bereit?«
»Na klar. Nach dir.«
Das Gelände war mit einem alten Maschendrahtzaun eingezäunt. Er diente wohl eher zur Abschreckung als zur Sicherheit, denn es war nicht weiter schwer, ein Loch zu finden, durch das sie sich zwängen konnten.
Sobald sie drinnen waren, holte Olivia ihre Kamera heraus und knipste los. Immer wieder sagte sie »Wahnsinn!« oder »Der Hammer«, »Dieses Licht«, »Ich dreh durch«. Randy lief grinsend neben ihr her.
Sie kamen an einem alten Zuckerwattestand vorbei. Leider roch es nicht mehr nach Leckereien, sondern nach fauligem Holz und Schimmel. Randy war gerne auf Rummelplätzen. Die Atmosphäre hatte etwas von Kindheit.