Andreas Suchanek

Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King


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wie die Empörung wieder in ihm aufstieg, doch Jamie nickte ihm aufmunternd zu. »Eigentlich gibt es solche Apps mit Verschlüsselung ja auch schon für Privatleute, dennoch ist es mir lieber, eine eigene zu haben, bei der wir sicher sein können, dass …« Er stoppte und verbiss sich ein »… uns der Graf nicht belauschen kann …« und sagte stattdessen »… man sich keinen Zwängen unterwerfen muss.«

      Anerkennend hob Jamie die Augenbrauen. »Das klingt tatsächlich vielversprechend, ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass solch eine Anwendung gefragt ist, wenn man sie gut vermarktet. Der kommerzielle Nutzen, der auch ohne Datenverkauf erzielt werden kann, wurde meiner Meinung nach noch nicht erkannt.«

      Randy legte seine Gabel nieder und hob abwehrend die Hand. Bei den Worten »kommerzieller Nutzen« sträubten sich schon wieder seine Nackenhaare. »Nein, ich wollte sie nur für den Privatgebrauch entwickeln …«

      Jamie Collister lachte auf. »Ich kenne ja deine Einstellung, keine Sorge. Auch wenn ich sie schade finde.«

      »Allerdings könnten auch …«

      »Mason, mach erst den Mund leer, bevor du sprichst«, warf Martha Collister mit einem Stirnrunzeln ein.

      Doch Mason schluckte nur kurz und sprach ungerührt weiter. »… noch andere davon profitieren.«

      Randy stieß Mason mit dem Fuß unter dem Tisch an. Dass Mason, Olivia, Danielle und er sich mit der App bei ihrer Suche nach dem Mörder von Marietta King absprechen konnten, brauchte er Masons Dad ja nicht auf die Nase zu binden. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die App für alle zum Schutz vor dem Grafen, dem Untergrundkönig von Barrington Cove, dienen könnte, der die ganze Stadt fest im Griff hatte. Jamie Collister war ein hellwacher Geist, den brauchten sie nicht auf den Plan zu rufen. So freizügig die Collisters auch waren und so jugendlich sie sich verhielten: Wenn sie wüssten, dass sich Mason und er durch ihre Recherchen am Mord an Marietta King selbst in die Schusslinie des Grafen brachten, wäre die Kacke am Dampfen. Es hatte schon gereicht, dass Mason als Werkzeug des Grafen gegen Jamie benutzt wurde, als ihm Drogen in seinen Schulspind untergejubelt worden waren.

      Doch Masons Dad schien sich aktuell mehr auf sein Spezialgebiet, die technische Seite der App, zu fixieren und sie fachsimpelten eine Weile miteinander. Randy erhielt eine ganze Reihe nützlicher Tipps von ihm über neue Quellcode-Bibliotheken, die ihm weiterhalfen.

      Mason ergriff das iPad seines Vaters und vertiefte sich in die neuesten Nachrichten der NBA, der National Basketball Association. Auch wenn er sich selbst damit quälte, konnte er es anscheinend nicht lassen.

      Als Randy nach dem Essen aufstand und beim Abräumen half, schob Mason murrend seinen Stuhl zurück.

      »Schleimer«, zischte er Randy erneut zu.

      Doch Randy nahm es ihm nicht übel, er grinste nur. »Nach der Portion schadet dir ein bisschen Bewegung nichts.«

      »Mason, du kannst gleich noch die Spülmaschine einräumen, ich muss noch ein paar Telefonate führen«, rief seine Mutter beim Hinauslaufen aus der Küche. Die Leitung des Touristikbüros der Stadt ließ ihr auch keinen Feierabend.

      »Danke für die Einladung zum Essen«, rief Randy ihr hinterher, doch sie winkte nur ab und lächelte.

      Mason räumte mürrisch das Besteck in den Spülkorb. Vermutlich würde seine Mum später alles noch einmal umräumen müssen, weil die Hälfte falsch verstaut worden war.

      Als sie fertig waren, gab Mason Randy einen Schubs in Richtung Treppe und grinste. »Lass uns hochgehen, ich hab dir die neue Linkin Park noch gar nicht vorgespielt, oder?«

      Randy lachte auf. Sie hatten den Song heute schon gefühlte hundert Mal als Stream laufen lassen. »Nee, da bin ich ja schon echt gespannt drauf.«

      Lachend stiegen sie die Treppe hinauf.

      *

      Ein Dienstagvormittag

      Mason zog sein Smartphone aus der Hosentasche und linste auf das Display. Shit, immer noch zehn Minuten! Verging die Zeit eigentlich gar nicht? Er ließ sich wieder nach hinten sinken, streckte die Füße unter dem Pult aus und schloss für einen Moment die Augen. Diese »Miss« (auf das sie in ihrem steinzeitlichen Alter unbedingt bestand) Fuller konnte sich so an ihrem Stoff aufgeilen. Die Kathedralen-Kurzgeschichte von Raymond Carver mochte ja nicht schlecht sein, aber warum konnten sie die nicht einfach lesen und es gut sein lassen, anstatt dass die Fuller nun schon seit zwei Stunden an einem drei-oder-wie-viel-auch-immer-seitigen Ding rumlaberte? Er zuckte zusammen, als ihn etwas Spitzes in den Arm stach, und fuhr herum.

      Randy legte sein Geodreieck wieder vor sich und deutete mit den Augen nach vorne.

      Die Fuller stand mit verschränkten Armen da und schaute ihn grimmig an. »So, Mr. Collister, hatten Sie letzte Nacht nicht genug Schlaf?«

      »Ich habe nur gerade versucht, mir vorzustellen, wie es ist, nichts sehen zu können, wie dieser …« Verdammt, wie hieß der Blinde in der Geschichte? Hatte er überhaupt einen Namen? »… ein blinder Typ, der die Kathedrale malt«, improvisierte er und lächelte sie strahlend an.

      Aus den Pultreihen drang ein unterdrücktes Lachen.

      »Miss« Fuller schnaubte, dann wandte sie sich wieder ihrem Buch zu und laberte etwas von Syntax. Er versuchte, seinem Gesicht einen interessierten Ausdruck zu geben, während er seine Gedanken schweifen ließ.

      Endlich wurde er von der Schulglocke erlöst. Ein ohrenbetäubendes Geschrei brach los. Er trat ans Fenster, öffnete es, steckte den Kopf hinaus und ließ sich die Sonnenstrahlen aufs Gesicht scheinen. Obwohl der Autolärm hier überwog, bildete er sich ein, das Meer rauschen zu hören und die salzige Luft über den Abgasdunst hinweg zu riechen. Es dauerte einen Moment, bis Mason registrierte, dass es hinter ihm ruhiger geworden war. Er drehte den Kopf. Samsbury, der Direx, stand in der Tür! Ausgerechnet!

      Unwillkürlich fing sein Herz an zu rasen. Er presste die Lippen zusammen. Verdammt! Dass dieser Sack ihn immer noch so aus der Ruhe bringen konnte! Doch dieses Mal hatte er es wohl nicht auf ihn abgesehen.

      Samsbury klatschte in die Hände, dann spreizte er sie, dass sich nur noch die Fingerspitzen berührten. »Ladies and Gentlemen! Einen Augenblick Ruhe, bitte!«

      Oh, wie er diese näselnde Stimme mit diesem fürchterlichen englischen Akzent hasste! Nicht umsonst hatte er den Spitznamen »Der Prinz«! Doch die nächsten Worte ließen Mason aufhorchen.

      »Leider ist Mr. Johnson ausgefallen und wir konnten für die nächste Stunde so kurzfristig keinen Ersatz aufbringen, Sie haben die nächste Stunde also eine Freistunde.« Gleich hob er die Hand, um das Stimmengemurmel zu stoppen, und fuhr fort. »Was nicht bedeuten soll, dass Sie frei haben. Nehmen Sie ihre Mathematikbücher und arbeiten Sie den Stoff der letzten Stunde nochmals durch.«

      Ja, klar! Und sonst fehlte dem nichts?

      Wie geil war das denn? Einige konnten ihre Freudenbekundungen nicht unterdrücken.

      Der Prinz hob die Hand. »Auch das Lernen im Hof ist gestattet. Aber vergessen Sie nicht: Es ist Ihnen strengstens untersagt, das Schulgelände zu verlassen!«

      Is' klar!

      Er würde erst mal zu »Brown's« an der Ecke gehen und sich einen Bagel holen, sein Magen knurrte schon wieder.

      Als hätte der Direx die Gedanken gespürt, bohrte sich sein Blick in Masons Augen. Er konnte direkt ein Ziehen im Kopf spüren. Mühsam versuchte er, seine Verachtung und das Unwohlsein zu unterdrücken und dem Blick ungerührt standzuhalten.

      Der Prinz drehte sich zur Tür und sagte im Hinauslaufen: »Und keinen Lärm! Wenn ich etwas höre, kann sich derjenige gleich heute Nachmittag im Anschluss an den Unterricht noch eine Stunde lang Gedanken machen, was er hätte anders machen sollen.«

      Kaum war er draußen, brach der Jubel los.