Arme und Beine hinunter.
»Was für ein Arsch«, stieß Randy, immer noch leicht atemlos, hervor. Es klang, als käme es aus tiefstem Herzen.
Unwillkürlich schlich ein Grinsen auf Masons Gesicht, obwohl ihm gar nicht nach Lachen zumute war. »Du hast es ihm aber gegeben.«
Der Schock, der ihm immer noch in den Gliedern steckte, ließ auf einmal ein albernes Kichern aus ihm herausbrechen. Randy stimmte mit einem lauten Wiehern ein. Sie konnten gar nicht aufhören und hielten sich aneinander fest.
Thompkins' Hass, der sich auf seinen Gesichtszügen spiegelte, war körperlich zu spüren. Er formte mit seinen Fingern eine Pistole und drückte ab. Dann pustete er symbolisch den Rauch weg und drehte sich um.
*
Tarnowski-Haus, der geheime Raum
Ein Dienstag, nach der Schule
Olivia strich sich eine widerspenstige schwarze Strähne aus der Stirn und drückte den Rücken durch. Sie war ganz bestimmt kein ängstlicher Typ, aber alleine durch dieses ausgestorbene Tarnowski-Haus zu laufen, verursachte ihr immer eine Gänsehaut. Das einzige Geräusch war das Klingeln ihrer Silberreifen am Arm. Die Atmosphäre hier war düster, die skurrile Einrichtung, vom europäischen Antik-Stil der alten Königshäuser, wie man es immer im Fernsehen sah, bis zu modernen schrill-bunten Bildern, irgendwie gruselig. Immer wieder fragte sie sich, was dieser Billy wohl für ein Typ gewesen war und was ihn hatte so verschroben werden lassen. Masons Dad war doch mit ihm befreundet gewesen, zumindest hatte er der Beerdigung beigewohnt und auch dieses Haus geerbt. Ob der wohl wusste, warum Billy so kauzig gewesen war?
Sie eilte die Treppe hinauf in den ersten Stock. Die Sohlen ihrer Chucks verschwanden fast komplett in dem dicken Teppich im Obergeschoss. Sie betätigte den verborgenen Hebel, der in die Intarsien der Standuhr eingearbeitet war, die daraufhin langsam zur Seite schwang und den Geheimgang zum versteckten Keller preisgab. Muffige Kälte waberte ihr entgegen. Von den Glühbirnen, die die schmalen Steinstufen von links und rechts beleuchteten, hatte sich schon wieder eine verabschiedet, obwohl Mason sie kürzlich alle ausgetauscht hatte. Wahrscheinlich waren die Leitungen hier im Haus völlig am Ende. Wenigstens hatte Randy sein Computernetzwerk mit irgendeiner unterbrechungsfreien Stromversorgung gesichert, schoss es Olivia durch den Kopf.
Sie war froh, als sie gedämpft die Stimmen ihrer Freunde vernahm. Randy sagte gerade: »… wir haben keinerlei Hinweise, was aus Mariettas Schwangerschaft wurde, diese Frau vom Jahrmarkt …« Es klickte, wahrscheinlich suchte er gerade in seinem Rechner nach dem Namen.
»Loretta«, half Olivia aus. »Und: Hi zusammen.«
Drei Köpfe schossen zu ihr herum.
»Hey, schleich dich nicht so an«, beschwerte sich Mason lachend.
Danielle richtete sich auf ihrem Lieblingsohrensessel auf, in dem sie gefläzt hatte, und deutete auf den Kühlschrank. »Hi, du siehst aus, als könntest du eine Cola gebrauchen, ich hab dir Dr. Peppers kaltgestellt.«
»Hey, danke!« Olivia nickte dankbar. »Super, das ist jetzt genau das Richtige. Diese verdammte Mathearbeit heute hat mir wahrscheinlich das Genick gebrochen.« Sie rollte die Augen.
Mitleidiges Brummen der anderen folgte.
»Wärst du bei Johnson, wäre dir das erspart geblieben, der war heute krank. Wir hatten Hohlstunde.«
Doch gleich legte Danielle los. »Hast du schon gehört, dass die Jungs deshalb heute mit Thompkins zusammengerasselt sind?«
Als die Drei ihre Erzählung beendet hatten, hatte Olivia eine Gänsehaut. Der Gedanke an dieses Ekelpaket, seine grabschenden Hände, sein tabak- und alkoholgeschwängerter Atem …
»Mannomann, das ist ja eine schöne Scheiße! Da will ich gar nicht dran denken!« Sie erschauderte. Ihr Mund wurde trocken. Zischend öffnete sich die Dose, und die Cola rann eiskalt ihren Hals hinunter. Sie stöhnte auf, ließ sich aufs Sofa sinken, dann wandte sie sich an Randy. Sie musste das Thema wechseln. »Wo wart ihr stehengeblieben?«
Er lächelte ihr zu. »Noch nicht weit, wir haben auch erst angefangen mit dem, was du schon weißt, Mariettas Schwangerschaft.«
»Und es wusste wirklich keiner, was aus dem Kind wurde?«, fragte Danielle.
Olivia schüttelte bedauernd den Kopf.
Mason, der wie immer nicht stillsitzen konnte, tigerte durch den Raum. Dann klopfte er sich nachdenklich mit dem Finger gegen die Vorderzähne. »Können wir denn nicht irgendwo herausfinden, ob das Kind auf die Welt kam oder ob sie es vielleicht … abgetrieben hat?«
»Hm, gute Frage! Keine Ahnung.« Bedauernd zuckte Olivia die Achseln.
Auch Randy raufte sich verzweifelt die Haare. »Wir können nicht mal in den Datenbanken suchen, damals gab es sowas nicht.«
Sie räusperte sich. »Okay, lasst uns nachdenken. Die Jahrmarktjungs sagen, es existierte ein ungeborenes Baby. Zum einen müssen wir herausfinden, was mit dem Kind passiert ist. Wo steckt es? Und vor allem: Wer ist der Vater?«
Sie wandte sich an Randy. »Haben wir schon herausgefunden, mit wem Marietta sonst zusammen war?«
Randy schien auch froh über den Themenwechsel zu sein. »Nein, leider nicht, außer …« Vielsagend blickte er auf Mason, der gerade seinen Kopf in den Kühlschrank gesteckt hatte, um nach etwas Essbarem zu suchen. Glücklicherweise schien Mason es nicht mitbekommen zu haben. Das hätte noch gefehlt, dass er mit der Nase darauf gestoßen wurde, dass sein Dad, als Ex-Freund von Marietta, durchaus als potentieller Vaterschaftskandidat infrage kam.
»Haben wir noch irgendwo Lakritze?«, lenkte Randy ab und zerknüllte die leere Tüte.
Danielle sprang auf und griff in ihre Tasche. »Ich hab dir welche mitgebracht.«
»Danke.«
»Ach«, sie winkte schnell ab. »Ich war sowieso einkaufen.«
Olivia lehnte sich zurück. Schau an. Vielleicht war Danielle doch nicht so schlimm, wie sie gedacht hatte. Vielleicht.
Randy riss die Tüte auf und begann zu kauen.
Mason war endlich mit einer Mini-Salami fündig geworden. »Okay, wo waren wir stehengeblieben?«
»Wir wissen nicht, ob das Kind auf die Welt kam«, assistierte Olivia. Da kam ihr ein Gedanke. Sie wandte sich an Danielle. »Deine Mutter und Marietta King waren doch gut befreundet – kannst du über die nichts herausfinden?«
Danielle versteifte sich, fast konnte man meinen, sie wurde blass unter ihrer Sommerbräune. »Nein! Auf gar keinen Fall!« Vehement schüttelte sie den Kopf. Sie klang verbittert, als sie hervorstieß: »Meine Mutter kann ich überhaupt nichts fragen.«
Olivia holte tief Luft, doch sie verkniff sich eine Bemerkung dazu.
Auch Mason sah aus, als hätte ihm eine andere Antwort besser gefallen. Er ließ sich neben ihr aufs Sofa fallen. Gedankenverloren folgte sie ihm mit ihren Blicken.
Moment!
Olivia hob überrascht den Kopf. Schon beim Hereinlaufen war ihr die frische Farbe aufgefallen, doch sie war abgelenkt gewesen. »Haben wir neue Sofabezüge?« Das blau-gelbe Muster ließ den Raum gleich viel freundlicher erscheinen.
Die Jungs blickten ziemlich erstaunt über den Themenwechsel.
»Stimmt!« Mason nickte verblüfft.
Danielles Miene hellte sich auf und sie drehte verlegen eine Haarsträhne über ihren Finger.
»Sieht klasse aus, hab ich gestern Abend schon gesehen, als ich, nachdem ich bei Mason war, kurz hier vorbeikam, um ein paar Akten zurückzubringen.« Anerkennend lächelte Randy Danielle zu.
Die Röte auf den Wangen übertönte ihre Bräune.
»Danke«,