F. John-Ferrer

Und über uns die Ewigkeit


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haben die Engländer aber von den Bombern abgelenkt. Im tollen Durcheinander weiß man erst gar nicht, was Feind und was Freund ist.

      Da! Diesmal ist es eine Hurricane, die sich Rudolf vornehmen will. Die Kurbelei beginnt von Neuem. Aber der Engländer ist ein ausgekochter Bursche, der sich nicht packen lässt. Verbissen versuchen die beiden, hinter den Gegner und zum Schuss zu kommen.

      Die Hurricane ist sehr wendig. Was der Engländer da an fliegerischem Können zeigt, will Rudolf bange machen. In engen Steilkurven geht die Jagd weiter. Dann reißen sie die Maschinen wieder hoch. Looping, Turn, alles kommt dran. Im Sturzflug geht es wieder tiefer. Auf einmal sieht Rudolf, dass unter ihm das Meer ist. Soeben rast der Engländer seitlich vorbei, stellt die Maschine auf die rechte Flügelspitze, kurvt ein und schießt auf Rudolf zu.

      Zu spät merkt Rudolf, dass er der Hurricane direkt ins Schussfeld fliegt. Schon flitzen die schimmernden Perlenketten ran. Schon zersplittert das Panzerglas, wird milchig, bekommt winzige Löcher. Plötzlich greift eine höllische Hitze nach Rudolfs Beinen. Heißes Ol spritzt ihm ins Gesicht und macht die Brillengläser blind. Es hat ihn erwischt! Diesmal war der Engländer der Sieger!

      Scheiße, verfluchte! Raus aus der Kiste! Kabinenhaube runter! Springen! Die Haube wird weggerissen. Eine jaulende Riesenfaust packt zu und zerrt Rudolf heraus. Dann beginnt der wahnwitzige Sturz in die Tiefe, dem grauen, schimmernden Wasser entgegen.

      Etwa zweihundert Meter weiterab stürzt eine brennende Maschine in die Tiefe, schlägt auf das Wasser auf und verschwindet im Meer. Der Staffelkapitän hat sich den abfliegenden Engländer vorgenommen und abgeschossen. Dem Feind bleibt keine Möglichkeit mehr, auszusteigen. Er stürzt mit der brennenden Hurricane in den Tod.

      Rudolf ist kopfüber und hin und her gepurzelt. Instinktiv hat er die Reißleine des Fallschirms gezogen. Der bringt ihn sogleich in Normallage. Rudolf pendelt aus. Eine sanfte Luftfahrt beginnt – nach unten, dem Meer zu. Weit drüben schimmert die rettende Küste … viel zu weit, um sie schwimmend zu erreichen.

      Hanke ist aus den Wolken herausgestoßen und fliegt der Sonne entgegen, die jetzt im Süden steht. Die Besatzung der Ju hat den Luftkampf teilweise gesehen, hat die vier Abschüsse registriert und einander zugebrüllt, wenn einer abschmierte und eine Rauchfahne hinter sich herzog. Jetzt fliegt die Ju unter klarem Sonnenhimmel. Hoffentlich ist Rudolf gut abgekommen und hat einen abgeschossen, denkt Hanke. Da meldet Emmes, dass rechter Hand ein Fallschirm niedergeht.

      Hanke schaut hinaus. Ja, dort pendelt einer runter! Ein Kamerad! Hanke fragt nach hinten, ob etwas los sei.

      »Keine Feindmaschine zu sehen. Eigene Jagdstaffel entfernt sich Richtung Heimat.«

      Die Me’s müssen heim. Der Sprit reicht nur noch bis zum Flugplatz. Hanke sieht, dass zwei Me 109 um den niederpendelnden Fallschirm kurven. Dann kommt ein Funkspruch, dass die Ju den abgeschossenen Flieger sichern soll.

      »Wer ist es?«, fragt Hanke an.

      »Leutnant Brechtmann«, lautet die Antwort im Sprechfunk.

      Hanke beißt die Zähne zusammen. Armer Kerl, hast Pech gehabt, denkt er.

      Dann drückt Hanke die Ju nach unten und fliegt der Stelle zu, an der eben der Fallschirm auf die graublaue Flut niedersinkt.

      Hart klatscht Rudolf in die kalte See, taucht unter, rappelt sich hoch, fingert nach dem Fallschirmschloss und öffnet es. Endlich ist er frei. Die Schwimmweste trägt den Körper. Nur der Kopf schaut aus dem Wasser. Rudolf spuckt und hustet. Salzwasser schmeckt ekelhaft.

      Da! Etwas donnert über Rudolf hinweg. Er schaut hinauf, drehte sich, sieht das Leitwerk einer Ju 88 und atmet auf. Er ist nicht allein. Gott sei Dank! Die Kameraden sind da! Ob es Horst Hanke ist?

      Ja, er ist es!

      Rudolf erkennt die Maschine, sieht die winkende Hand, als die Ju noch einmal vorbeifliegt und in eine weite Kehre geht.

      Erst jetzt kommt es Rudolf zum Bewusstsein, dass er gesiegt und doch verloren hat. Ihm ist zum Heulen zumute. Die schöne Me 109 ist beim Teufel! Der erste Feindflug und schon abgeschossen! Was hilft’s, dass man einen runtergeholt hat! Wer weiß, ob der Abschuss anerkannt wird, ob ihn jemand beobachtet hat! Rudolf hängt schlaff in der Schwimmweste. Er hat keine Lust zu schwimmen. Er möchte am liebsten absaufen. Einfach die Schwimmweste runterreißen und sich sinken lassen! Aber er tut es nicht.

      Die Ju ist plötzlich wieder da. Hanke winkt im Vorbeifliegen.

      Er lacht mich sicher aus, denkt Rudolf. Ich spür’s direkt, dass er sich eins feixt.

      Die Ju fliegt keine hundert Meter über dem Wasser. Weit und breit ist kein Schiff zu sehen. Die Küste liegt etwa zehn Meilen entfernt. Und Leutnant Rudolf Brechtmann klappert mit den Zähnen – nicht nur vor Kälte, auch vor Wut und Enttäuschung. Dann versucht er, sich durch Schwimmen warm zu machen.

      Indessen funkt die Ju den Seenotdienst an: »Abgeschossener Flieger im Planquadrat 16a. Entsendet sofort Rettungsmaschine.«

      Hanke wirft einen Blick auf die Treibstoffuhren. Noch etwa 15 Minuten kann er sich in der Nähe Rudolfs aufhalten, dann muss er heimfliegen.

      »Emmes, pass auf, dass uns kein Tommy den Schwanz absägt!«

      »Noch nischt zu sehen, Herr Leutnant.«

      »Schöner, was hat die Seenotstelle geantwortet?«

      »Maschine startet sofort.«

      »Dann kann sie in frühestens fünfzehn Minuten da sein«, sagte Semmler und starrt aufs Wasser hinunter.

      Weit drüben sieht man einen dunklen Punkt, einen Menschenkopf aus dem Wasser ragen.

      Hanke fliegt noch einmal an Rudolf vorbei, streckt eine Hand durch das Schiebefenster und winkt.

      »Na ja, ich kann nichts dafür«, grunzt Rudolf und hebt ebenfalls grüßend eine Hand aus dem Wasser. »Hauptsache, ich bin nicht hopsgegangen dabei …«

      Nein, das ist er diesmal noch nicht. Er hat seinen ersten Luftsieg errungen. Jemand wird es bestimmt gesehen haben. Und dann … Was dann, denkt Rudolf, während er langsame Tempi macht, um das Blut zirkulieren zu lassen. Das passiert doch jedem Dritten mal, dass er eins draufgebrannt kriegt. Fürs EK II reicht’s bestimmt … Und hätte ich besser aufgepasst, hätte ich den Tommy auch noch erwischt … War ein tüchtiger Bursche! Schade, dass er doch noch runtergeholt wurde. Wäre mir beinahe auf den Kopf gefallen! … Hätte mir ebenso ergehen können. Was maule ich also? Hatte doch Glück! Riesenmassel, wie man so schön sagt!

      Das sind die Gedanken, mit denen Rudolf im Wasser hängt und mit langsamen Armstößen schwimmt. Wie eine besorgte Glucke kurvt indessen die Ju um den in Seenot geratenen Flieger herum.

      Hanke lässt keinen Blick von Rudolf, passt auf ihn auf, wünscht sich, Schwimmer anstelle eines Fahrgestells zu haben. Immerhin – Rudolf ist nicht draufgegangen! Dort drüben schwimmt er! Armer Kerl! Wenn man ihn herausfischt, wird er fluchen und mindestens vier Glas Glühwein oder Grog trinken.

      Die fünfzehn Minuten sind um. Hanke schaut besorgt auf die Treibstoffuhren. Höchste Zeit, dass man den Heimflug antritt! Auch Feldwebel Semmler nickt, als er mit Hanke einen Blick tauscht.

      Hanke fliegt eine letzte Runde.

      »Flugzeug in Sicht!«, meldet Schöller von rückwärts. Der Himmel ist leergefegt von Wolken. Die Sonne scheint hell und klar.

      Von der französischen Küste her nähert sich eine Maschine. Eine Heinkel He 59 ist es, ein Wasserflugzeug für den Seenot-Rettungsdienst. Sie hat schon etliche aus dem Kanal gefischt.

      Die Ju kurvt noch in halber Höhe über dem schwimmenden Punkt und dreht etwas ab, als auch die Heinkel einfliegt und um Rudolf zu kreisen beginnt. Dann hat sie ihn ausgemacht.

      Hanke wartet noch, bis die Seenotmaschine auf der leicht bewegten See aufgesetzt hat, sich an Rudolf heranschiebt und ihn aus dem Wasser holt.

      »Hat wieder mal einer Schwein gehabt«, lässt sich Semmler vernehmen.

      Hanke nickt.