unterdessen in der Rettungsmaschine und schnattert mit den Zähnen.
»Wir sind gleich da«, ruft ihm ein Unteroffizier zu. »Sind Sie verwundet?«
Rudolf schüttelt den Kopf.
Erst jetzt kommt es ihm zu Bewusstsein, dass er unverschämtes Glück hatte. Nicht jedem gelingt es, auszusteigen und anschließend von den eigenen Leuten aufgefischt zu werden. Denn auch die Engländer machten sich nur zu gerne erbötig, einen deutschen Flieger aufzufischen; Verhöre, Zigaretten und freundliche Fragen leiten dann die Gefangenschaft ein.
Pfui Deibl, denkt Rudolf, das hätte mir gerade noch gefehlt.
Eine Viertelstunde später landet die Heinkel in einem kleinen Hafen. Auf der Kimme des ansteigenden Ufers glaubt Rudolf, eine Küstenbatterie in Stellung zu erkennen. Im Hafen selbst liegen nur ein paar französische Fischerkähne und drei deutsche Schnellboote. Etwa hundert Schritt weiter rechts steht ein barackenähnliches Gebäude, mit Tarnanstrich versehen und mit einem Funkmast ausgestattet.
Rudolf bedankt sich bei der Heinkel-Besatzung. Dann geht er über einen wippenden Laufsteg an Land, gefolgt von dem Unteroffizier. Von den Schnellbooten herüber gucken ein paar Matrosen. Rudolf beeilt sich. Ihm ist nicht ganz wohl zumute; er schämt sich fast. Sieht ja auch nicht gerade heroisch aus, so mit quatschenden Filzstiefeln und triefender Kombination von einem Feindflug heimzukehren.
»Ich muss meine Staffel benachrichtigen«, erklärt er dem Unteroffizier. »Wo kann ich telefonieren?«
»Das machen wir schon«, lautet die Antwort. »Kommen Sie nur, Herr Leutnant, ich bringe Sie erst mal in eine warme Stube. Sie holen sich sonst eine Erkältung!«
Wie zur Bestätigung muss Rudolf heftig niesen, und er niest noch etliche Male, ehe er eine molligwarme Stube betritt, in der ein weiß überzogenes Bett, ein Nachttisch, ein Spind und ein Tisch mit zwei Hockern stehen.
Der Unteroffizier macht den Spind auf und holt einen Bademantel und eine Garnitur Unterwäsche heraus.
»Ihre Klamotten trocknen wir ganz schnell«, sagte er. »In drei Stunden kriegen Sie sie wieder zurück und können heimfahren.«
Rudolf schält sich aus der triefenden Bekleidung.
»Haben Sie schon viele rausgefischt?«
Der Unteroffizier reicht ihm ein großes Frottiertuch. »Eine Menge schon, Herr Leutnant. Allein in den letzten acht Tagen waren es sechse. Zwei Engländer und viere von uns.«
Rudolf frottiert sich ab. Inzwischen sammelt der Unteroffizier die nassen Klamotten auf und geht zur Tür. »Ruhen Sie sich erst mal aus, Herr Leutnant. Ich werde Ihnen gleich jemanden herschicken, der Ihnen was Warmes bringt. ’n Grog tut’s meistens.«
»Einen Grog, ja, den könnte ich gebrauchen! Eh, Unteroffizier, haben Sie ’ne Zigarette für mich?«
Der Unteroffizier lässt ihm eine Packung Juno und Streichhölzer da, dann geht er. Rudolf steckt sich einen Glimmstengel an, setzt sich im Bademantel auf die Bettkante und genießt den Tabak.
Ich kann wirklich froh sein, dass es noch so gut abgegangen ist, denkt er. Man stirbt eigentlich schnell den Heldentod.
Rauchend vergegenwärtigt er sich nochmals den Luftkampf. Aber so richtig froh ist er trotz des ersten Sieges nicht. Immer wieder muss Rudolf daran denken, was die Kameraden sagen werden, wenn er sich zurückmeldet. Na ja, gleich beim ersten Feindflug abgeschossen zu werden, ist bestimmt keine schöne Sache. Diesmal ist es noch gut gegangen. Und das nächste Mal?
Rudolf legt sich auf das Bett, schiebt die Arme unter den Nacken und schließt die Augen. Er ist müde. Ein bleiernes Schlafbedürfnis stellt sich ein. Es ist still und warm im Zimmer. Man ist in Sicherheit. Aber die Gedanken kreisen langsam weiter.
Mein erster Abschuss … er wird sicher anerkannt werden. EK II ist fällig. Die erste Auszeichnung. Mama und Paps … na, die werden sich freuen. Und erst wenn mir das EK I angehängt wird. Sicher. man braucht dazu nur ein bisschen Glück. Heute war Pech dabei, morgen kommt’s anders. Ich weiß jetzt, wie man’s machen muss. Noch ein paar Feindflüge, und ich bin genau so routiniert wie die alten Hasen … etwa wie der Greiner. … Der Engländer, hm … War ein verdammt guter Pilot. Ob er verheiratet war? … Wer jetzt wohl um ihn weint? … Schicksal! – Heute ich, morgen du … Man soll über dergleichen nicht nachdenken.
Mit der Zigarette im Mundwinkel schläft Leutnant Rudolf Brechtmann ein.
Plötzlich erwacht er. Jemand hat ihm die Zigarette aus dem Mund genommen. Eine Krankenschwester steht vor dem Bett. Sie ist schlank, trägt die waschblaue Tracht mit der weißen Schürze. Unter dem blauen Häubchen stiehlt sich eine blonde Haarsträhne hervor. Ein Paar grüne, mandelförmige Augen schauen aus einem auffallend blassen Gesicht.
Himmel, wo habe ich dieses Gesicht schon gesehen? schießt es Rudolf durch den Kopf.
Er richtet sich auf, stützt den Oberkörper auf die Ellenbogen, starrt die lächelnde Erscheinung an, die ein Tablett trägt, auf dem ein dampfendes Glas Grog steht.
»Na?«, fragt eine Mädchenstimme. »Wie geht’s?«
»Sie sind doch … Aber das ist doch wohl nicht möglich! Doris Brandorff?«
»Und Sie sind Rudolf Brechtmann, nicht wahr?«, fragt sie, während sie die Zigarette behutsam in den Aschenbecher legt.
»Doris!«, ruft Rudolf. Er ist jetzt völlig wach, richtet sich auf und reicht ihr die Hand. »Ich kann’s gar nicht glauben.«
Sie setzt erst das Tablett ab, reicht ihm dann die Hand und sagt: »Doch, doch, es ist schon so! Ich bin seit drei Wochen hier.«
»So ein Zufall, so ein Zufall«, murmelt Rudolf und lässt ihre Hand los.
»Kommen Sie«, sagt die Krankenschwester, »trinken Sie jetzt erst einmal den Grog, der wird Ihnen guttun.« Sie reicht ihm das Glas.
»Danke … danke … Also, ich bin noch immer ganz baff. Wie kommen Sie hierher, Doris? Setzen Sie sich, erzählen Sie! … Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Muss doch bald ein Jahr her sein, nicht wahr?«
Doris steht vor dem Bett. Sie lächelt auf den Mann hinunter. Auch sie war sehr erstaunt, als sie hereinkam und plötzlich einen Bekannten im Bett liegen sah … noch dazu einen, der mit Horst Hanke befreundet war, gut befreundet sogar. Welch ein merkwürdiger Zufall!
»Es war im Januar, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben«, entgegnet sie. »Bei Horst war es. Sie kamen mit einer Dame, die Sie uns als Marion vorgestellt haben.«
»Das kann stimmen«, grinst Rudolf und umschließt das heiße Grogglas mit beiden Händen. »Setzen Sie sich doch, Doris. Ich freue mich über diesen Zufall.«
Während Doris sich einen Stuhl heranholt, erinnert sie sich genau an jene Bekanntschaft, mit der sie heute wieder zusammengeführt wurde. Rudolf Brechtmann hat oft seine Damenbekanntschaften gewechselt. Horst hat ihn deswegen Casanova genannt, sonst aber haben sich die beiden immer gut versanden. Man hat sich nicht oft getroffen. Soweit Doris sich erinnern kann, ist das höchstens zwei- oder dreimal geschehen.
Sie stellt den Stuhl an das Bett und setzt sich. Rudolf mustert sie, grinst unablässig, freut sich wirklich und stellt insgeheim fest, dass Doris Brandorff hübscher geworden ist, reifer. Er hat sie als stilles, anlehnungsbedürftiges Mädchen in Erinnerung. Irgendwie hat sie zu Horst gepasst. Um so verwunderlicher, dass das Verhältnis damals auseinandergegangen ist. Ob man davon sprechen kann? Mal sehen …
»Wie kommen Sie hierher, Doris?«, fragte er.
Sie berichtet kurz, dass sie ihren Beruf als Sprechstundenhilfe aufgegeben, sich dann zu einem Krankenschwesternkursus gemeldet hat und anschließend auf ihr Ersuchen hin nach Frankreich versetzt worden ist. Es gebe hier nicht viel zu tun, erzählt sie weiter. Mit dem Oberarzt zusammen und einem Sanitätsdienstgrad versorge sie die Küstenstation.
Kein Wort von Horst, kein Wort von Heinz Berger, mit dem sie, wie Rudolf weiß, verlobt war.
Doris