Группа авторов

Frankfurter Einladung 2


Скачать книгу

Stück leisten? Mein ganzes Leben arbeite ich – und jedes Schulmädel kauft sich heutzutage teure Designerklamotten. Dieser Mantel war etwas ganz Besonderes und seine Pracht schien auf sie abzustrahlen. Der Schalk packte sie und sie wollte die Betreiberin plötzlich überraschen, ihr zeigen, dass sie eine Frau von Welt war. In einem Anflug von plötzlichem Wahnsinn sagte sie also:

      »Er gefällt mir« und fügte nach einer Kunstpause hinzu: »Ich nehme ihn.« Nun strahlten beide Frauen.

      »Er kleidet Sie wirklich sehr. Sie werden es nicht bereuen«, fügte die Inhaberin hinzu.

      Kaum hatte sie den Mantel abgelegt, verschwand der Zauber. Sie sah wieder ganz unscheinbar aus und kam sich sogar pummelig und profan vor. »Ich brauche ihn also, diesen Mantel«, sagte sie sich. Es ging nicht mehr ohne. Und schließlich war da der Vortrag in der Volkshochschule. Da würde sie ein schlichtes schwarzes Kostüm tragen. Wie schön wäre es, diesen prächtigen Mantel darüber zu ziehen. Das wäre die rechte Einstimmung für die Zuhörer.

      Ihr Entschluss, den Mantel zu erwerben, stand fest. Die Ladenbesitzerin faltete den kostbaren Stoff sorgsam zusammen und ließ ihn in eine edle Papiertüte gleiten, die schon allein etwas hermachte. »Ich muss völlig verrückt sein«, dachte sie, zückte ihre EC-Karte und tippte die Nummer ein. Es funktionierte und sie lächelte zufrieden.

      Mit der vornehmen Tüte verließ sie den Laden und schritt beschwingt hinüber ins Brückencafé. Sie betrat den schönen hohen Raum und wählte einen großen Ohrensessel an einem kleinen runden Tisch. An der Theke bestellte sie einen Espresso und sah sich die Torten an. Eine mit einer großen, weißen Baiserhaube war ganz unwiderstehlich. »Was soll’s?«, dachte sie. »Irgendwann, wenn es etwas wärmer ist, werde ich mir dieses Stück wieder abtrainieren.« Während des langsamen Verspeisens der Torte sah sie sich immer wieder um. So viele liebevolle Details, die kleinen weißen Säulen, die grüne Tapete und das leicht verwohnte Mobiliar, Wiener Kaffeehausstühle. Es war alles so gar nicht von hier.

      Die reizende Kellnerin brachte eine Wolldecke für ihre Knie, während sie in einem mitgebrachten alten Notizbuch blätterte, auf der Suche nach bestimmten Passagen, die sie in ihren Vortrag über die Wiener Moderne einarbeiten wollte. Hin und wieder schrieb sie einen Satz auf, googelte im Mobiltelefon nach Emilie Flöge und plötzlich war sie sich sicher, dass ihr Vortrag ein Erfolg werden und sie ihn immer weiter ausarbeiten würde. Sie würde sich spezialisieren und ihn irgendwann in Wien vor großem Publikum zum Besten geben, in der weißen Klimt-Villa in der Feldmühlgasse. Sie sah alles direkt vor sich.

      Kurz entschlossen legte sie die Wolldecke zusammen, streifte ihre unscheinbare Funktionsjacke ab, nahm den Mantel aus seiner schönen Tüte, legte ihn sich um die Schultern. Leicht schlüpfte sie hinein und zog sich die Lippen nach. Danach erhob sie sich, um an der Theke zu zahlen. Die schnöde Jacke ließ sie in die Tüte gleiten und einfach neben dem Ohrensessel stehen, während sie das Café verließ.

      Francisco Cienfuegos

      Zwei-Komma-Neun

      1.

      Die Berger Straße

      beginnt nicht

      sie bahnt sich an

      schleicht sich, immer schon da

      auf leisen Sohlen heran

      am Bethmannpark

      entlang

      erklimmt langsam

      unbedacht

      die Stadt

      weckt die Sinne wach

      nach und nach

      Lange

      lange vor der Abholzung der Bäume

      war da ein Tal

      darin ein Geäst

      aufkeimender

      Wasserläufe

      Furche einst

      im Wald

      wild verschwiegen grün

      Wiesenstück

      Bornheimer Heide

      Rinnsal leuchtend kühl

      über Moos bewachsenen Stein

      Einst waldumschlungen

      Unterschlupf im Schatten

      von Lärm und Schein

      Traumphase

      im Auge des Orkans

      gezeugt in einem Wurmloch

      im U-Bahn-Schacht,

      das alle Zeit

      allzeit miteinander vereint

      Berger Straße

      wie an unsichtbaren Fäden

      hängend-schwebend

      Von Blumentöpfen

      wachgeküsste Fenster

      blühende überreife Balkone

      über hellgrau verblichene

      Eingangstüren

      und Treppenhäuser

      2.

      Gehsteig wie

      knuspriger Blätterteig

      der atmend aufgeht

      gefüllt mit Stadtsplitter

      bunt gesäumt

      Frankfurt

      erdichtet sich hier neu

      das Jetzt zerstäubt

      Paralleluniversum der Kleinläden,

      Pizzerien, Teestuben

      und Antiquitäten

      Stück für Stück

      jedes ganz

      ein Stück Amsterdam

      ein Stück Notting Hill

      aber für sich

      einzigartig insgesamt

      Am Wochenmarkt

      bekommt die Straße ein Gesicht

      der Schrei in der Wüste

      wird zu einem Lied

      frisch aufgeschnittene Orange

      die sich dem Gaumen aufdrängt

      Knallig feucht

      Geruchs-Feuerwerk

      das auf der Zunge

      wie Karamell-Holunder zergeht

      zitronengelb

      markant wilde Rose rot

      Trauben stechend blau

      Hinter weichem Kern

      manchmal rau

      Die Berger ist Verwandlungskraft

      ein Trank aus Granatapfel und Ananas

      eine Handvoll praller Erdbeeren

      und der Mund voll Maracujasaft

      und ein stilles Gewässer

      wo sich Frankfurts Herzschlag

      spiegeln kann

      Eine Insel im tobenden Meer

      in der die Bilder der Außenwelt

      zerbröckeln

      sich neu zusammenfügen

      leiser sprechen

      Es flieht vor jedem Wort

      wie ein Strom aller Dinge