zackig mit steif ausgestrecktem Arm und bat die beiden Wehrmachtsoffiziere, ihm zu folgen.
»Wie bei Preußens«, bemerkte General von Kalteneck halblaut, während er, von Binder leicht gestützt, hinter dem beflissenen Scharführer her eine schmale Treppe hinaufstieg.
Der Scharführer öffnete eine Tür im ersten Stock, blieb grüßend stehen und schnarrte:
»Bitte einzutreten.«
Der Raum war lang gestreckt und von dem durch große Fenster an der Außenwand hereinflutenden Sonnenlicht erhellt. Links an der Schmalwand, vor der ein Katheder stand, hing an Stelle der Schultafel, die man entfernt hatte, ein Bild des »Führers«. An der gegenüberliegenden Wand war in etwas bescheidenerem Format eine Fotografie des Reichsführers SS Heinrich Himmler angebracht.
Ein langer weiß gedeckter Tisch mit zahlreichen Stühlen nahm einen großen Teil des Raumes ein. Allem Anschein nach war das einstige Klassenzimmer das Stabskasino.
Oberstleutnant Binder nahm dem General die Kordelmütze ab und hängte sie neben seiner an die neben der Tür befestigten Kleiderhaken. Die braunen Koppelriemen mit den Pistolentaschen hängte Binder darunter.
Der Scharführer hatte die Tür geschlossen. Als sie wieder aufging, erschien ein drahtiger, ergrauter SS-Offizier mit dem Generalseichenlaub auf den schwarzen Spiegeln, gefolgt von einem hellblonden Adonis im Rang eines Standartenführers und einem ebenfalls blonden Sturmbannführer, dessen Leibesfülle in eine knapp sitzende Maßuniform gezwängt war.
Der SS-General und der General des Heeres begrüßten sich mit Handschlag, worauf beide ihre Begleitung vorstellten.
»Mein Ia, Obersturmführer Genslein, befindet sich auf Bombenurlaub«, erklärte Obergruppenführer Sadila in unverkennbarem Wienerisch. »Aber ich glaub, wir wer’n auch ohne ihn z’rechtkommen.« Er wies auf zwei der Stühle. »Bitte, nehmen S’ doch Platz, meine Herren. Sie wer’n ’s mir doch nicht verübeln, dass ich einen kleinen Imbiss auftragen lass. Beim Essen und Trinken red’t sich’s besser, net wahr, meine Herren?«
Zwei Ordonnanzen traten ein, SS-Männer ohne Rangabzeichen. Der eine trug ein Tablett mit angenehm duftenden gebratenen Hähnchen, der andere brachte Gläser und eine Flasche mit rotem Dalmatinerwein.
Nachdem die Gläser gefüllt waren, brachte Sadila den üblichen Trinkspruch auf den »Führer« aus.
»Aus einem ganz bestimmten Grund hab’ ich Sie nach Costenica gebeten, Herr General«, sagte er, nachdem alle miteinander angestoßen hatten. »Es handelt sich g’wissermaßen um einen kleinen Ausflug ins Gebirg’. Ich zeig’s Ihnen nachher auf der Karte. Da haben die Banditen einen deutschen Fliegerhauptmann, der mit’m Fallschirm abg’sprungen war, an eine Hütt’n g’nagelt. Sowas lass ich natürlich net ung’straft durchgehen. Ich hab’ eine Strafexpedition im Sinn, hab’ aber nur schwache Kräfte zur Hand.«
General von Kalteneck nickte.
»Sie haben also an uns gedacht, Herr General.«
Sadila lächelte verbindlich.
»Erraten, Herr General.«
Kalteneck verneigte sich.
»Verstehe. Ich gebe nur zu bedenken, dass ich eine Infanteriedivision führe, also eine Truppe, die nicht gebirgsmäßig ausgerüstet ist.«
Mit einer Handbewegung wischte der Obergruppenführer den Einwand beiseite.
»Auch daran haben wir gedacht, net wahr, Kremser?«
Der Standartenführer verbeugte sich steif.
»Jawohl, Obergruppenführer. In Palvo, so ein Nest an der Bahnlinie Dubrovnik–Mostar, liegt ein Schwarzhemdenbataillon der mussolinitreuen Italiener. Die Schwarzhemden verfügen über Tragtiere. Alles Mulis. Man müsste einen Offizier schicken, Herr General.«
Kalteneck wandte sich seinem Ia zu, der neben ihm saß.
»Da haben wir doch diesen Leutnant Staude in Dubrovnik. Erinnern Sie sich, Binder? Sie haben mir erst neulich berichtet, dass wir diese sagenhafte Fernkampfbatterie abschreiben können. Habe ohnehin schon daran gedacht, dem Artillerieregiment Weisung zu geben, den überflüssigen B-Trupp aus Dubrovnik zurückzuziehen. Notieren Sie bitte: Funkspruch an Leutnant Staude. Soll sich seine Leute schnappen und uns per Bahnachse auf dem schnellsten Weg die italienischen Mulis zuführen.«
Oberstleutnant Binder zog sein Notizbuch hervor.
»Jawohl, Herr General. Schlage vor, mit Genehmigung des Generalkommandos den Spruch gleich von hier aus abzusetzen.«
»Genehmigt«, rief Obergruppenführer Sadila gönnerhaft aus. »Schreiben S’ den Text auf, Herr Oberstleutnant. Wird zuverlässig erledigt. Dubrovnik, ja, das war was. War in alten Zeiten oftmals dort.« Genießerisch hob er sein Glas. »Da wollen S’ also Ihr’n Leutnant unsanft aufscheuchen? Weg von die Maderln und von der blauen Adria.«
2
Der Funkspruch für Leutnant Staude mit dem Vermerk »Geheim« lief beim Schnellbootkommando Ragusa ein, da Staudes Funkgerät in Ermangelung der geplanten Gegenstelle nicht in Betrieb war.
Der Marineobergefreite, der den verschlüsselten Text dechiffrierte, fragte sich, ob ihm nicht ein Fehler unterlaufen sei. Für ihn jedenfalls ergab der Spruch keinen Sinn. Aber vielleicht war Leutnant Staude ein besonders heller Kopf. Immerhin legte der gewissenhafte Obergefreite den unverständlichen Text seinem Maat vor, doch dieser stellte nach sorgfältiger Überprüfung fest, dass der Klartext des Spruches nicht anders lauten konnte …
»Das ist höhere Strategie, Hein«, sagte er zu dem Obergefreiten und las kopfschüttelnd noch einmal den Geheimbefehl.
»Sofortige Abfahrt mit B-Trupp Bahnstation Palvo – stop – bei Schwarzhemdeneinheit anfordern hundert Mulis plus Treiber plus Tragsättel – stop – Eiltransport Schienenweg – stop – Meldung Divisionsgefechtsstand Chaplino – Binder Ia.«
»Egal«, meinte der Maat, der die Funkstelle des Schnellbootkommandos Dubrovnik leitete. »Schreib es ins Reine, Hein, und schick es hinauf ins Soldatenheim. Der Staude hat sich mit seinem Verein bei den Rotkreuz-Bienen zur Sommerfrische einlogiert. Aber denk dran, dass es ›Gekados‹ ist. Aushändigung nur gegen Empfangsbestätigung an Staude selbst oder Stellvertreter!«
Ein Marinesoldat in Feldgrau setzte sich mit dem zerlegbaren Dienstfahrrad des Kommandos zum Hotel »Imperial« in Marsch. Die in Windungen ansteigende Straße hinauf musste man das Fahrrad schieben, aber zurück zur Dienststelle an der Umla-Bucht lief es erfahrungsgemäß von selbst.
In der Rezeption des Hotels saß vor dem Brett mit den Zimmerschlüsseln eine junge Schwester, deren weißes Häubchen auf widerspenstigem, kastanienfarbenem Lockenhaar festgesteckt war.
»Tag, Mutti«, sagte der Marinesoldat anzüglich, nachdem er sein Fahrrad vor dem Gebäude am Stamm einer alten Pinie abgestellt hatte. »Leutnant Staude zu Hause?«
Die Schwester legte den Kriminalroman, in dem sie gelesen hatte, beiseite.
»Tag, Bubi«, sagte sie mit der in der rauen Landserumwelt erforderlichen Schnoddrigkeit, »beim alten Fritz hat es noch ›bitte‹ geheißen.«
»Kommen Sie schon, Mädchen«, versetzte der Junge ungeduldig. »Ist ’ne Dienstsache und brandeilig. Welche Zimmernummer hat denn der Leutnant?«
»Sie meinen wohl, der Herr Leutnant«, entgegnete die Schwester schnippisch. »Moment mal. Werden wir gleich haben.«
Sie hob den Telefonhörer ab und bat, mit Leutnant Staude verbunden zu werden. Als der Apparat in Staudes Zimmer ein halbes Dutzend Mal geläutet hatte, ohne dass sich jemand meldete, legte sie auf.
»Herr Leutnant Staude dürfte ausgegangen sein«, sagte sie. »Ist was zu bestellen, oder haben Sie was abzugeben?«
»Nee, Mädchen«, gab der Soldat zurück. »So einfach geht das nicht. Ist ’ne geheime Kommandosache. Darf nur dem Herrn Leutnant oder seinem Stellvertreter persönlich übergeben werden.«