von eurer Geheimniskrämerei.«
Der Soldat dankte und stieg die Treppe hinauf. An der Tür zu Zimmer 65 klopfte er.
»Wer ist da?«, fragte erst nach nochmaligem Anklopfen eine verschlafen und nicht übermäßig freundlich klingende Stimme.
»Matrose Frisch vom Schnellbootkommando. Eiliger Funkspruch für Herrn Leutnant Staude.«
»Alsdann«, kam es durch die geschlossene Tür zurück, »geh’n S’ doch zum Herrn Leutnant Staude!«
»Der ist leider nicht anwesend«, versetzte der Matrose Frisch, der sich in langer Kommisszeit zu Lande und zur See in Geduld geübt hatte. »Die Schwester in der Anmeldung schickt mich zu Ihnen, Herr Wachtmeister.«
Man hörte Brummen und Fluchen. Bettfedern knarrten. Dann öffnete sich endlich die Tür. Wachtmeister Maderspacher war nur mit einer blauen Wehrmachtssporthose bekleidet. Sein großer und kräftiger, von der Sonne Dalmatiens gebräunter Körper war an den Armen, auf der Brust und an den muskulösen Beinen dunkel behaart.
»Was is’ denn das für a Saukrieg«, murrte er. »Net amal schlafen lassen s’ di’.«
Er streckte seine große, breite Hand nach dem Formular aus.
»Geben S’ schon her!«
»Bedaure, Herr Wachtmeister«, widersprach der Marinesoldat. »Nur gegen Empfangsbescheinigung.«
»Wird schon was G’scheit’s sein«, brummte Maderspacher. »Von mir aus nehmen Sie ’s wieder mit.«
Das lange, von der Sonne rot verbrannte Gesicht des Matrosen blieb unbewegt.
»Das müssen Sie mir schriftlich geben, Herr Wachtmeister. Ich habe ausdrücklichen Befehl, den Spruch Herrn Leutnant Staude oder seinem Stellvertreter auszuhändigen.«
»Also gut«, lenkte Maderspacher ein. »Geben Sie mir den Empfangsschein.«
Er unterschrieb und nahm das mit einem Klebestreifen verschlossene Formular entgegen.
Der Matrose Frisch grüßte und entfernte sich mit dem Gefühl, einem besonderen Exemplar von Vorgesetzten begegnet zu sein, der den Krieg als Erholung betrachtete.
Wachtmeister Maderspacher kleidete sich an. Er hatte den Klebestreifen gelöst und den Funkspruch überflogen. Wenn der Text auch etwas nebelhaft war, stand doch fest, dass es sich um einen dringlichen Marschbefehl handelte. Auf jeden Fall musste er vorsorglich Unteroffizier Blaisch und die Männer verständigen. Wann Staude, der mit Leutnant Köck im Schnellboot hinausgefahren war, zurückkommen würde, war ungewiss.
Maderspacher knöpfte die Feldbluse zu, fuhr sich vor dem Spiegel mit beiden Händen durch sein dunkles Kraushaar und verließ das Zimmer. Den Funkspruch ließ er achtlos auf dem Tisch zurück. Wen konnte es schon interessieren, ob und wohin der B-Trupp Staude in Marsch gesetzt wurde?
Im gleichen Augenblick, als Maderspacher im Treppenhaus verschwand, erschien von der anderen Seite her Tilda Höhnhauser auf dem Gang.
Sie trug ihr rot und weiß gestreiftes luftiges Sommerkleid. In der linken Hand schlenkerte sie eine Badetasche. Ihr volles schwarzes Zigeunerhaar war durch ein rotes Band gebändigt.
Sie kam zu Maderspachers Tür und klopfte an. Nichts regte sich. Vorsichtig blickte sie sich um und drückte auf die Klinke. Die Tür war unverschlossen. Tilda öffnete sie und huschte ins Zimmer.
Sofort entdeckte sie das Dienstformular auf dem Tisch. Mit kundigem Blick erfasste sie das Wesentliche des für Leutnant Staude bestimmten Funkspruchs. »Palvo«, prägte sie sich ein, »Schwarzhemdeneinheit«, »einhundert Mulis« und »Divisionsgefechtsstand Chaplino«. Im Gegensatz zu den Marinefunkern und Maderspacher, der sie für ein verliebtes Dubrovniker Mädchen hielt, erkannte sie sofort die Bedeutung des Spruchs, den ein erster Generalstabsoffizier namens Binder unterzeichnet hatte.
Armer Muz, dachte sie. Es war Maderspachers Spitzname, entstanden aus den Anfangsbuchstaben seiner drei Vornamen Matthias, Ulrich und Zacharias.
Wenn der Funkspruch auch keinen Aufmarschplan enthielt, stand doch fest, dass Leutnant Staude, der in Dubrovnik eine nicht klar durchschaubare Rolle spielte, mit seinem Trupp nach Palvo, dem von Mussolini-Faschisten besetzten Felsennest an der Bahnlinie nach Mostar, abrücken würde und dass demnächst ein Vorstoß ins Gebirge zu erwarten war. Denn Mulis benötigte man nur für den Transport von Nachschub in die Berge. Im Übrigen war aus dem weiteren Text des Spruches klar ersichtlich, dass eine Division, deren Stab in Chaplino lag, die bevorstehende Operation durchführen würde.
Befriedigt schlenderte Tilda zum Spiegel, ordnete ihr Haar und zog mit dem Stift, den sie der Badetasche entnahm, ihre vollen, anmutig geschwungenen Lippen nach.
Sie verspürte kaum Bedauern darüber, dass sie sich von Muz Maderspacher trennen musste. Der Wachtmeister war in der Preisgabe militärischer Geheimnisse nicht ergiebig gewesen. Vielleicht wusste er zu wenig, möglicherweise war er aber auch zu gut gedrillt. Weit nutzbringender wäre es gewesen, sich mit dem Leutnant einzulassen, aber Staude war bei der blonden Schwester Elfriede in festen Händen und wusste zudem, dass sie die Frau des von den Deutschen geköderten Emigranten Höhnhauser war.
Auf einmal hörte sie Schritte auf dem Gang. Zu spät. Die Tür wurde geöffnet.
»Tilda, du bist hier«, sagte Muz Maderspacher erstaunt.
»Ich wollte dich zum Baden abholen, Muz«, sagte sie schnell. »Du bist doch nicht böse, dass ich hier gewartet habe?« Sie lächelte verheißungsvoll. »Ich weiß eine Bucht, dort sind wir ganz allein.«
Er schüttelte den Kopf.
»Kann nicht weg, Tilda. Wir rücken morgen ab.«
Er verstummte. Betroffenheit zeigte sich auf seinem Gesicht. Die geheime Kommandosache. Er hatte sie offen auf dem Tisch liegen lassen. Mit der flachen Hand schlug er sich gegen die Stirn.
Verworrener Stimmenlärm drang aus dem Speisesaal, der einst eine Stätte festlichen Glanzes gewesen war, in die Hotelküche, in der anstelle des längst entlassenen einheimischen Personals die Schwestern hantierten, die zum Küchendienst eingeteilt waren.
Mit einem langen Holzlöffel rührte Elfriede das in einem der großen Kessel brodelnde Eintopfgericht um. Ihr Gesicht war vom Dampf und der drückenden Hitze gerötet. Sie verspürte eine prickelnde Nervosität. Vielleicht kam wieder die Bora auf, der böige Adriawind, der die See aufwühlte und mit heulenden Stößen über die Stadt hinwegfuhr. Vorhin, beim Geschirrspülen, hatte Elfriede zwei Teller zerbrochen. Die Oberschwester, die zufällig gerade in der Küche war, hatte ihr einen missbilligenden Blick zugeworfen. Allmählich wurde das Hotelgeschirr knapp, zumal unter den Gästen, die jetzt den Speisesaal bevölkerten, immer einige waren, die nicht nur Besteckteile, sondern auch Teller und Tassen mitgehen ließen.
Schwester Lisbeth, ein kleiner, auf stämmigen Beinen stehender Pummel, schob Holzscheite ins Feuerloch des mächtigen Herdes. Als sie sich wieder aufrichtete, sagte sie zwinkernd zu Elfriede, die sie um ihr naturblondes Haar und um ihre schlanke Figur beneidete:
»Bist ja so schweigsam, Elfie. Was ist denn los mit dir?«
»Ach, nichts«, antwortete Elfriede abweisend und rührte heftig in dem aus Nudeln und Rindfleisch bestehenden Gericht.
Als die andere sich mit der anzüglichen Bemerkung, ob ihr Herr Leutnant sie versetzt habe, entfernte, fuhr sich Elfriede mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. Nein, versetzt hatte Fritz sie nicht. Am frühen Nachmittag war er mit dem Marineleutnant Köck im Schnellboot hinausgefahren. Patrouillenfahrt nannte man das, während die beiden in Wirklichkeit weit draußen ihre Angeln zum Großfischfang auslegten. Aber das war es nicht, was Elfriede mit Unruhe erfüllte. Vor einer Stunde hatte Schwester Irene, die soeben in der Aufnahme abgelöst worden war, ihr zugeflüstert, für Leutnant Staude sei etwas Eiliges und Geheimes angekommen. Der Marinesoldat, der es gebracht habe, sei damit zu Maderspacher gegangen. Sie wisse also nicht, worum es sich handle.
Elfriede zweifelte nicht daran, dass die geheime Nachricht für Fritz Schwerwiegendes bedeutete.