Nora Adams

ZwölfUhrTermin


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in die Augen. Er war kein Ju­rist, doch ein ge­wis­ses Grund­maß an Kennt­nis­sen hat­te er vor­zu­wei­sen. »Das Agie­ren, ba­sie­rend auf In­si­de­rin­for­ma­tio­nen, ist straf­bar. Hier­mit bist du frist­los ent­las­sen. Der Ver­trag, der uns bei­de an­ein­an­der­bin­det, ist so­mit auf­ge­ho­ben.«

      Die­sen Mo­ment hat­te er sich ir­gend­wie fest­li­cher vor­ge­stellt. Wie oft hat­te er da­von ge­träumt, wie es sein wür­de, wenn er Ale­xan­der end­lich ei­nen Lauf­pass ge­ben durf­te. Doch was er jetzt spür­te, war rei­ne Frus­tra­tion, Zorn und ei­ne läh­men­de Schwe­re, die immer wie­der die glei­che Fra­ge in ihm her­vor­rief: Wie kann ein Mensch so dumm sein?

      »Das kannst du nicht brin­gen!« Fas­sungs­lo­sig­keit mach­te sich auf sei­nem Ge­sicht breit.

      Ale­xan­der ig­no­rie­rend drück­te er den Sprech­knopf, der ihn auto­ma­tisch mit Si­na ver­band: »Ver­ein­ba­re ei­nen Termin mit Ber­ger. Es eilt!« Pro­vo­kant sah er Ale­xan­der ent­ge­gen, wäh­rend er die Rechts­be­ra­tung or­der­te. Selbst ihm müss­te so­mit klar wer­den, dass das wohl das En­de ih­rer lang­jäh­ri­gen Part­ner­schaft war. »Und jetzt darfst du ge­hen und wa­ge es nicht, auch nur ei­nen Schritt in mei­ne«, er be­ton­te das letz­te Wort, in­dem er ihm den Fin­ger ent­ge­gen­streck­te, »Fir­ma zu set­zen!«

      Stumm stand er da, starr­te Marc mit of­fe­nem Mund an und ver­harr­te. Sei­ne Augen schlos­sen sich für ei­nen kur­zen Mo­ment, ehe er lei­se sprach: »Das wirst du be­reu­en!« Dann ver­ließ er end­lich Marcs Büro.

      »Chef, Ber­ger ist im Ur­laub«, stand Si­na plötz­lich vor ihm, die ihn in ei­ner Mi­schung aus Stolz und Schock an­blick­te.

      »Ruf ihn her! Du hast ja mit­be­kom­men, was los ist.« Kurz­ent­schlos­sen trat Si­na hin­ter den Schreib­tisch, sah ihn ei­nen Augen­blick an und leg­te die Ar­me um ihn. »Ich weiß, die Um­stän­de sind ka­ta­stro­phal, aber, Chef … Mein Gott, er ist weg, ich kanns gar nicht glau­ben«, be­teu­er­te Si­na bei­nahe flüs­ternd, mit ei­nem ehr­li­chen Strah­len in den Augen, das ihm zeig­te, dass das, was hier ge­ra­de ge­sche­hen war, die Rea­li­tät war. Sie hat­te ver­fickt noch­mal recht und doch hoff­te er jetzt in er­ster Li­nie, dass ED kei­nen grö­ße­ren Schaden da­von­trug. Si­na klopf­te ihm fast schon auf­mun­ternd auf die Schul­ter, be­vor sie ihm ei­nen Kuss auf die Wan­ge drück­te und zu ih­rem Schreib­tisch zurück­lief, um zu tele­fo­nie­ren.

      Er öff­ne­te ei­ne E-Mail, füg­te den Ver­tei­ler der be­fug­ten Per­so­nen im Un­ter­neh­men ein, ent­fern­te Ale­xan­der und ver­fass­te ei­nen Text, aus dem knapp her­vor­ging, dass sich ED mit so­fort­iger Wir­kung von ihm ge­trennt hat­te und ver­an­lass­te, dass alle re­le­van­ten Zu­gangs­daten und Pass­wör­ter neu ver­ge­ben wur­den. Das war de­fi­ni­tiv nicht über­trie­ben, denn heu­te hat­te Ale­xan­der ge­zeigt, wie kopf­los er agier­te.

      Um sein Geld mach­te er sich kei­ne Sor­gen, denn das wür­de er ver­mut­lich oh­ne Pro­ble­me zurück­be­kom­men, wenn Ber­ger das Gan­ze über den juris­ti­schen Weg ins Rol­len ge­bracht hat­te. Die Ge­set­ze stan­den ein­deu­tig auf sei­ner Sei­te.

      Venture Capital

      »An­ni?« Er­schro­cken zuck­te sie zu­sam­men, als Cons­tan­tin kurz vor Feie­ra­bend in ihr Büro stürm­te. »Die Kin­der hab ich bei dei­nen Eltern ge­parkt, du musst heu­te Abend mit zu ei­nem Ge­schäfts­es­sen kom­men.«

      Immer wenn Cons­tan­tin das sag­te, wuss­te An­ni, dass der Neu­kun­de alles an­de­re als gut zu hän­deln war. Ihr Mann hat­te ein glü­ckli­ches wirt­schaft­li­ches Händ­chen, auch was die Kon­ver­sa­tion mit Kun­den be­traf, aber wenn es schwie­rig wur­de, hat­te er sie ger­ne an sei­ner Sei­te, das war schon immer so ge­we­sen und ir­gend­wie mach­te es An­ni stolz, dass sie ei­ne be­ru­hi­gen­de Wir­kung auf ihn hat­te. Schmun­zelnd nick­te sie: »Kein Pro­blem.«

      Cons­tan­tin er­wi­der­te ihr Lä­cheln und hock­te sich auf die Tisch­kan­te, so­dass er gleich ne­ben ihr saß. »Und sonst, En­gel­chen? Du siehst mü­de aus«, stell­te er fest. An­ni nahm sei­ne Hand und leg­te sie sich auf ih­re Wan­ge. Viel zu sel­ten spür­te sie die­se Nä­he.

      »Ich bin auch mü­de. Kei­ne Ah­nung, was los ist, im Augen­blick füh­le ich mich täg­lich aus­ge­laugt, selbst wenn ich zwölf Stun­den ge­schla­fen ha­be.«

      »Kann ich dir was ab­neh­men?«, frag­te er und sah sie be­sorgt an. Doch im sel­ben Mo­ment wuss­te sie, dass Cons­tan­tin ge­nug zu tun hat­te und sie ihm nie­mals mehr Ar­beit als nö­tig auf­bür­den wür­de. Wo­bei sich der Ge­dan­ke schlag­ar­tig in Luft auf­lös­te, als sie an ih­ren Sohn dach­te.

      »Du kannst tat­säch­lich was tun«, platz­te es aus ihr her­aus. Auf­recht saß sie da, war plötz­lich an­ge­spannt und auch et­was auf­ge­regt, Cons­tan­tin end­lich von die­sem Kuss er­zäh­len zu kön­nen. »Ich hab Ma­ri­us …«

      Ab­rupt wur­de sie un­ter­bro­chen. »An­ni, lass uns jetzt nicht über die Kin­der re­den. Wir sind auf der Ar­beit und hier soll­ten wir die Zeit in Be­ruf­li­ches in­ves­tie­ren. Wir spre­chen da­heim über Ma­ri­us, okay?«

      Was zum Teu­fel? Wie vor den Kopf ge­stoßen be­trach­te­te sie ihn mit of­fen­ste­hen­dem Mund. Das hat­te ge­ra­de weh­ge­tan!

      Na­tür­lich spra­chen sie Zu­hau­se. Nur wann? Mor­gens, wenn sie sich die Tür­klin­ke in die Hand ga­ben, oder abends, wenn An­ni vor Mü­dig­keit die Augen zu­fie­len und sie nur noch ins Bett woll­te? Wer hät­te ah­nen kön­nen, dass sich sein groß­zü­gi­ges An­ge­bot nur auf das Büro be­zieht. Sie wand­te sich ih­rem PC zu und be­gann mit der Ak­tua­li­sie­rung der Ex­cel-Ta­bel­le, die auf ih­rem Bild­schirm er­schien, so­bald der Bild­schirm­scho­ner er­lo­schen war.

      Cons­tan­tins Aus­sage hat­te An­ni ge­kränkt, immer­hin waren es ge­nau­so sei­ne Kin­der und An­ni saß in die­sem Augen­blick, den sie eigent­lich mit ih­nen ver­brin­gen soll­te, im Büro und ar­beit­ete, weil er sie brauch­te. Das war ein Un­gleich­ge­wicht und ver­setz­te An­ni ei­nen ge­fühl­ten Stich in der Ma­gen­ge­gend. Pff, mor­gen wür­de sie um Punkt zwei Uhr das Büro ver­las­sen und kei­ne Se­kun­de län­ger blei­ben, dach­te sie trot­zig, wenn auch we­nig er­wach­sen. Bis­her leb­ten sie nach dem Mot­to, fü­rei­nan­der da zu sein, aber dass er ihr so ei­ne Ab­fuhr er­teil­te, ver­letz­te sie.

      Schnell schrieb sie Ama­lia: Be­nehmt euch bei der Oma. Ich drück dich, bis spä­ter!

      Wäh­rend sie ih­re Tochter noch in die Ar­me schlie­ßen konn­te, ge­hör­te Ma­ri­us schon eher der co­olen Frak­tion an und ver­zich­te­te auf der­ar­ti­ge Ge­fühls­zu­nei­gun­gen in der Öf­fent­lich­keit. Schein­bar nahm er sich die­se neu­er­dings wo­an­ders, dach­te sie sar­kas­tisch.

      Ama­lia: Nur even­tu­ell bis spä­ter, es schneit oh­ne En­de. Viel­leicht pen­nen wir hier, außer­dem hat Oma Pfann­kuchen ge­macht.

      An­ni: Das möch­te ich vor­her mit Oma be­spre­chen. Gu­ten Ap­pe­tit!

      Ama­lia: Wenn das bis da­hin noch mög­lich ist. Opa sagt, sein Bein juckt.

      Auto­ma­tisch schlich sich ein Lä­cheln auf An­nis Zü­ge. Wenn das Bein ih­res Vaters juck­te, war das kei­ne gu­te Wett­er­vor­her­sa­ge. Je schlim­mer es ihn är­ger­te, de­sto hef­ti­ger wur­de