Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Box 13 – Arztroman


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ängstlich.

      Aber dieser Sorge wurde sie schnell enthoben, da ihr Mann schon im Vorzimmer wartete.

      Dr. Norden fuhr eilends zu der Unfallstelle, die ganz in der Nähe war, an der Kreuzung Wald- und Flurstraße, und was er dort vorfand, versetzte ihn in Erschrecken.

      Es waren zwei Buben, die mit ihren Fahrrädern von einem Personenwagen überfahren worden waren. Das Martinshorn des Notarztwagens war auch schon zu vernehmen, aber Leute, die ihn kannten, hatten gleich auch ihn angerufen.

      Während der Fahrer des Autos seine Unschuld beteuerte, sah Dr. Norden, daß es sich bei einem der Buben um Achim Rogner handelte. Er war verletzt. Für den andern, das sollte sich später herausstellen, kam jede Hilfe zu spät. Es war Sepp Schindelbeck, dessen Mutter auch eine Patientin von Dr. Norden war.

      Also hat Rogner dem Jungen doch wieder erlaubt, mit dem Rad zu fahren, dachte Dr. Norden bestürzt, denn den Rädern schenkte er keine Beachtung, und so konnte er nicht feststellen, daß Achim nicht mit seinem Rad unterwegs gewesen war.

      »Wie die Verrückten sind sie gefahren«, verteidigte sich der Autofahrer.

      »Hin und her ist es schon seit einer Stunde gegangen«, sagte eine Frau. »Aber die Rüpel lassen sich ja nichts sagen.«

      Dr. Norden hörte nicht zu. Er tat für Achim, was augenblicklich möglich war, während sein Kollege, der mit dem Notarztwagen gekommen war, verzweifelte Wiederbelebungsversuche bei Sepp machte, jedoch ohne Erfolg.

      Das war nun das traurige Ende eines Radrennens, für das sich Achim tatsächlich ein Rad »geliehen« hatte. Davon wußte Dr. Norden noch nichts, aber er konnte sich vorstellen, was die Rogners nun durchmachen würden.

      Achim wurde auf schnellstem Wege ins Kreiskrankenhaus gefahren. In der Behnisch-Klinik war derzeit kein Platz, das wußte Daniel von seinem Freund Dieter Behnisch, der ihm vorsorglich schon Bescheid gesagt hatte, ihn selbst in Notfällen nicht in Anspruch zu nehmen. Zerreißen konnten sie sich in der Privatklinik nicht. Es ging nicht an, daß man Patienten auf den Gang schob. Immer mehr hatte sich der Trend entwickelt, daß die Patienten kleinere und möglichst Privatkliniken bevorzugten, wenn es sich irgend ermöglichen ließ. Dr. Behnisch war dazu überaus beliebt. Nun, für Achim mochte es gut sein, in ein Krankenhaus zu kommen, in dem alle Fachärzte unter einem Dach waren, denn auch er war in einem lebensgefährlichen Zustand.

      Daniel Norden hatte die traurige Pflicht übernommen, Achims Eltern zu benachrichtigen. Es war besser so, als wenn plötzlich ein Polizist vor der Tür stand. Frau Schindelbeck war da aus härterem Holz geschnitzt. Sie hatte mit Mann und Kindern schon so viel Scherereien gehabt, daß sie nur schwer zu erschüttern war. Dr. Norden hatte sich immer wundern müssen, wie diese geplagte Frau mit dem ihr auferlegten Schicksal fertig wurde. Eine fleißige, ordentliche Frau, die wohl noch niemals richtig froh hatte werden können in ihrem bescheidenen Leben.

      Ihr Mann war Gelegenheitsarbeiter, aber Gewohnheitstrinker, ihre älteste Tochter war leichtfertig, die nur heimkam, wenn ihr ein Mann mal wieder alles Geld abgenommen hatte. Und die beiden Söhne, Gustl und Sepp, hatten nichts wie Unsinn im Kopf.

      Für Sepp war dies nun zu Ende. Es blieb zu hoffen, daß Frau Schindelbeck nun wenigstens an dem kleinen Karlchen ein bißchen Freude haben würde, der ein Nachkömmling war, und den sie zuerst gar nicht hatte haben wollen. Mit Frau Schindelbeck wollte Daniel sprechen, wenn er die Rogners benachrichtigt hatte.

      Mit gemischten Gefühlen fuhr er zu ihnen, aber er traf nur Frau Rogner an, die schon verzweifelt auf Achim wartete. Ulla war gerade aus der Schule gekommen und hatte gemeint, daß er nun aus purem Trotz herumstreunen würde.

      Nun war Dr. Norden gekommen. Verstört blickte ihn Frau Rogner an.

      »Kommen Sie wegen Herrn Sommer?« fragte sie bestürzt. »Ist seine Hand schlimmer geworden?«

      »Nein, ich muß Ihnen leider eine andere schlechte Nachricht bringen, Frau Rogner. Achim ist mit dem Rad verunglückt«, erwiderte er.

      »Das ist doch unmöglich!« rief sie aus. »Das Rad steht im Keller. Mein Mann hat es sogar angekettet.«

      »Dann muß er sich eins geliehen haben«, sagte der Arzt. »Ich wurde zur Unfallstelle gerufen. Achim ist ins Kreiskrankenhaus gebracht worden.«

      Frau Rogner schlug die Hände vor das Gesicht. »Es ist doch nicht schlimm«, stammelte sie. »Bitte, sagen Sie, daß es nicht schlimm ist.«

      »Ich habe geahnt, daß es mal so kommen würde«, warf Ulla ein.

      Dr. Norden sah sie an. »Bitte, regen Sie Ihre Mutter nicht auch noch auf, Fräulein Rogner. Es ist ziemlich schlimm.«

      »Und mein Mann ist heute auswärts«, flüsterte Frau Rogner unter Tränen. »Warum muß uns der Bub nur so viele Sorgen machen?«

      »Wir bestellen ein Taxi und fahren zu Achim, Mama«, sagte Ulla. »Er ist doch wie ’ne Katze. Er hat sieben Leben.«

      Das war rauh gesagt, doch gut gemeint. Daniel Norden hoffte nur, daß es auch so sein würde. Daß Sepp tot war, sagte er nicht.

      Ulla hatte schon den Telefonhörer in der Hand, um ein Taxi zu bestellen. Er verabschiedete sich mit ein paar aufmunternden Worten, die ihm aber nur mühsam über die Lippen kamen. Dann fuhr er zu Frau Schindelbeck.

      Sie wußte schon Bescheid, das sah er ihrem verhärmten Gesicht an. Sie war gerade vierzig Jahre alt, aber unzählige Sorgenfalten durchzogen bereits ihr Gesicht. Schmächtig war sie und schon gebeugt.

      »Ich mein’, vielleicht ist es besser so, als wenn er ganz verkommen wär’«, murmelte sie. »Ich hab’ nichts machen können, Herr Doktor. Woher soll’s denn auch kommen? Ich habe mir damals eingebildet, nur der Gustav müßte es sein, wo doch meine Eltern so dagegen waren und immer schimpften. Ich hab’s nicht anders gewollt, nun muß ich es tragen. Aber so wird es nicht weitergehen. Ich nehme das Karlchen und gehe weg. Ich mag nimmer. Der Kleine soll das nicht auch alles mitkriegen. Wenn ich nur wüßte, wohin ich gehen könnt’, wer mich noch nehmen würde…«

      Hilfeflehend sah sie ihn an mit ihren trüben Augen, die schon lange keine Träne mehr kannten. Leergeweint waren sie in all dem Kummer, den sie auf ihren schmalen Schultern zu tragen hatte.

      »Ich wüßte schon etwas, Frau Schindelbeck«, sagte Dr. Norden. »Auf der Insel der Hoffnung könnte man Sie brauchen, und Karlchen würde da auch in einer anderen Umgebung aufwachsen. Aber packen müßten Sie es halt.«

      »Ich pack’ es, wenn der Sepp unter der Erde ist«, sagte sie. »Sonst gehe ich auch vor die Hunde, und dann hat Karlchen niemanden mehr. Herr Doktor, wenn Sie das noch für mich tun würden, mein Lebzeit würde ich Ihnen danken dafür.« Ihre Stimme zitterte. »Wenn der Gustav mich vorher nicht totschlägt«, fügte sie dann leise hinzu.

      »Schlägt er Sie, Frau Schindelbeck?« fragte der Arzt erschüttert.

      »Mei, man mag nicht darüber reden«, erwiderte sie. »Der Kleine soll halt nicht auch vor die Hunde gehen.«

      Schindelbeck – irgendwie mochte der Name auch seine Bedeutung haben. Jedenfalls war mit ihr Schindluder getrieben worden. Das dachte Daniel Norden, als er heimwärts fuhr. Aber eine Chance mußte man dieser Frau doch noch geben, die sich für nichts und wieder nichts abgerackert hatte.

      Fee Norden hatte dafür Verständnis, aber wofür hatte sie denn kein Verständnis? Sie verstand auch, daß Daniel an diesem Tag das Essen nicht schmeckte, obgleich Leni die Kalbsrouladen besonders gut geraten waren. Ihr tat der Fahrer des Autos leid, denn er hatte unter dem Schock nun genug zu leiden.

      Es war ein Vertreter, der auch eine Familie zu versorgen hatte, der um seinen Führerschein fürchtete, der doch so wichtig war für seinen Beruf.

      Zum Glück für ihn gab es Zeugen, die bereit waren zu schwören, daß er nicht schuldig war.

      Aber wie konnte man vergessen, wenn einem so etwas widerfahren war? Dr. Daniel Norden hatte nicht vergessen, daß ihm einmal ein Junge bei starkem Regen blindlings in den Wagen gelaufen war, obgleich dabei nicht viel