Nach vielen Umständen gelang es ihr schließlich, die Anschrift von Hubertus’ Kusin Markus von Homberg zu erhalten.
Der junge Graf, der wie früher Hubertus Medizin studierte, lebte als Untermieter bei einer Freifrau von Wolfshagen, die eine Villa im Prominentenviertel Grünwald besaß.
Diana suchte im Telefonbuch nach der Nummer der Freifrau, fand sie auch bald, besaß aber kein Geld, um dort anzurufen.
Erschöpft ließ Diana sich auf eine Bank sinken und schloss die Augen. Sie war entsetzlich müde und hungrig.
Erst als eine weibliche Stimme neben ihr mitfühlend fragte, ob sie Hilfe bedürfe, schlug Diana die Augen auf.
Vor ihr stand eine hübsche junge Frau.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie noch einmal.
Diana wurde rot. »Ich würde gern einen Bekannten anrufen. Aber ich habe kein Geld bei mir.«
»Wenn es weiter nichts ist.«
Die junge Frau gab Diana mehrere kleine Münzen.
»Sie sind fremd in München, nicht wahr?«, wollte sie wissen.
»Ja.«
»Hier, ich schreibe Ihnen meine Adresse auf. Wenn Sie einmal Hilfe brauchen, können Sie mich gern anrufen.«
Diana nahm den Zettel mit der Anschrift an sich, verabschiedete sich von der jungen Frau und betrat eine Telefonzelle.
Nachdem sie die angegebene Nummer gewählt hatte, meldete sich eine Frau von Wolfshagen. Diana bat, Graf Markus von Homberg sprechen zu dürfen.
»Einen Augenblick bitte«, wurde sie gebeten und gleich darauf hörte Diana eine junge, männliche Stimme sagen: »Ja, bitte?«
»Mein Name ist Diana von Buchenhain, Hubertus, Ihr Kusin, hat mir gesagt, dass Sie in München studieren. Ich würde Sie gern sprechen, Graf«, bat Diana mit unsicherer Stimme.
»Den Grafen lassen Sie doch bitte weg. Kann ich Sie irgendwo abholen, Diana von Buchenhain?«
Die Stimme des jungen Mannes hatte Ähnlichkeit mit Hubertus’ Stimme. Ein gewisser Übermut, aber auch Ernst klang aus ihr heraus.
Diana war dem Grafen dankbar für sein Anerbieten, sie abzuholen. Er versprach, eine halbe Stunde später vor einem bestimmten Universitätsgebäude zu erscheinen.
Genau zur angegebenen Zeit bremste vor Diana ein französischer Kleinwagen, und ein Student mit feuerrotem Haarschopf fragte: »Sind Sie vielleicht Diana von Buchenhain?«
»Ja.« Diana empfand beim Anblick des Grafen sehr tiefe Erleichterung.
Markus von Homberg hatte Hubertus’ offenes Gesicht und seine strahlend blauen Augen. Unzählige Sommersprossen bedeckten Wange und Nase, während Hubertus’ Gesicht doch eher von durchsichtiger Blässe gewesen war.
Graf Markus von Homberg stieg aus dem Wagen, hielt Diana höflich die Tür auf und bat sie einzusteigen. Hier, bei den vielen Menschen, könne man sich nicht in Ruhe unterhalten.
Sie fuhren in den englischen Garten, spazierten auf schmalen Wegen unter herrlichen alten Bäumen entlang.
Plötzlich blieb Diana stehen.
»Graf, ich muss Ihnen alles erzählen. Ich habe Vertrauen zu Ihnen, und ich muss einfach sprechen, wenn ich Sie nicht belästige.«
Markus von Homberg lächelte auf die gleiche feine, zurückhaltende und doch mitreißende Art, in der auch Hubertus gelächelt hatte.
Auf ihre erste Frage, ob er Hubertus’ Aufenthaltsort wisse, schüttelte er bedauernd den Kopf. Leider nein. Nach Dianas Anruf habe er eigentlich gehofft, von ihr mehr zu erfahren.
Sie erfuhr, dass der junge Graf mit Hubertus’ Eltern, besonders aber mit dessen Vater, in freundschaftlichem Kontakt stehe. Seit seinem letzten Besuch wisse Markus, dass sein Kusin Deutschland verlassen habe.
Er habe nicht weiter nach dem Aufenthaltsort gefragt, denn die Erwähnung des ältesten Sohnes löste bei Hubertus’ Mutter immer einen Tränenstrom, bei seinem Vater hingegen Zorn aus.
Markus legte seine Hand ganz leicht auf die Dianas und bat: »Und nun müssen Sie mir alles berichten, Diana. Ich darf Sie doch mit Ihrem Vornamen ansprechen?«
Diana nickte Zustimmung, und während sie auf das klare Wasser des Flusses blickte, begann sie zu sprechen.
Von ihrer ersten Begegnung mit Hubertus, von ihrer zweiten Flucht, von ihrer Verlobung mit Fürst Friedrich von Großborn und von ihrem und Hubertus’ Kind.
Es tat so gut, einmal alles von der Seele zu sprechen. Diana fühlte, dass sie innerlich ein wenig freier wurde, dass ihre Angst, die sie seit dem erschreckenden nächtlichen Erlebnis umklammert gehalten hatte, sich löste.
Markus von Homberg hörte ihr zu, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen.
»Ja, Prinzessin, das alles ist schlimm«, sagte er ganz leise, als Diana schwieg.
»Sie wollten mich mit dem Vornamen ansprechen«, bat Diana.
»Ja.« Er lächelte wieder auf seine strahlende Weise. Aber auch Mitleid und Mitempfinden waren nun in seinem Lächeln zu erkennen.
»Erst einmal ist wichtig, dass Sie wissen, wo Sie wohnen«, fuhr er nach kurzem Überlegen fort. »Ich könnte Frau von Wolfshagen bitten, Ihnen eines der leerstehenden Zimmer der Villa zu überlassen. Ihr Mann ist Diplomat, und da seine Frau das tropische Klima nicht vertragen hat, ist sie nach Deutschland zurückgekehrt. Sie langweilt sich ein wenig und hat gern junge Menschen um sich. Außerdem hat Frau von Wolfshagen ausgezeichnete Verbindungen zu diplomatischen Kreisen. Sicherlich würde es ihr leichtfallen, Ihnen Möglichkeiten zu verschaffen, als Dolmetscherin Geld zu verdienen.«
»Das alles hört sich so wundervoll, so unglaublich schön an«, sagte Diana.
»Kommen Sie! Ich glaube, es gilt, erst einmal an das Nächstliegendste zu denken. Und das ist, dass Sie eine warme Mahlzeit zu sich nehmen müssen.«
Während sie eine heiße Suppe und ein riesiges Schinkenbrot verspeiste, erzählte Diana dem jungen Grafen von den Ereignissen der vergangenen Nacht.
Markus von Homberg legte seine hohe Stirn in Falten.
»Ausweise müssen Sie natürlich haben. Ich werde bei der Polizei Anzeige erstatten.«
»Bitte nicht«, bat Diana impulsiv.
»Aber weshalb nicht? Sie haben sich zum Kampf entschlossen. Und das ist gut so. Aber zum Kampf gehört auch, seine Rechte zu wahren. Also?«
»Ja.«
»Und ich werde Hubertus’ Freunde und Verwandte aufsuchen oder ihnen schreiben. Und wenn es nicht mit dem Teufel zugeht, werden wir bald erfahren, wo er sich aufhält. Übrigens, Hubertus ist ein viel zu kluger Mensch, um wirkliche Dummheiten zu begehen. Im Gegenteil, er wusste immer ganz genau, was er wollte und wo seine Stärken lagen. Wenn Hubertus sich entschlossen hat, Schriftsteller zu werden, so wird er es auch erreichen. Ich glaube an ihn, so wie Sie an ihn glauben.«
Tränen schimmerten in Dianas dunklen Augen. Zärtlich und ein wenig scheu strich Markus von Homberg über ihre Wange.
*
Sechs Wochen hindurch hatte Diana in der Villa der Freifrau von Wolfshagen gelebt.
Während dieser Zeit hatte der junge Graf Markus von Homberg bei allen Freunden und Verwandten nachgefragt, ob sie nicht Hubertus’ Aufenthaltsort wüssten.
Hubertus schien wie vom Erdboden verschwunden.
Dianas Hoffnung, den geliebten Mann zu finden, schmolz zu einem Nichts zusammen. Verzweiflung ergriff immer stärker von ihr Besitz.
Sechs Wochen nach ihrem Einzug teilte ihr die sonst sehr liebenswürdige Freifrau von Wolfhagen mit, dass sie einen Brief von ihrem Mann erhalten habe, in dem er sie bat, die junge Prinzessin