Eva Rossmann

Vom schönen Schein


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Ich kann ihr Namensschild nicht entziffern. „Ihr Vater ist Versicherungsvertreter. Von der Landwirtschaft können die schon lange nicht mehr leben. Macht die Mutter allein. Gut, dass Daniela ins Verdienen gekommen ist, jetzt können sie sich eine Hilfskraft leisten. Angeblich trinkt die Mutter.“

      „Angeblich, wenn ich das schon höre. Und Sippenhaftung gibt’s auch keine. Jedenfalls ist Daniela Sagerer eine großartige Skifahrerin.“ Warum auch immer, ich habe das Gefühl, sie gegen die dürre Giftspritze verteidigen zu müssen.

      „Wohl ein Fan, was? Oder gar vom großen CSO eingeschleust, um zu schauen, was wir quatschen?“ Sie starrt auf meinen Badge. Offenbar ist auch sie kurzsichtig. „ECCO. Noch nie gehört.“

      „Die war beim Magazin“, antwortet mein Kollege vom Blatt. „Da hast du noch nicht einmal deinen Namen schreiben können.“

      Danke für die Unterstützung. Mira, das Fossil.

      „Aber dass sein Vater Mega-Schwierigkeiten hat, ist euch Sport-Gläubigen nicht entgangen, oder?“

      Ich lächle süffisant. Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hätte ich mich doch intensiver vorbereiten sollen.

      „Du meinst, wegen dieser Offshore-Sache?“, sagt der vom Blatt lässig und nimmt einen großen Schluck Gin Tonic.

      „Wenn die ihm nicht unter die Arme greifen, kann er sich die nächste Saison in die Haare schmieren. Tennistourneen sind teuer.“ Die lila Nachwuchskraft hat augenscheinlich Freude daran, alles schlechtzumachen.

      „Die …“, ergänze ich gedankenvoll.

      „Na, das neue Sportkonsortium. Samt CSO Kaiser. Die haben Kohle hoch siebzig. Sind ja auch teilweise staatlich. Und die gesamte Branche zahlt mit. Man ist abhängig von Genehmigungen, von der Zuteilung der Sportevents, von Werbepackages. Ich finde diesen Kaiser übrigens mehr als dubios.“

      „Irgendjemand muss die Arbeit machen“, murmelt der vom Blatt.

      „Na ja, das wirkliche Sagen haben ohnehin andere. Die Wirtschaft. Die dahinter.“

      Ich sehe mein lila Visavis mit freundlichem Spott an. „Wie immer. Die Welt ist verschworen.“

      „Prost“, unterstützt mich der vom Blatt.

      Blutwurst mit Kaisergranaten und Maschanzker-Essig-Reduktion. Gibt es immer noch welche, die glauben, eine Kombination von Innereien und Meeresfrüchten sei kreativ? Wird seit gut zwanzig, dreißig Jahren gemacht. Und funktioniert selten. Unser Starkoch hat die Vorspeise selbst kommentiert: „das Beste aus Österreich und dem Rest der Welt“. Hängt er nicht gerade vor dem Mikrofon, ist er am Smartphone. „Gekocht hat der nicht selbst“, sagt mein Kollege vom Blatt.

      „Tut er sonst auch nicht“, erkläre ich ihm. „Geht sich bei seinen vielen Lokalen schwer aus. Wenn er sich an den Herd stellt, dann geht es um PR.“

      „Kein Wunder, dass er sich mit Kaiser so gut versteht.“

      „Blutwurst? Ich kotz mich gleich an“, wirft die Dürre in Lila ein. Inzwischen hab ich ihr Schild entziffert. Sie arbeitet für einen Blog. So etwas ist jetzt angeblich ganz wichtig. Kathi Richter.

      „Kaisergranaten? Ihr Österreicher seid schon lustig, noch immer auf dem Kaisertrip … Ich dachte, das wäre etwas zum Schießen“, kommt es von der Berliner Abendzeitung.

      „Das sind diese Garnelen da auf dem Teller“, lässt der vom Blatt weltläufig wissen.

      Ich grinse ihm zu. „Auch wenn es eigentlich Scampi sind.“

      „Na und? Ich bin ja kein Gastrokritiker.“

      „Ich bin überhaupt Vegetarierin“, ergänzt Kathi Richter und sieht sich um, als müsste sie das gegen alle verteidigen, wenn nötig, auch mit Kaisergranaten.

      „Passt schon“, sage ich gutmütig. Soll doch bitte jede essen, was sie will. Eine einfache Übung in Toleranz. Ich sehe hinüber zum Ehrentisch. Er ist zu weit entfernt, als dass ich Details erkennen oder gar Gesprächsfetzen aufschnappen könnte. Aber es wirkt, als wären alle mit der Vorspeise einverstanden. Auch Danielas Eltern. Die Außenministerin wirkt bäuerlicher als Mutter Sagerer. Vielleicht ist das Brokat-Dirndl daran schuld. Zu viele Rüschen, zu viel altrosa Gepluster. Ich muss an einen rustikalen Lampenschirm denken.

      Ich verstricke mich in ein Gespräch über Doping im Radsport und Skilanglauf. Nicht gerade mein Spezialgebiet, auch wenn einschlägige Skandale die heile österreichische Sportwelt immer wieder beuteln. Die Pharmaindustrie teste neue Wirkstoffe am liebsten an Todkranken und an Spitzensportlern, hat mir ein Genetiker vor Jahren erzählt. Ich weiß bis heute nicht, ob ich das glauben will. Wobei schon interessant ist, dass Sportler und Trainer wegen Dopings verurteilt werden, Pharmafirmen aber nie. Ich sehe auf die Uhr. Material für eine nette Geschichte habe ich mehr als genug. Und wie die Feier weitergeht, kann ich mir vorstellen. Essen, tanzen, immer wieder schauen, wie spät es schon ist, trinken, tanzen, noch mehr trinken. Von den traditionellen Hochzeitsbräuchen hat man abgesehen, das wissen wir schon aus dem Presse-Briefing. Weil man „exklusive Kleingruppenbildung“ verhindern möchte, hat Sportmanager Kaiser erklärt. Weil man so etwas nie ganz unter Kontrolle hat, ist meine Erklärung. Die meisten der Bräuche sind ohnehin eher lähmend.

      Der Platz neben Daniela ist bereits seit einiger Zeit leer. Ich sollte zu ihr gehen und mich verabschieden. Das gebietet die Höflichkeit. Und vielleicht bekomme ich so noch die eine oder andere Zeile für meine Hochzeitsgeschichte. Hoffentlich ist ihrem Daniel nicht schlecht geworden. Zu viel Blutwurst auf zu viel Aufregung … Sie jedenfalls scheint das gut vertragen zu haben. Und so groß war die Portion ohnehin nicht. Mein Kochfreund Manninger hätte die Blutwurst selbst gemacht und mit Chili und Kokos gewürzt, dann hätte sie besser zu den Scampi gepasst. Und jedenfalls interessanter geschmeckt. Aber wie hat mein Kollege so richtig gesagt? Wir sind ja nicht als Gastrokritiker hier. Ich stehe auf und winke unverbindlich in die Runde. Keine Lust, dass mich jemand zu Daniela begleitet.

      Jetzt ist auch sie aufgestanden. Offenbar gibt’s ein wenig Aufregung am Ehrentisch. Vielleicht ist ihm wirklich schlecht geworden? Sein Vater scheint auch schon länger nicht mehr da zu sein. Ihre Mutter beugt sich zu ihr, sie schüttelt energisch den Kopf. Ich nähere mich langsam.

      „Was heißt, er geht nicht dran?“, höre ich sie fragen.

      „Keine Ahnung, aber ich hab ein ungutes …“

      Griff auf meine Schulter. „Sie suchen die Toilette?“

      Ich sehe CSO Kaiser ins Gesicht. „Machen Sie hier alles? Auch den Guide zu den Klos?“

      „Dort drüben!“ Er deutet in die dem Ehrentisch entgegengesetzte Richtung.

      „Ich wollte mich von der Braut … der jungen Ehefrau verabschieden.“

      „Ich werde es ausrichten.“

      „Ich dachte, wir hätten die Möglichkeit, uns ganz frei zu bewegen.“

      „Sind Sie angeleint?“

      „Ja dann …“ Ich mache mich von ihm los und gehe Richtung Ehrentisch.

      Jetzt ist der Griff auf meine Schulter schon fester. „Haben Sie das notwendig? Zu stören?“

      „Wir kennen uns.“

      „Da hat sie mir etwas anderes gesagt.“

      Mutter und Vater Sagerer, Daniela. Jetzt stehen alle drei und flüstern aufeinander ein. Vielleicht geht es um ein ungeplantes Spiel. Man hat den Bräutigam entführt. Warum muss es immer die Braut sein? Nur weil es üblich ist? Schon möglich, dass einige dem Kontrollwahn von Kaiser ein Schnippchen schlagen wollten. Das erklärt auch seine unentspannte Reaktion mir gegenüber.

      „Die haben den Bräutigam entführt, was?“

      „Das … ist absurd! Wehe, Sie schreiben so etwas. Er hat frische Luft gebraucht, mehr ist da nicht. Er ist Sportler. Nicht gewohnt, so lange zu …“

      „Ich habe vom