war die gefährlichste Sache, auf die er sich jemals eingelassen hatte!
Dann dachte er an seinen Heimatplaneten Evolux, dessen Zerstörung er überlebt hatte. Er dachte an die Höllenfahrt der SOL, die er überstanden hatte. Den Kampf gegen das Chaos, an dem er zwar nicht aktiv teilgenommen, der ihn aber sehr leicht das Leben hätte kosten können.
Und ihm fiel ein, dass die Erkundung dieser fremden Station mit Danton und Crompton an seiner Seite das Abenteuer versprach, das er sich immer gewünscht hatte. Er spürte immer noch das Pochen seines Herzens, aber irgendwie fühlte es sich auf einmal gut an.
Er setzte einen, wie er hoffte, harten Blick auf und sagte zu Crompton fest: »Ja. Ich bin bereit.«
4.
Doppelringstation S-5
Henne, Küken, Ei, dachte Anchi, als die Space-Jet sich von der CALAMAR löste.
Irgendwo draußen in Yahouna, mehr als zehntausend Lichtjahre entfernt, stand die SOL, die Henne, neue Heimat der siebenhundert Gestrandeten, legendäres Generationenschiff der Menschheit. Aber Anchi war nicht in der SOL geblieben, sondern in die kleinere CALAMAR umgestiegen, dem Küken, Heimat für die vergangenen und nächsten Wochen. Nun saß er mit nur drei Kameraden in einer noch kleineren Einheit, der diskusförmigen Space-Jet mit einem Durchmesser von nur vierzehn Metern, also im Beiboot des Beiboots.
Ohne den Ortungsschutz der CALAMAR fädelten sie sich in den Raumflugverkehr ein und näherten sich von »unten« dem Objekt, das sie Doppelringstation genannt hatten. Es bestand aus zwei übereinanderliegenden Reifen, jeder mit einem Durchmesser von fast einem Kilometer. Der untere Teil war ein Großhangar, an dem ständig kleinere Raumfahrzeuge ein- und ausflogen. Ohne große Diskussion empfing die Space-Jet einen Leitstrahl und wurde in eine Landebucht eingewiesen.
Die Station, die von der Bordpositronik der CALAMAR die Nummerierung S-5 bekommen hatte, besetzte einen der fünf Ikosaeder-Eckpunkte, die der militärisch bewachten Burg, die man S-1 benannt hatte, am nächsten standen. Im Gegensatz zu dieser schien es sich bei dem Doppelring um einen zivilen Komplex zu handeln. Es machte den Anschein, als ob in S-5 einfach die vielfältigen Lebewesen der Galaxis ihren Jobs nachgingen und ihre Freizeit verbrachten.
Anchi merkte, wie seine anfängliche Nervosität nachließ und echter Gelassenheit wich. Er spürte immer noch eine innere Unruhe. Aber es war mehr Neugier auf das, was sie erwartete. Er hatte keine Angst mehr.
Er fragte sich, ob Lebewesen auf dieser Station geboren wurden und starben. Gibt es einen Friedhof im Weltraum? Was für ein absurder Gedanke! Auf Evolux hatten sie die Toten in der Erde vergraben und waren immer wieder zu diesen Orten zurückgekehrt, sie hatten wie Planetarier gehandelt, nicht wie Weltraummenschen
Anchi musterte heimlich die drei Begleiter. Danton hatte es sich nicht nehmen lassen, diese Erkundungsmission persönlich zu leiten. Außerdem hatte er ausgerechnet Peet Matabiau und Minon Crompton, die beiden Einsatzspezialisten, als Begleiter ausgesucht. Von den beiden würde Anchi am ehesten sagen, dass sie ein Feind und eine Freundin waren. Dabei war das Verhältnis zu Crompton merklich abgekühlt, und er wusste immer noch nicht genau, warum das so war.
Matabiau fühlte sich in künstlichen Lebenssphären sichtlich wohl. Er war auf der SOL aufgewachsen. Crompton dagegen stammte von einem Kolonialplaneten. Ihr war das planetengebundene Leben noch vertraut. Wie seltsam, dass Anchi dabei an Friedhöfe dachte.
Sie trugen leichte SERUNS, die für den Aufenthalt im freien Raum ebenso geeignet waren wie für den Einsatz auf Planeten. Über einen zusammenfaltbaren Helm wurden die Träger mit Atemluft versorgt, notfalls injizierte der Anzug Sauerstoff direkt in die Blutbahn.
Die Doppelring-Leitsysteme hatten die CALAMAR routinemäßig mit Informationen zu den Lebensbedingungen im Innern der Station ausgestattet. So wussten sie ganz offiziell über die Zusammensetzung der Atemluft in den meisten Sektionen der Station Bescheid. Wie es an Orten, an denen Bewohner unterschiedlicher Planeten zusammenkamen, offenbar üblich war, filterten manche Individuen über Anzugsysteme wie SERUNS giftige Bestandteile aus der Atemluft aus und gaben andere Bestandteile hinzu. Die Luftfiltersysteme der Anzüge von der SOL würden diese Aufgabe vorzüglich erledigen.
Die Auswertung des Funkverkehrs im System hatte zur Identifizierung von über neunhundert Idiomen und einer gemeinsamen Verkehrssprache geführt. Die Verkehrssprache war vom Bordgehirn der CALAMAR in die Anzugpositroniken überspielt worden, sodass Gespräche, die sie im Doppelring führten, in Echtzeit übersetzt und sprachlich in der Stimme ihrer Gegenüber ausgegeben würden. Für die vier Menschen würde es sich beinahe so anhören, als sprächen sie mit den Stationsbewohnern in Interkosmo.
All das würde in keiner Weise auffällig sein. Denn die meisten Stationsbewohner bedienten sich solcher Systeme, um miteinander zu kommunizieren.
Die Space-Jet landet im unteren Ring der Station, die Besatzung erhielt die Freigabe zum Ausstieg. Danton trat als Erster an die Ausstiegsluke.
*
Von der Ankunftshalle gelangten sie über Schwebebänder zu durchsichtigen Röhren, die nach oben führten. Wie immer spürte Anchi eine leichte Irritation, als er auf das Band trat. Fußböden bewegten sich nicht, jedenfalls nicht in der Welt, in der er den Großteil seines Lebens verbracht hatte. Es würde noch eine Weile dauern, bis er sich an solche Dinge gewöhnte.
Die Space-Jet, die zu den kleineren Fahrzeugen auf dem Landefeld gehörte, wurde bereits von beweglichen Plattformen auf ihre endgültige Parkposition geschoben. Auf der Landefläche standen Raumschiffe der unterschiedlichsten Größen und Typen. Manche sahen aus wie Spinnen oder Pusteblumen, andere waren solide quaderförmige Raumfrachter oder zylinderförmige Röhren. Roboter verschiedener Typen schwirrten wie von unsichtbarer Hand orchestriert zwischen den Schiffen umher.
Anchi sah kurz zu der Jet zurück. Dann richtete er den Blick wieder nach vorne. Das kleine Team von der CALAMAR verließ das Band und stieg in eine der Röhren.
Sie wurden von einem sanften Strom nach oben getragen. Anchi kannte solche Lifts bereits von der SOL und tat so, als habe er sein Leben lang nichts anderes getan, als in bodenlose Schächte zu treten.
Sie gelangten in den zweiten Ring, aus ihrer Sicht der obere, und Anchis Blick glitt weiter nach oben, wo sich eine neue, von den Lebewesen dieser Galaxis bevölkerte Welt auftat.
Sie durchquerten mehrere Etagen, die offenbar einem stationsweiten Beförderungssystem dienten: Röhrenförmige Züge sorgten wohl für den Ferntransport in andere Sektoren der Station. Außerdem bestiegen Einzelpassagiere kugelrunde Fahrzeuge, die auf hell schimmernden Straßen in andere Richtungen abbogen.
Da die Solaner kein genaues Ziel hatten, ließen sie sich vom Antigravstrom ganz nach oben tragen, wo die Welt den Fußgängern vorbehalten war.
Sie traten in ein Reich ein, das voller schnatternder, gackernder und quäkender Lebewesen war, bunt und quirlig und so ganz anders als das Weltall, aus dem sie kamen.. Anchi kam es vor, als hörte er sämtliche der neunhundert Sprachen, die in der Station vertreten sein sollten.
Über ihnen spannte sich ein künstlicher rötlich gelber Himmel mit hell leuchtenden Wolken. Zahlreiche Buden und Gebäude mochten den unterschiedlichsten Zwecken dienen: Kneipen, Restaurants, Spielbuden, Bordelle – was man so brauchte an Bord einer Raumstation am Rande des unheimlichen Weltraumnebels.
Von irgendwoher ertönte ein Choral: »Große BARIL, wir loben dich!«
Anchi nahm einen dominanten Duft wahr, der an Ozon erinnerte, Resultat eines starken Kohlenstoffgehalts der innerstationären Atmosphäre. Sie entsprach wohl am ehesten den Bedürfnissen der meisten Wesen in der Station. Viele trugen keinerlei Raumanzüge oder ähnliche Kleidungsstücke. Einige versorgten sich durch einfache Atemmasken mit der Luft, die sie benötigten.
Obwohl das herrschende Gemisch im Prinzip für Menschen atembar war, unterstützten die SERUNS ihre Träger durch Zufuhr reinen Sauerstoffs, den sie, selbst wenn die Helme zusammengefaltet waren, durch einen gezielten Strahl in die Nase bliesen. Die vier Solaner traten in ihren