Agnes Sapper

Die Familiensaga der Pfäfflings


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Sonnenstrahl dringt kaum in diese engen Gassen,« sagte Pfäffling seufzend. »Es können nicht alle auf der Sonnenseite wohnen,« erwiderte Frau Pfäffling, »wie viele müssen im Schatten vorlieb nehmen!«

      »Wollen wir morgen noch einmal suchen, und dann, wenn wir gar nichts Besseres finden, nun, dann müssen wir uns eben begnügen.«

      Am nächsten Tag fand sich nichts Besseres, und mit schwerem Herzen wurde der Beschluss gefasst, in der Hintern Katzengasse Nr. 13 einzumieten.

      Inzwischen war in der schönen Wohnung, die Frieder in der Kaiserstraße angesehen hatte, eine kleine Teegesellschaft versammelt. Die Dame des Hauses erzählte von dem kleinen Pfäffling, der mit dem Ränzchen auf dem Rücken nach einer Wohnung bei ihr gesucht habe. Wie groß musste die Verlegenheit der Familie sein, wenn sie alle Kinder bis herunter zum sechsjährigen ausschickte auf Suche nach Wohnung! Ein älteres Fräulein aus der Gesellschaft, das ein warmes Herz für die Not anderer Leute hatte, erklärte, da müsse geholfen werden. Gleich am nächsten Morgen wolle sie zu Herrn B. gehen, der kenne alle Wohnungen der Stadt, der müsse Rat schaffen. So ging Fräulein A. zu Herrn B. und dieser wieder zu Frau C., und als die Sache noch ein Stück weiter durchs Alphabet gelaufen war, kam eines Morgens der Schreinermeister Hartwig, fragte nach dem Musiklehrer Pfäffling und sagte dem Dienstmädchen, er habe eine Wohnung anzubieten. Herr Pfäffling gab eben in seinem Zimmer Geigstunde, während am andern Ende der Wohnung einer seiner Jungen Klavier übte, und zwischen darin saßen die Zwillinge und sangen so laut sie konnten darauf los, weil sie die zweierlei Musik übertönen wollten.

      Frau Pfäffling hatte in der Küche die Frage wegen der Wohnung vernommen und hätte sie nur gekonnt, sie hätte heimlich alle Musik zum Schweigen gebracht; aber da führte ihr das Mädchen schon den Herrn her, und weil auch gerade die andern Kinder über den Gang sprangen, so konnte man kaum das eigene Wort verstehen. Die Mutter führte Herrn Hartwig ins Zimmer, und im Vorbeigehen fasste sie einen ihrer Jungen und flüsterte ihm zu: »Es ist ein Hausherr da, rufe den Vater, und mache, dass man euch nicht so hört.«

      Das wirkte; die Kinder wussten ja, um was es sich handelte. »Ein Hausherr,« so ging's von Mund zu Mund; alle Musik, aller Lärm verstummte, auf den Zehen schlichen sich die Kinder hinaus, lautlos wurden die Türen geschlossen, eine ungewohnte Stille herrschte im Haus. Herr und Frau Pfäffling waren allein mit dem Schreinermeister Hartwig. »Wenn Sie noch keine Wohnung gefunden haben,« sagte dieser, »so möchte ich Ihnen eine im meinem Hause anbieten, draußen in der Frühlingsstraße. Platz genug gäbe es da, und es schadet auch nichts, dass Sie zehn Kinder haben.«

      »Sieben, sieben, bloß sieben,« riefen die beiden Eltern wie aus einem Mund.

      »Um so besser, uns hat man von zehn gesagt; es hat sich halt so herumgesprochen in der Stadt, und darüber haben sich die Kinder vermehrt. Es ist ein großer Holzplatz am Haus, da können sich die Kinder tummeln. Und was den Mietzins betrifft, da werden wir uns schon einigen. Bei uns ist's nämlich so: Mich hat noch nie ein Lärm gestört, und meine Frau, die hat die Liebhaberei, Gutes zu tun, wie eben jeder Mensch so eine Liebhaberei hat. Darum sagte sie: Eine gute Mietpartie nehmen ist keine Kunst, aber eine schlechte Mietpartie aussuchen, das ist christlich.«

      Der »schlechten Mietpartie« klangen diese Worte wie Musik, und nach fünf Minuten schon war Pfäffling mit dem freundlichen Hausherrn unterwegs in die Frühlingsstraße und ließ sich von der Hausfrau mit der christlichen Liebhaberei, Gutes zu tun, die sonnige Wohnung zeigen und ohne Schriftstück, mit freundlichem Handschlag, wurde der Mietvertrag zu billigem Preis abgeschlossen. Fröhlichen Herzens ging unser Musiklehrer von der Frühlingsstraße in die Hintere Katzengasse, freute sich, als er schon von ferne den Seifengeruch in die Nase bekam, und teilte dem Seifensieder mit, dass er sich zu einer anderen Wohnung entschlossen habe. Dann vorbei an der Buchhandlung, wo er zum zweitenmal die Karte vom Fichtelgebirge verlangte, und nun heim zur begeisterten Schilderung der künftigen Wohnung in der Frühlingsstraße.

      Die ganze Familie teilte seine Freude; nur der Frieder hörte zufällig nichts davon, weil er eben mit seiner Harmonika im Hof war, und niemand dachte daran, dass er die Neuigkeit nicht erfahren hatte. Er wunderte sich im stillen, als beim Mittagstisch alle so vergnügt vom nahen Umzug sprachen und sogar sagten, sie bekämen es viel schöner als jetzt; denn er dachte, es handle sich noch um die Hintere Katzengasse. »Mir gefällt's besser da,« sagte er, »weil wir doch einen Hof haben.« »Der elende Hof voll Wäschepfosten,« sagte einer der Brüder, »da will ich doch lieber einen Holzplatz.«

      »Schau, schau, dem Frieder allein ist die neue Wohnung nicht gut genug, der will eben in die Kaiserstraße,« sagte der Vater neckend zu ihm, und auch die andern lachten. Es wusste niemand, dass man ihm eigentlich die neue Wohnung verdankte, auch er selbst nicht, und so schwieg Frieder. Er fand es zwar wunderlich, dass man heute so zufrieden sein sollte mit dem Tausch, aber ihm kam ja oft etwas sonderbar vor, was die Großen sagten, und er fragte nie viel, sie hatten immer keine Lust, ihn aufzuklären.

      So kam es, dass Frieder bei der Meinung blieb, man habe in der Hintern Katzengasse eingemietet.

      »Wenn der Umzug doch sein muss, dann so bald wie möglich,« sagte Pfäffling, »noch vor meiner Reise,« und mit großem Eifer wurden alle Vorbereitungen getroffen. Manche Bekannte boten ihre Hilfe an, und viele luden die Kinder für den Umzugstag zu Tisch, so dass es eine ganz schwierige Beratung gab, was man annehmen konnte und ablehnen musste. Die Eltern hatten viel zu tun; sie überließen es den Kindern, wo und wie jedes zu seinem Mittagstisch gelangen würde. So fanden die großen Jungen glücklich heraus, dass Brauns auf zwölf Uhr und Schwarzens auf ein Uhr geladen hatten, das konnten sie beides vereinigen, und sie freuten sich königlich auf das doppelte Mittagessen.

      Der Tag des Umzugs kam. Gegen Mittag fuhr der vollbeladene Wagen ab, die Eltern folgten ihm in die neue Wohnung, während die Kinder gleich von ihren Schulen aus zu den Familien, die sie geladen hatten, gegangen waren und sich's da schmecken ließen. Nur unser Frieder hatte nicht recht erfaßt, wie das alles eingerichtet war und wo er zu Mittag essen sollte. Er wollte die Mutter noch einmal fragen und ging wie gewöhnlich von der Schule aus heim, in die alte Wohnung. Alle Türen standen weit offen. Betroffen blieb Frieder unter der Türe der verlassenen Wohnung stehen. Wo war denn alles? Er ging von einem Zimmer ins andere, Papier und Stroh lagen auf dem Fußboden zerstreut. Da, im Winkel, mitten unter dem Staub, sah er eine von Elschens Kugeln, die schöne, rote, die hob er auf und schob sie in seine Tasche. Dann ging er durch all die leeren Räume, seine Schritte hallten, aber sonst war alles still. Ihm wurde ganz unheimlich zumute, Tränen kamen ihm in die Augen, als er sich so verlassen fühlte. Ja, sie waren alle ausgezogen und hatten ihn vergessen. Jetzt kamen Schritte die Treppe herauf, der Hausherr war's und eine Scheuerfrau mit Besen und Wassereimer.

      »Bist du noch da, Frieder?« fragte er. »Deine Leute sind schon in der neuen Wohnung, mache nur, dass du auch hinkommst, sonst wirst du hinausgekehrt.« Da ging Frieder die Treppe hinunter: er wusste jetzt, was er zu tun hatte, er musste in die neue Wohnung gehen. Also in die Hintere Katzengasse Nr. 13. Wo diese lag, wusste er ungefähr; hinter dem Markt hatte er sagen hören, und auf dem Markt war er schon oft gewesen. Er machte sich auf den Weg. Der war weit und heiß: der kleine Fußgänger mit dem Schulranzen kam langsam vorwärts und dachte dabei, dass er zum Mittagessen bei Bekannten eingeladen sei, wenn er nur gewusst hätte, wo? Endlich gelangte er doch auf den Markt und sah sich um. Rechts, links, überall gingen Straßen und Gassen ab, welche aber war die richtige? Zweifelnd kam er bis mitten auf den Platz, da trieben sich ein paar Kinder herum. An die wandte er sich. Ein Mädchen wies ihm den Weg. »Dort,« sagte sie, »wo der Seifenladen ist, da ist Nr. 13.«

      Der Seifensieder stand unter der Ladentüre, und als er sah, dass der kleine ABC-Schütz mit dem Ränzchen auf dem Rücken unschlüssig vor dem Hause stehen blieb, fragte er: »Wen suchst du denn, Kleiner?«

      »Ich möchte in unsere neue Wohnung,« sagte Frieder. »Wie heißt du denn?« »Frieder Pfäffling.« »Pfäffling? Pfäffling? Gehörst du dem Musiklehrer? Ja? Der hat ja hereinziehen wollen, hat sich aber dann anders besonnen. Bist du sein Bub und weißt das nicht?«

      »Ich weiß gar nichts,« sagte Frieder und sah recht jämmerlich darein.

      »Geh nur wieder in deine alte Wohnung,« sagte der Mann, »und frage dort, wo du