Indrek Hargla

Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche


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das Geringste zu tun.«

      »Beim heiligen Andreas, das hoffe ich«, murmelte Melchior.

      »Was murmelst du da?«

      »Ach, nichts ... nichts. Mir kommt es nur seltsam vor, dass er den Dominikanerprior um die Beichte bat, und nicht den Pastor der Domkirche.«

      »Daran ist ganz und gar nichts seltsam. Der Orden ist schon seit langem Gönner der heiligen Dominikaner und Clingenstain hat sich oft in der Sankt-Nikolaus-Kirche zu Visby die Predigten der Brüder angehört. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war auch Prior Eckell früher einmal im Konvent von Visby tätig und vergiss nicht, Melchior, es waren die Dominikaner, die die Domkirche bauten.«

      Das erzählte man sich tatsächlich, fiel Melchior nun wieder ein. Als die Dominikaner vor langer Zeit nach Reval gekommen waren, ließen sie sich auf dem Domberg nieder und genau an der Stelle der jetzigen Domkirche errichteten sie ihre erste Kirche. Und genau dort fand ein grauenhaftes Blutvergießen zwischen den Ordensleuten und den Dänen statt. Die Ritter hatten die Dänen in der Kirche erschlagen und ihre Leichen auf dem Altar aufgehäuft. Und hatte nicht der Orden die Dominikaner seitdem vom Domberg verbannt? Aber das war fast zweihundert Jahre her – bei der Suche nach Clingenstains Mörder bot dieses Wissen keine Hilfe.

      »Fünf Revaler Bürger«, sagte nun Melchior. »Wir haben es also mit fünf Männern zu tun, die sich gestern mit Clingenstain getroffen haben. Es waren nicht etwa noch weitere Leute aus der Stadt auf dem Domberg?«

      »Natürlich kann es sein, dass ein paar Müllersgesellen oder Schusterlehrlinge aus der Stadt hier waren«, erwiderte der Komtur verdrossen. »Aber ich erinnere mich nicht, dass von denen jemand mit Clingenstain zu tun gehabt hätte. Ach ja, noch bevor der Prior kam, bettelte dieser Laienbruder von den Dominikanern hier um Almosen, aber das ist nichts besonderes. Er kommt oft hierher.«

      »Ach, Bruder Wunbaldus?«

      »So heißt er wohl, ja. Der Laienbruder mit dem Buckel.«

      »Das ist Bruder Wunbaldus«, nickte Melchior. »Ein armer und frommer Mann, der manchmal auch in meine Apotheke kommt und jedesmal verspricht, mich für die Arzneien in seine Gebete einzuschließen. Wie man hört, soll er ein ausgezeichneter Bierbrauer sein. Das Bier der Dominikaner schmeckt seit Wunbaldus‘ Aufnahme ins Kloster tatsächlich ganz anders als vorher. Dem Herren Komtur ist nicht etwa aufgefallen, ob Bruder Wunbaldus auch mit Clingenstain zusammentraf?«

      »Wunbaldus bittet doch jeden um eine milde Gabe, dem er begegnet. Wahrscheinlich hat auch Clingenstain ihm etwas gespendet. Ja, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er etwas gespendet hat.«

      Als der Komtur sie schließlich zum Gehen auffordern wollte, fiel ihm doch noch etwas ein: Er erkundigte sich bei Dorn, wie viel der Revaler Scharfrichter fürs Hängen verlange.

      »Früher waren es vier Schilling und ein Fass Bier. Aber es ist schon eine ganze Weile her, seit wir zuletzt jemanden hängen mussten«, antwortete der Gerichtsherr.

      »Vier Schilling! Das ist ja Wucher!«

      Der Komtur hatte dem für den Domberg zuständigen Scharfrichter erlaubt, für eine Woche nach Wesenberg zu fahren. Dort lag der Vater des Scharfrichters schwer krank darnieder und der junge Mann hatte ihn noch ein letztes Mal sehen wollen. Eine trauriger Umstand, aber deshalb verfügte der Domberg derzeit über keinen eigenen Henker. Der Komtur erwog nun, den städtischen Henker zu beauftragen, den Mörder zu foltern und dann zu hängen oder zu vierteilen – je nachdem, wie das Manngericht entschied.

      »Vierteilen ist teurer«, fiel Dorn dazu nur ein. »Fürs Vierteilen verlangt der Scharfrichter gleich sechs Schilling. Und zwei Fass Bier.«

      »Euer Scharfrichter ist ein wahrer Halsabschneider«, schimpfte der Komtur. »Wenn ich in der Schlacht für jeden Kopf sechs Schilling bekäme, würde ich mir gleich den ganzen Domberg zu eigen machen!«

      »Jemanden zu köpfen erfordert aber auch viel Geschick. Irgendein Dahergelaufener könnte das nicht«, meinte Melchior.

      »Ein Dahergelaufener ...«, brummte Spanheim. »Ich sage Euch eins, Herr Gerichtsvogt: Dem Ordensmeister würde es am besten passen, wenn Clingenstains Mörder keiner wäre, der ... hmmm ... sagen wir, der Stadt eng verbunden ist, ein ehrenwerter und wohlhabender Mann, Ihr versteht schon. Einen solchen Streit zwischen der Stadt und dem Orden kann niemand brauchen, weder ich hier auf dem Domberg noch die Ratsherren in der Unterstadt. Bestimmt war es ein gewöhnlicher Landstreicher oder Dieb, solche tauchen doch immer wieder im Hafen und der Stadt auf. Ein Fremder. Nehmt ihn fest, leiht uns Euren Henker und bringen wir diese Sache rasch zu Ende, so wie wir bisher alle solche Angelegenheiten zwischen der Stadt und dem Domberg zu Ende gebracht haben.«

      »So soll es sein und helfe uns der heilige Viktor dabei!«, stimmte Dorn sofort zu.

      Sie hatten den Saal schon fast verlassen, da fiel Melchior noch etwas ein. Er verbeugte sich:

      »Wenn der Komtur noch eine Frage erlaubt – mir ist etwas zu Ohren gekommen, dass dem seligen Clingenstain eine Münze in den Mund gesteckt worden war ...«

      Spanheim zog die Augenbrauen hoch.

      »Woher hast denn du das gehört?«

      »Das sagte der Ordensdiener, der mich heute morgen aufgesucht hatte. Ich habe dann auch Melchior gegenüber ein Wörtchen verlauten lassen«, bemerkte Dorn.

      »Diese verfluchten Schwatzmäuler! Nun fehlt nur noch, dass sie die Nachricht auf dem Markt verkünden! Ja, Jochen fand eine Münze im Munde seines Herren, als er den Kopf vom Haken abnahm ... Dieser Mörder ist ein Leichenschänder, ein Gottesverächter! Er hatte Clingenstains Kopf an der Wand aufgespießt und ihm eine Münze in den Mund gestopft. Als Jochen den Kopf fand, fiel die Münze heraus. Und ich hatte den Dienern noch eingeschärft, das nicht auszuplappern. Die Stadt braucht nicht zu wissen, wie der Leichnam eines so tapferen Kriegers geschändet wurde.«

      »Der Komtur hat die Münze nicht zufällig beiseite gelegt?«, erkundigte sich Melchior.

      Der Komtur ging zurück ans Schreibpult und nahm eine Münze aus der Truhe.

      »Das ist eine gotländische Münze, ein gotländischer alter Örtug«, stellte Melchior erstaunt fest. »Die sieht man in Reval äußerst selten.« Er überlegte einen Moment und fügte hinzu: »Wenn der Komtur mir eine weitere Bemerkung erlaubt – so verhält sich kein gewöhnlicher Räuber, dass er jemanden umbringt und dann bei der Leiche Geld hinterlässt. Normalerweise erleichtern Räuber und Diebe ihre Opfer um Geld, unser Mörder hat sein Opfer jedoch bereichert. Ist Clingenstain denn irgendetwas Wertvolles gestohlen worden? Was ist zum Beispiel aus der goldenen Kette geworden, die er Casendorpe abgekauft hatte?«

      »Bin ich etwa sein Schatzmeister?«, schnauzte der Komtur als Antwort. »Ich weiß nur, dass er hier mit der Kette prahlte, als Casendorpe sie ihm brachte, er trug sie den halben Tag lang um den Hals und sagte, er habe sie in seine Bleibe gebracht, bevor er zur Beichte ging. Ich nehme an, dort liegt sie nun in einer gut verschlossenen Truhe. Oder nein – jetzt fällt es mir wieder ein! Er wollte die Kette auf sein Schiff bringen lassen.«

      »Das Geschenk für den Ordensmeister ist also auf dem Schiff, an einem sicheren Platz und hinter Schloss und Riegel?«

      »Zum Teufel, Melchior, sicherlich. Du denkst doch nicht etwa, dass der Mörder ...« Der Komtur verstummte. »Nein, woher konnte der Mörder denn wissen, dass Clingenstain eine solche Kette bei sich hat, nein. Ich bin sicher, er hat die Kette auf sein Schiff bringen lassen«, brummte er dann.

      »So können wir also beruhigt sein, dass das Geschenk an einem sicheren Ort ist. Es tut gut zu hören, dass der Komtur dies bestätigt«, meinte Melchior.

      »Ich werde Jochen dazu befragen. Ja, das tue ich ganz bestimmt«, versprach der Komtur. »Nun aber, Herr Gerichtsvogt, ist meine Zeit zu Ende. Die Domherren warten auf mich. Ich wiederhole noch einmal – ich möchte, dass die Stadt den Mörder möglichst schnell festnimmt, und wenn der Mörder ein nutzloser Herumtreiber wäre, passte es am besten, so dass die guten Beziehungen zwischen der Stadt und dem Orden nicht unter der Sache leiden.«