Indrek Hargla

Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche


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Bier als der Felliner Komtur. Über den lachen selbst die Katzen und hören nicht auf, ehe ihnen jemand auf den Schwanz tritt.«

      Dorn lachte nur etwas gekünstelt und Melchior versicherte, dass der ehrenwerte Rat und die Apotheke hier vollkommen derselben Meinung seien. Es bestehe nicht der geringste Zweifel, dass niemand in Fellin gegen den Komtur ankam, wenn es ums Biertrinken ging.

      »Genau so ist es«, rühmte sich der Komtur. »Unter den Tisch hab ich sie alle getrunken und laufe dann noch kerzengerade und lege vor dem Morgen zehn Dirnen aufs Kreuz, wenn ich nur will, und das kommt öfters vor, das könnt ihr mir glauben ...«

      »Das habe ich immer gesagt, dass in der Hurerei und dem Biertrinken mit unserem Komtur keiner mithalten kann, der ganze Rat weiß, dass ...«, setzte Dorn an, doch Melchior trat dem Gerichtsvogt rasch gegen das Schienbein und hustete. Dorn verstummte erschrocken.

      Dies fiel Spanheim aber nicht weiter auf. »So ist es«, sagte er, atmete tief durch und schritt zum Schreibpult.

      »Tretet näher, Herr Gerichtsvogt«, befahl er dann. »Ich möchte Euch etwas zeigen.«

      Was der Komtur vorzuzeigen hatte, ließ Dorn und Melchior erschaudern. Der Komtur griff in die Truhe des Schreibpults und holte aus ihr einen Menschenkopf hervor.

      »Hier ist von Clingenstains Kopf. Sein Leichnam liegt in der Kapelle, bis er in der Domkirche zur ewigen Ruhe gebettet wird«, teilte er dann mit.

      »Heilige Maria!« Dorn zuckte zurück. Der Kopf hatte einem etwa vierzig Jahre alten Mann gehört. Das Blut war abgewaschen. Ein Kopf wird viel kleiner, wenn das Blut herausgeflossen ist, fiel Melchior auf, das Gesicht fällt ein, die Haut färbt sich leicht gelb ...

      »Zur Sache«, sagte der Komtur nun ernst. »Gestern Abend hat jemand dem Ritter von Clingenstain den Kopf abgeschlagen und ist dann in die Stadt geflohen. Herr Gerichtsvogt, noch bevor ich den Ordensdiener zu Euch ins Rathaus schickte, habe ich einen Eilboten mit der furchtbaren Nachricht zum Ordensmeister gesandt. Eine solche Gräueltat ist eine Schande für die ganze Stadt! Unerhört, dass in Reval ein hoher Machtinhaber derart niederträchtig ermordet worden ist!«

      Auf dem Domberg, dachte Melchior, auf dem Domberg ist er ermordet worden.

      »Jetzt ist es für die Stadt Ehrensache, dass der Mörder in Ketten gelegt und dem Orden ausgeliefert wird, damit das Rittergericht ihn zum Tode verurteilen kann. Er wird in den Langen Hermann gesteckt und nach allen Regeln gefoltert«, fuhr Spanheim fort. »Gewöhnlich erhält die Stadt eine schriftliche Anordnung von uns, aber hiermit habe ich Euch diese Weisung nun erteilt.«

      Dorn verbeugte sich und wollte etwas sagen, doch der Komtur sprach bereits weiter.

      »Und wenn ich den nächsten Eilboten zum Ordensmeister schicke, möchte ich ihm mitteilen, dass der Mörder im Langen Hermann in der Zelle sitzt und dass der Revaler Rat dem Orden gegenüber die nötige Ehrerbietung gezeigt hat. Herr Gerichtsvogt, Ihr versteht, dass ich dem Ordensmeister mit dem nächsten Eilboten nicht übermitteln will, dass der Mörder noch immer auf freiem Fuße ist und der Revaler Rat ihn noch nicht gefasst hat. Ich will nicht, dass es so kommt wie beim letzten Mal, als sich der Streit zwischen Rat und Domberg über die Herausgabe eines Diebes über zwei Monate hinzog und der Dieb währenddessen mit einem Schiff das Weite suchte! Euer lübisches Recht in der Unterstadt ist aus des Ordensmeisters Gnaden gut und recht, aber es gibt mir nicht die Vollmacht, den Mörder selbst in Ketten legen zu lassen und auf den Domberg zu holen.«

      Dorn fasste sich und fragte: »Aber würde der hochehrwürdige Komtur uns dann sagen, wer der Mörder ist, damit ich dem ehrenwerten Rat den Namen mitteilen und der Rat die Erlaubnis erteilen kann, ihn ...«

      »Nach allen Regeln zu foltern und so weiter. Natürlich würde ich Euch den Namen sagen, zum Teufel, aber ich weiß nicht, wer es war! Ich habe schon alle Knechte, Handwerker und Bediensteten befragt, aber niemand hat etwas gehört oder gesehen. Und Jochen, der Diener des seligen Bruder Henning, hat sich zur Zeit des Mordes mit einem Waschweib vergnügt und auch nichts gehört oder gesehen.«

      »Aber wen soll ich denn dann festnehmen?«, fragte Dorn verwirrt.

      »Zum Donnerwetter!«, fauchte der Komtur. »Der Gerichtsherr seid doch Ihr! Hat bei Euch in der Unterstadt jeder Ermordete ein Schild um den Hals hängen, auf dem steht, wer ihn ins Jenseits befördert hat? Pinselt etwa jeder Dieb seinen Namen an die Kirchenwand, so dass Ihr ihn festnehmen könnt?«

      »Aber dem Gesetz nach muss doch der Orden den Namen des Verbrechers von der Stadt einfordern und dann ... und dann muss das Ratsgericht ... Aber wen soll das Ratsgericht denn dann in Ketten legen lassen?«

      »Mein lieber Gerichtsherr Dorn, Ihr seid derjenige, der herausfinden muss, wer Clingenstains Mörder war! Ihr sagt mir den Namen, und ich verlange den Mörder dann vom Rat heraus. Das ist doch ganz einfach.«

      »Hochehrenwerter Komtur«, mischte sich nun Melchior ein. »Der Gerichtsvogt will damit nur sagen, dass es ihm eine große Hilfe wäre, wenn der Domberg die Untersuchungen mit seinem Wissen und seinen Ratschlägen unterstützt. Zum Beispiel wäre es sehr hilfreich zu erfahren, um welche Stunde der schreckliche Mord begangen worden ist und wer den Leichnam gefunden hat, ob in seiner Nähe vielleicht Gegenstände lagen, die uns etwas über den Mörder sagen können und woher wir überhaupt wissen, dass der Mörder in die Unterstadt geflohen ist.«

      Spanheim musterte den Apotheker für einen Moment. »Hör mal, Melchior, warum steckst du überhaupt deine Nase in diese Sache? In der Stadt warten Notleidende und Kranke auf dich, um die du dich zu kümmern hast. Der Ratsherr kommt schon alleine zurecht. Wenn nötig, nimmt er den Scharfrichter zu Hilfe, der den Verdächtigen ein bisschen die Knochen verdreht, und dann wird sich schon jemand geständig zeigen,« sprach der Komtur. »Ich habe dich nur hier hereingelassen, weil du mir dein Wundermittel gebracht hast.«

      Dorn räusperte sich: »Der Scharfrichter wäre mir in der Tat eine große Hilfe, aber dem Rat wäre Melchior eine ebenso große Hilfe. Denn wohin gehen die Leute, um zu schwatzen? In die Apotheke! Jeder Mensch, sei er Kaufmann oder Ratsherr, Maurer oder Schuster, Bierträger oder Mündrich, muss irgendwann einmal in die Apotheke, nicht wahr. Und dort schenkt ihnen der gute Melchior ein Gläschen ein und die Leute erzählen, was sie alles gehört und gesehen haben.«

      »Und sie erzählen um einiges lieber und um einiges mehr als unter Androhung des Scharfrichters«, fügte Melchior hinzu. »Der ist im Übrigen ein guter Freund von mir. Er kommt ab und zu auch in die Apotheke und holt sich ein Mittel gegen seine Gliederschmerzen.«

      »Außerdem ist das nicht das erste Mal, dass Melchior dem Rat weiterhelfen kann«, sprach der Gerichtsvogt weiter. »Letztes Jahr nämlich ...«

      »Sei‘s drum«, unterbrach Spanheim den Gerichtsvogt. »Letztendlich ist es nicht meine Sache zu entscheiden, wie der Rat den Mörder findet, und wenn Melchior und die Apotheke wirklich dazu beitragen können ...«

      Er trank einen Schluck und berichtete dann, dass Henning von Clingenstain schon seit fünf Tagen auf dem Domberg im Haus eines wierländischen Vasallen gewohnt habe, der selbst auf seinem Gutshof verweilte, so wie die meisten Vasallen im Frühjahr. Der Ordensgebietiger Clingenstain war unterwegs von Gotland nach Marienburg, doch vor seiner Weiterreise hatte er in Reval noch einige Dinge zu erledigen. Insgesamt waren acht Männer von Gotland angereist, bei Clingenstains Weggefährten handelte es sich um Ordensbrüder niedereren Ranges, die der Komtur im Dormitorium der Festung untergebracht hatte. Die meiste Zeit verbrachte Clingenstain im Speisesaal im Ostflügel der Festung, denn, wie der Komtur meinte, »musste man ja irgendwohin mit den vier Fass Bier, dem Fass Hering und dem Berg gepökelten Schweinefleischs, das der Rat zur Bewirtung des hohen Gastes geschickt hatte.« Im Haus des Vasallen wohnte außer Clingenstain noch sein Knappe Jochen, der inzwischen in Ketten gelegt und durchgeprügelt worden war. In seine Bleibe ging Clingenstain nur zum Schlafen. Gestern Abend gegen acht Uhr hatte sich Clingenstain auf den Heimweg gemacht. Er ging alleine, ein paar Ordensknechte hatten ihn gesehen, wie er bei den Stallungen herumstolperte, nach dem richtigen Weg suchte und seinen Knappen rief. Clingenstain hatte den Weg durch das Seitenportal des Nordflügels gewählt, von wo er ohne den langen Umweg durch die Vorburg und die Dompforte direkt