15 Königsstraße, Meister Casendorpes Haus 17. Mai, nach der Vesper
Kapitel 16 Raderstraße, Melchiors Apotheke 17. Mai, später Abend
Kapitel 17 Raderstraße, Melchiors Apotheke 18. Mai, Nacht
Kapitel 18 Kirchgarten der Nikolaikirche 18. Mai, früher Morgen
Kapitel 19 Dominikanerkonvent 18. Mai, früher Morgen
Kapitel 20 Zwischen dem Dominikanerkonvent und dem Rathaus 18. Mai, später Vormittag
Kapitel 21 Am Schachbrett 18. Mai, früher Nachmittag
Kapitel 22 Schwarzhäuptergilde, Langstraße 18. Mai, Abend
Kapitel 23 Melchiors Apotheke 19. Mai, Nacht
Kapitel 24 Raderstraße 19. Mai, Morgen
Kapitel 25 Dominikanerkonvent 19. Mai, Vormittag
Kapitel 26 Bei der Schmiedepforte 19. Mai, um die Mittagszeit
Kapitel 27 Raderstraße, Haus des Mertin Tweffell 19. Mai, Nachmittag
Kapitel 28 Amtsstube des Gerichtsvogts, am Rathausplatz 19. Mai, Abend
Kapitel 29 Amtsstube des Gerichtsvogts, am Rathausplatz 19. Mai, Abend
Kapitel 30 Kloster zu St. Michael, Brauereischenke 22. Mai, Nachmittag
Vorwort
Reval Anno Domini 1409
Zu keiner Zeit war Estland so eng mit Westeuropa verbunden wie im 15. Jahrhundert. Es war die Zeit, als sich die Macht des Ordens endgültig festigte, Städte und Festungen gebaut wurden, Gilden und Klöster aufblühten. Der Zustrom von Siedlern und die Blütezeit der Hanse sorgten für einen regen Schiffsverkehr mit den Häfen in Deutschland und Skandinavien. Noch nie zuvor war Estland so tief in die Kriege der Herrscher Europas um die Vormacht an der Ostsee verwickelt worden. Die Vitalienbrüder, die sich wegen der Streitigkeiten deutscher Fürsten und des dänischen Königshauses zusammengetan hatten, verwüsteten zwar die estnischen Küstengebiete, waren jedoch bei internen Streitereien Verbündete der Dorpater Bischöfe. Die Vitalienbrüder eroberten Visby und machten die Stadt zu ihrem Stützpunkt, bis die Flotte des Ordens 1398 unter Ulrich von Jungingen die Insel zurückeroberte und die Vitalienbrüder von Gotland vertrieb. Visby wurde verwüstet und verlor seine Position im Ostseehandel. Alle Vitalienbrüder, denen es nicht gelungen war, zu fliehen, wurden auf dieselbe grausame Art und Weise hingerichtet, wie sie ihre Gefangenen selbst hingerichtet hatten. 1409 verkaufte der Orden die Insel wieder an die dänische Königin. Bis zur vernichtenden Niederlage des Ordens gegen die Polen bei Tannenberg sollte es noch ein Jahr dauern.
Reval, das heutige Tallinn, sah 1409 bei weitem nicht so aus, wie man anhand der heutigen Altstadt meinen könnte. Reval wurde erst gebaut. Der Stadtplan lag zwar bereits fest, Straßen und Grundstücke gab es, auch das Rathaus stand schon, doch die Stadtmauer, die Türme und Kirchen waren noch nicht fertig. Die Straßen waren jedoch gepflastert, die Ordensfestung auf dem Domberg war eine der mächtigsten in Nordeuropa und das Revaler Wasserversorgungssystem – ein vom Oberen See aus gegrabener Kanal mit einem Wallgraben und drei Wassermühlen – war eine Meisterleistung der damaligen Ingenieurskunst. Der charakteristische Baustil war mit Hilfe vieler ausländischer Baumeister gerade im Entstehen; Reval war dabei, sich zu einem der wichtigsten Häfen des Ordens zu entwickeln, über den Handel getrieben und über den Livland versorgt wurde. Den Wohlstand von Reval oder Livland konnte man zwar nicht mit den Städten Deutschlands oder der Niederlande vergleichen, dennoch wuchs und gedieh die Stadt.
Reval war von Vorstädten und einem breiten Verwaltungsgebiet umgeben, wo das lübische Stadtrecht galt, das heißt, die Macht der Bürger beziehungsweise Kaufleute. Auf dem Domberg galten die Gesetze des Ordens und das Landrecht. Die Beziehungen zwischen der Stadt und dem Orden waren oft kompliziert, doch kam das eine ohne das andere nicht aus. Der Orden sicherte den Frieden im Land und in seinem wirtschaftlichen Zentrum Reval. Die Ordensmacht auf dem Domberg wurde durch den Komtur vertreten.
In alten Revaler Ratsbüchern ist man auf Hinweise gestoßen, dass im Jahre 1409 auf dem Domberg ein hochrangiger Ordensritter, der von Gotland nach Marienburg, in die Hauptstadt des Deutschen Ordens, unterwegs war, unter geheimnisvollen Umständen ermordet worden war. Dies war nicht der einzige Mord, der die Bürger Revals in jenem Frühjahr schockierte. Der Mörder vom Domberg wurde sowohl vom Orden als auch vom Rat gesucht, aber gefasst wurde er nie. So blieben auch die Gründe seiner Bluttaten unbekannt. Jedoch steht in der Gerichtschronik geschrieben, dass ein Revaler Apotheker namens Melchior eines Tages das Rathaus betreten und verkündet habe, er wisse, wer dieser geheimnisvolle Mörder sei und warum diese Verbrechen begangen worden seien. Der Rat hörte den Apotheker nicht an. Er schickte ihn fort – jedoch nicht mit leeren Händen. Melchior erhielt als Entschädigung zehn Mark. War es Schweigegeld? War die Aussage des Apothekers zu heikel, so dass der Rat es vorzog, die Beziehungen zwischen den Kaufleuten der Stadt, dem Orden und den geistlichen und weltlichen Machtinhabern nicht in Gefahr zu bringen? Dies wissen wir nicht und wir werden es nie erfahren. Auch nicht, was den Ratsschreiber dazu bewog, jene Worte in die Revaler Gerichtschronik einzutragen, die allen Forschern bis heute ein Rätsel geblieben sind: »Der Frieden des Herrn sei mit denen, die unserer Stadt Gutes gewünscht haben. Die vor uns lebten, waren Gott näher. Mögen die Gräber schweigen und bleibe bestehen, was von allen am höchsten ist.« Wir wissen nicht, wen Melchior beschuldigt hat oder was aus ihm geworden ist. Der Apotheker Melchior wird in den Ratsbüchern nie wieder erwähnt.
Prolog
1409, Domberg 15. Mai, später Abend
Henning von Clingenstain, der ehemalige Gebietiger des Deutschen Ordens auf Gotland, war sturzbetrunken.
Eigentlich war er schon fünf Tage lang sturzbetrunken, und wenn der hiesige Komtur ihn nicht großzügig bewirtet hätte – aus der Küche der kleinen Festung des Dombergs wurde von früh bis spät Essen aufgetragen –, so wäre er schon längst umgefallen und eingeschlafen. Doch Reval schien eine reiche und freigiebige Stadt zu sein, ganz anders als Visby. Hier in Reval verstand man zu essen und zu trinken. Hier war es Brauch so zu prassen, wie früher das Volk auf den Stadtfesten von Clingenstains Heimatstadt Warendorf geprasst hatte, soweit er sich daran erinnerte. Und der hiesige Komtur von Spanheim schien der König aller Prasser zu sein. Fünf Tage und Nächte lang hatte sich der Tisch unter Bier, Wein und anderen Köstlichkeiten gebogen. Und es wäre Sünde gewesen, das alles abzulehnen. Wie es eigentlich auch Sünde war, sich volllaufen zu lassen und sich vollzustopfen, aber um diese Sünde hatte sich von Clingenstain schon am Nachmittag gekümmert und hatte vor dem Dominikanerprior die Beichte abgelegt. Und natürlich wurde ihm das Prassen und Saufen vergeben, selbstverständlich.
Jetzt