Wilfried Metsch

Die Kunst des Aufstands


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sondern bremsende Politik der bürgerlichen Revolutionsregierung führten zur Niederlage des Aufstandes. Zwar kämpften die Freischaren erbittert gegen die preußische Militärmacht, doch am 12. Juli 1849 mussten die restlichen revolutionären Truppen – unter ihnen Engels – ins Schweizer Exil ausweichen. Die letzte revolutionäre Festung Rastatt (etwa 6000 Revolutionskämpfer) kapitulierte am 23. Juli. Danach etablierte Preußen bis 1851 eine brutale Besatzungsherrschaft in Baden mit standrechtlichen Erschießungen (mehrere Dutzend), unzähligen Zuchthausstrafen, Verhaftungen und Geldstrafen, sodass es zu einer massiven Auswanderung von Badenern (insbesondere nach Amerika) kam.

      Diese Kampferlebnisse und das brutale Vorgehen des preußischen Militärs (»Kartätschenprinz«) prägten Engels. In den nächsten beiden Jahren verfasste er zwei Arbeiten – »Die deutsche Reichsverfassungskampagne« und »Revolution und Konterrevolution« –, um die Schwächen und Unzulänglichkeiten der Revolution nicht nur in politischer, sondern gerade auch in militärischer Hinsicht aufzuzeigen. Schonungslos kritisiert er die Fehler und Schwächen der badischen Revolutionsarmee. Um diese zukünftig zu vermeiden, beginnt Engels Ende 1850 mit dem systematischen Studium des Militärwesens. So schreibt Marx 1859 an Lassalle:

      »Engels hat, seit er sich an der badischen Kampagne beteiligt, aus den Militaribus sein Fachstudium gemacht.«170

      Zeitlebens wird er umfangreiche und systematische kriegs- und militärwissenschaftliche Studien betreiben, weshalb ihn seine Freunde und Kampfgefährten scherzhaft »General« rufen und er sich selbst ironisch, aber treffend »als Repräsentant des großen Generalstabs der Partei«171 versteht.

      So schreibt er 1851 an Joseph Weydemeyer: »Ich habe (…) angefangen Militaria zu ochsen«, und »wenn man das Ding nicht systematisch betreibt, so kommt man zu nichts Ordentlichem«. So will er »theoretisch einigermaßen mitsprechen«, da die »enorme Wichtigkeit, die die partie militaire bei der nächsten Bewegung bekommen muß«,172 militärisch kompetente Arbeiterführer erfordert. Engels las nicht nur Klassiker der Militärtheorie wie Jomini und Clausewitz, sondern in den nächsten Jahrzehnten mehrere hundert Bücher dieses Genres.173

      Engels’ Anspruch war immer, »damit wenigstens einer vom ›Zivil‹ ihnen [den Offizieren] theoretisch die Stange halten kann«, wie er 1851 in einem Brief an Karl Marx schreibt.174 Noch 1893, zwei Jahre vor seinem Tod, sieht er seine Lebensaufgabe darin, »zu beweisen, daß wir beim Militär auch etwas gelernt haben.«175

      Die neuen Kampfkonditionen im späten 19. Jahrhundert

      Marx und Engels analysieren nach dem Ende des Revolutionszyklus 1848/49 eingehend die Entwicklungen im Kriegswesen. So studieren sie intensiv den Krimkrieg, den amerikanischen Bürgerkrieg, die deutschen Einigungskriege und natürlich den Aufstand der Pariser Kommune 1871.

      Sie kritisieren in militärischer Hinsicht den Aufstand der Pariser Kommune von 1871, weil man nicht nach den Kampfregeln, der Kunst des Aufstandes handelte. Aufgrund der Niederlage der französischen Armee im deutsch-französischen Krieg ergaben sich zunächst hervorragende Bedingungen für einen proletarischen Aufstand:

      »Durch die Belagerung war Paris die Armee losgeworden, die durch eine hauptsächlich aus Pariser Arbeitern bestehende Nationalgarde ersetzt wurde. Nur dank dieser Lage war die Erhebung des 18. März möglich geworden.«176 Und »Paris in Waffen, das war die soziale Revolution in Waffen«.177

      Im April 1871 schreibt Marx an Wilhelm Liebknecht: »Es scheint, daß die Pariser unterliegen (…), weil sie törichterweise den Bürgerkrieg nicht eröffnen wollten (…), um nicht den Schein usurpatorischer Gewalt auf sich haften zu lassen.« Sie »verloren kostbare Momente« und gaben den Gegnern »die Zeit zur Konzentration der Kräfte«.178 Der Verlust der Initiative, also Defensive statt Offensive, provoziert die Niederlage. Es blieb den Kommunarden nur die passive Verteidigung der Stadt mittels eines Barrikadensystems. Schon die Revolution von 1848/49 hatte die Schwachpunkte der defensiven Barrikadenkampfweise offengelegt. Wütend antwortet Engels Carlo Terzaghi im Januar 1872: »Es war der Mangel an Zentralisation und Autorität, der die Pariser Kommune das Leben gekostet hat. Machen Sie mit der Autorität usw. nach dem Siege, was Sie wollen, doch für den Kampf müssen wir alle unsere Kräfte zusammenballen und sie auf denselben Angriffspunkt konzentrieren.«179 Den Phrasen-Revolutionären schreibt er ins Stammbuch: »ich kenne nichts Autoritäreres als eine Revolution, und wenn man seinen Willen den anderen mit Bomben und mit Gewehrkugeln aufzwingt, wie in jeder Revolution, dann scheint mir, daß man Autorität ausübt.«180

      Da sich die Kommune auf die Verteidigung der Stadt beschränkte, gab sie der Reaktion Zeit und Gelegenheit, aus ganz Frankreich Truppen, Gendarmen und Polizeisergeanten zusammenzuziehen. Bismarck übergab sogar »gefangene französische Truppen«,181 um der französischen Bourgeoisie die Rückeroberung von Paris zu ermöglichen. Die Überlegenheit dieser professionellen Streitmacht über die Arbeitermiliz war offenkundig. Eine Woche lang leisteten die Nationalgarde und das Volk von Paris in den Arbeiterdistrikten erbitterten Widerstand auf den Barrikaden.

      Die militärische Niederwerfung der Pariser Kommune durch die überlegenen Kräfte der Gegenrevolution endete in einem schrecklichen Blutbad: Nach Beatrice Heuser wurden über 10 000 Communards während der Kämpfe getötet und weitere 25 000−30 000 später exekutiert.182 Tausende wurden deportiert oder ins Gefängnis geworfen.

      Diese Erfahrung der blutigen Unterdrückung der Pariser Kommune schwebt immer im Hintergrund, wenn Marx und Engels zukünftig warnen vor a) unvorbereiteten und zu frühen Aufstandsversuchen der Arbeiterbewegung, aber auch b) vor opportunistischen/reformistischen Strömungen in der Arbeiterbewegung, die den bestehenden Staat nicht als Klassenstaat, sondern als neutrale Institution ansehen, der bruchlos für die soziale Emanzipation benutzbar sei.

      Vor dem Hintergrund der Pariser Kommune konkretisiert Marx seine Staatstheorie und definiert näher, was er unter dem berühmt-berüchtigten Begriff »Diktatur des Proletariats« versteht. In seiner Schrift »Der Bürgerkrieg in Frankreich«183 fasst er die Erfahrungen aus dem Kampf der Pariser Kommune in politischer Hinsicht zusammen:184

      Die »zentralisierte Staatsmacht, mit ihren allgegenwärtigen Organen – stehende Armee, Bürokratie, Geistlichkeit, Richterstand« ist eine »Maschine der Klassenherrschaft«,185 die »wie eine Boa constrictor«186 die Gesellschaft und die Arbeiterklasse umklammert. Daraus zieht er die zentrale Lehre:

      »Die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschine in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen«,187 sondern man muss »diese abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft (…) zerbrechen«.188 Es gilt, den »Staat, diese zentralisierte und organisierte Regierungsgewalt zu zerbrechen, der sich anmaßt, Herr statt Diener der Gesellschaft zu sein.«189

      Nach Marx und Engels ist die Pariser Kommune für die Arbeiterklasse »die politische Form ihrer sozialen Emanzipation« und damit »die Rücknahme der Staatsgewalt durch die Volksmassen selbst«,190 »eine Rücknahme des eignen gesellschaftlichen Lebens des Volkes durch das Volk und für das Volk«.191

      Die Kommune ist ausgeweitete direkte Demokratie, denn in ihr sind die »öffentlichen Diener (…) gewählt, verantwortlich und absetzbar.«192 Die »Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zugleich.«193 Direktwahl öffentlicher Funktionen (»Beamte«), imperatives Mandat und Rätesystem – das ist nach Marx und Engels die politische Form der Diktatur des Proletariats. In militärischer Hinsicht werden das »stehende Heer und die Regierungspolizei, die Werkzeuge der materiellen Unterdrückung«194 beseitigt und durch die Arbeiter-Nationalgarde (Miliz) ersetzt.

      Trotz der Niederlage war für Marx und Engels »das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune (…) der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft«195 und Leitlinie ihres Staatsverständnisses, das die Scheidelinie zwischen revolutionärer und reformistischer Politik markiert. Die späteren ideologisch-theoretischen Auseinandersetzungen über die richtige Strategie