Brille!«
Mr. Skinner trat näher an den Zimmermann aus Hickleybrow heran und sprach vertraulich, und das eine traurige Auge betrachtete das ferne Dorf, und das andere glänzte hell und boshaft. »Soll jeden Tag gemessen wer'n – jede Henne, sag er. Daß er auch sieht, daß se orrentlich wachsen. Was, o ... eh? Jede Henne – jeden Tag.«
Und Mr. Skinner hob die Hand, um hinter ihr auf kultivierte und ansteckende Art zu lachen, und er buckelte die Schultern stark – und nur seinem einen Auge gelang es nicht, mitzulachen. Dann kam ihm ein Zweifel, ob der Zimmermann die Pointe auch ganz erfaßt habe, und er wiederholte mit durchdringendem Flüstern: » Gemessen!«
»Er 's schlimmer als unser alter Pächter; laß mich hängen, wenn's nich wahr is,« sagte der Zimmermann aus Hickleybrow.
II
Experimentierende Arbeit ist das Langweiligste von der Welt (es seien denn die Berichte darüber in denPhilosophischen Abhandlungen), und es schien Mr. Bensington endlos lange zu dauern, ehe sein erster Traum von ungeheuren Möglichkeiten durch einen Brocken der Verwirklichung ersetzt wurde. Er hatte die Farm im Oktober genommen, und es wurde Mai, ehe die ersten Spuren des Erfolgs begannen. Herakleophorbia I und II und III mußten versucht werden und blieben erfolglos; es gab Ärger über die Ratten der Experimentalfarm, und es gab Ärger mit den Skinners. Die einzige Art, wie man Skinner dazu bringen konnte, daß er etwas tat, was man ihm sagte, war, daß man ihn entließ. Dann rieb er sein unrasiertes Kinn – er war immer ganz wunderbar unrasiert und trug doch niemals einen Bart – mit flacher Hand und sah Mr. Bensington mit einem Auge an und mit dem andern über ihn weg und sagte: »Ooh, natürlich, Härr – wenn's Ihn'n Ernß is ...!«
Aber zuletzt dämmerte der Erfolg auf. Und sein Herold war ein Brief in der langen, schlanken Handschrift Mr. Skinners.
»Die neue Brut is raus,« schrieb Mr. Skinner, »und gefällt mich nich ganz, wie se aussieht. Wächs sehr üppig – ganz anners als das gleiche Volk, eh Ihre letzen Anweisungen kamen. Das letze war, eh die Katz se holte, n' hübsches fesses Kücken, aber diese wachsen wie die Disseln. Hab ich noch nie gesehn. Se picken so feste, immer übern Stiebel, daß ich de genauen Maße, wie befohlen, nich geben kann. Es sin richtige Riesen und fressen auch so. Wir brauchen bald neu Futter, denn so'n Fressen hat man bei Kücken noch nich erlebt. Größer als Bantams. Wenn's so weiter geht, müßten sie was für'n Jahrmarkt wer'n, so üppig sin se. Kriegt'n Schreck letze Nacht, dacht, die Katz wär dran, un als ich aus'n Fenster kuck, hätt ich schwör'n können, ich seh se unterm Draht reinkriechen. Die Kücken war'n wach und pickten hungrig herum, als ich rauskam, aber konnte nichs von die Katz sehn. Da gab ich ihn'n ne Handvoll Korn und machte feß zu. Möchte gern wissen, ob ich so weiter füttern soll wie befohlen. Das Futter, das Sie gemischt haben, is fast alle, un ich misch nich gern selber neues, von wegen den Mallhör mit den Pudding. Mit den besten Wünschen von uns beiden und der Bitte, die geehrte Gunst weiter zu bewahren
ganz ergebens Ihr Alfred Newton Skinner.«
Die Andeutung gegen Schluß bezog sich auf einen Milchpudding, in den ein wenig Herakleophorbia II hineingeraten war, was für die Skinners schmerzliche und fast verhängnisvolle Folgen hatte.
Aber Mr. Bensington, der zwischen den Zeilen las, sah in diesem wuchernden Wachstum sein lange gesuchtes Ziel erreicht. Am Morgen darauf stieg er auf dem Bahnhof Urshot aus, und in der Reisetasche in seiner Hand trug er, versiegelt in drei Zinndosen, einen Vorrat von der Nahrung der Götter, der für alle Kücken in Kent genügt hätte.
Es war ein heller und schöner Morgen spät im Mai, und seine Hühneraugen waren soviel besser, daß er beschloß, zu Fuß durch Hickleybrow auf seine Farm zu gehen. Es waren zusammen drei und eine halbe Meile durch Park und Dorf und dann an den grünen Lichtungen der Gehege von Hickleybrow hin. Die Bäume waren ganz übersät mit den grünen Flecken des Spätfrühlings, die Hecken standen voller Kamillen und Himmelsröschen und das Holz voll blauer Hyazinthen und purpurner Orchideen. Und überall herrschte großer Vogellärm, Gezwitscher von Drosseln, Amseln, Rotkehlchen, Finken und vielen anderen, und in einem warmen Winkel des Parks entrollte sich ein Farrenstrich, und dort huschte und sprang falbes Rotwild.
Diese Dinge brachten Mr. Bensington seine frühe und vergessene Lust am Leben zurück; die Aussichten seiner Entdeckung wurden vor seinem Auge leuchtend und freudig, und ihm war, er müsse wirklich zum glücklichsten Tage in seinem Leben gekommen sein. Und als er in dem sonnenhellen Gehege an der Sandbank unterm Schatten der Fichten die Kücken sah, die das Futter gefressen hatten, das er für sie gemischt hatte, riesenhaft und tölpisch, größer schon als manche Henne, die verheiratet und eingerichtet ist, und immer noch wachsend, immer noch in ihren ersten, weichen, gelben Federn (am Rücken hin ganz schwach mit Braun durchzogen), da wußte er wirklich, daß sein glücklichster Tag gekommen war.
Auf Mr. Skinners Drängen ging er in das Gehege hinein, als er aber ein- oder zweimal durch die Risse in seinen Schuhen gepickt war, lief er wieder hinaus und sah sich die Ungeheuer durch die Drahtnetze an. Er legte die Augen eng ans Netz und folgte ihren Bewegungen, als habe er noch nie im Leben ein Kücken gesehen.
»Wie se sein wer'n, wenn se ausgewachsen sin, kann man sich nich vorstell'n,« sagte Mr. Skinner.
»So groß wie ein Pferd,« sagte Mr. Bensington.
»Beinah,« sagte Mr. Skinner.
»An einem Flügel könnten sich mehrere satt essen!« sagte Mr. Bensington. »Dann kann man sie wie Ochsen in Braten schneiden.«
»Aberst se werd'n nich so weiter wachsen,« sagte Mr. Skinner.
»Nicht?« sagte Mr. Bensington.
»Nein,« sagte Mr. Skinner. »Ich kenn' das. Sie fangen üppig an, aberst das hört mal auf, verlassen Sie sich dadrauf! Ja.«
Es entstand eine Pause.
»Das is de Behannlung,« sagte Mr. Skinner bescheiden.
Mr. Bensington richtete plötzlich die Brille auf ihn.
»Auf den annern Hof haben wir se faß ebensogroß gekrieg,« sagte Mr. Skinner, und er hob das bessere Auge fromm empor und ließ sich ein wenig fortreißen; »ich un meine Frau.«
Mr. Bensington nahm seine gewohnte allgemeine Inspektion der Grundstücke vor, aber er kehrte bald zu dem neuen Gehege zurück. Es war auch, muß man wissen, so viel mehr als er je zu erwarten gewagt hatte. Der Gang der Wissenschaft ist so gewunden und langsam; nach den klaren Versprechungen und ehe die praktische Verwirklichung eintritt, kommen fast immer Jahre und Jahre komplizierter Arbeit, und hier – hier war die Nahrung der Götter nach weniger als einem Jahr des Probierens! Es schien zu viel – zu viel. Jene aufgeschobene Hoffnung, die die tägliche Nahrung der wissenschaftlichen Phantasie ist, sollte nicht mehr sein Teil sein! So schien es ihm wenigstens damals. Er kehrte ein übers andere Mal um und starrte diese seine verblüffenden Kücken an.
»Lassen Sie sehen,« sagte er. »Sie sind zehn Tage alt. Und neben einem gewöhnlichen Kücken sollt ich denken – etwa sechs bis siebenmal so groß ...«
»'s wir' Sseit sein, daß wir mehr verlangen,« sagte Mr. Skinner zu seiner Frau. »Er 's so ßufrieden damit, wie wir die Kücken ins hintere Gehege zu Gange gebracht haben – so ßufrieden is er.«
Er neigte sich vertraulich zu ihr. »Meint, es is das alte Futter,« sagte er hinter seiner Hand und ließ ein Geräusch unterdrückten Lachens in seinem Kehlkopf hören ...
Mr. Bensington war an diesem Tage wirklich ein glücklicher Mann. Er war nicht in der Stimmung, Einzelheiten im Betrieb zu tadeln. Der strahlende Tag hob die immer wachsende Nachlässigkeit des Skinnerpaares lebhafter hervor, als er sie je gesehen hatte. Aber seine Bemerkungen waren allermildester Art. Die Zäunung vieler Gehege war in Unordnung, aber er schien es für ganz befriedigend zu halten, als Mr. Skinner auseinandersetzte, das täte »ein Fuchß oder 'n Hund oder so was«. Er machte darauf aufmerksam, daß der Inkubator nicht gereinigt war.
»Das is er nich, Herr,« sagte Mrs. Skinner mit gekreuzten Armen, indem sie blöde hinter ihrer