Natalie Himmelsbach
S
eligenstadt beginnt für mich gewöhnlich am frühen Abend hinter den Autohäusern und Discountern, bevor ich zur Buchhandlung gehe. Supermarkt sagt übrigens keiner mehr, eine Folge des verlorenen Glaubens, so wenig wie Wondergirl und Supermann, an die glaubt auch keiner.
Kurz vor der evangelischen Kirche kann man umsonst parken. Am Parkdeck gegenüber ist eine vollautomatische Toilette mit der erstaunlichen Kraft zur sanitären Selbsteinsaugung dessen, der sie betritt.
Auf dem Friedhof vorne rechts hängt der goldene Mann von seinem Ausguck und schaut, wo ich nur wieder bleibe. Dahinter hohe Basiliskentürme. Wer zu lang auf Engel schaut, wird zu Stein oder blind.
Jetzt das steile Ufer die Mauer lang. Im Fluss kann man die Augen baden. Wo die Angler stehen, schaukelt im Wasser vor ihnen die angebundene Barke. Bei Tag ruhen sich hier die Enten aus, wenn ihnen vom Paddeln die grellen Füße weh tun. Abends hocken Krähen auf dem Boot herum und lärmen. Sie finden immer etwas schreiend komisch, ehe sie schlafen gehen.
Wenn sie genug haben, kreisen sie um den Turm und picken nach dem Engel auf der Spitze, aber er rückt nicht zur Seite. Sollen sie doch zu ihrem Schlafbaum fliegen: er braucht den Platz für sich und solch laute Gesellschaft schon gar nicht. Die Kirche ist nur ein paar Schritte nahe, gleich hinter dem offenen Tor in der Gartenmauer.
Heute nicht, heut wendet der Weg, entfernt mich. Keine Birne fällt vom Spalier, kein grünes Artischockenherz blüht in der Mitte des Gartens, kein Kaffee wird auf die Terrasse getragen, kein Eis auf die Hand für mich. Stattdessen wetteifern Schaufenster und Speisekarten, mich einzufangen. Niedrigpreise für Textilien, höhere für Kunsthandwerk. Sitzbuddhas verfetten für 12,99 €, dazu winzige Zenrechen und Kiesharken. Keine glückliche Katze wedelt mit der Pfote, nur der Pennerhund am Markt wittert mit sehr langer Schnauze die Streunerin. Die Bäckerei schließt. Der stille große Flötenmann verstaut das Instrument im Rucksack und trägt seine Haut vom Markte. Der Mann geht schnell. Ich folge ihm, ich möchte pünktlich sein.
Wir biegen in die Bahnhofstraße ein.
In zwei Minuten bin ich da.
Verbindungen
Reinhard Franz
Lange Zeit eine Bahnstation
an einer Strecke, die ich selten befuhr,
ein Nachrichtenpunkt in der Verkehrsdurchsage,
die mich niemals betraf,
ein Name auf einem Richtungsschild
in eine Richtung, in die ich nicht kam.
Gebunden in die schöne Scheinwelt des Berufs,
Leben in innersten Kreisen
in geschriebenen Worten,
nur für mich.
Richtungswechsel,
das Schild wird bedeutsam,
Scheinwelten in Scherben,
funktionieren nicht mehr.
Geschriebenes wird gelesen,
vorgelesen,
ich gebe kund mit meinen Worten,
die Bahnstation wird zum Ziel,
Unbekanntes bekommt Bestand,
wird Thema eines Tages.
Aus der äußeren Hülle der Stadt
geht es zum Leben darin,
zur Geschichte, zu Vierteln, zu Teilen,
die nur der Innerste kennt
verbindend
gemeinsame Kreise.
Selig sei die Stadt genannt
Ingrid Walter
Mit dem roten Flitzer
in die nahe Märchenstadt,
wo die Glocken läuten
und man Pfannekuchen backt
»Selig sei die Stadt genannt«
so sprach mein Opapa,
sonntags, als ich klein war.
In den roten Flitzer
passt mit Ach und Krach
ein güldner Spiegel
ins Gepäckfach
vorne die zwei Lausemädchen
schwarz und blond
aus der Offenbacher Bronx.
Am Steinheimer Tor
wird scharf gebremst und schief geparkt
der Spiegel rausgezerrt
Tor aufgesperrt,
die Treppe hoch
und zack, die Türe auf
zu einem lichten Storchennest.
Wir trinken Wein
und lachen auf dem neuen Bett
sie hat’ s geschafft
»Selig sei die Stadt genannt«
ein neues Leben wartet,
in den alten Gassen
Na klar, der andre wird sie hassen.
Aus dem Haus gerannt
in kleinen Läden stöbern
die Welt ist in Orange getaucht.
Ein blaugrün’ Band für ihren Schopf
Ein himbeernes für meinen
Wir lachen und die Welt steht Kopf
»Selig sei die Stadt genannt«.
Geleit und Löffeltrunk
Dieter Petrosch
Ihr lieben Leut’, ist wieder Zeit,
Wir sind bis Frankfurt das Geleit.
Könnt, Kaufleut’, Euch zwar selber wehr’ n,
Doch davon leben Landesherrn.
Versicherungszwang, Schutz für Geld,
Obrigkeit gut am Leben hält.
Mancher klagt, es ist mafios,
Wir rühmen, es ist »famios«.
Zeit dauert so lang, Weg gar weit,
Gibt Weintrinkern Gelegenheit.
Der Neulinge Löffeltrunk-Brauch
– Liter auf Ex –, könnt Ihr doch auch.
Ein Meistertrunk ist das noch nicht,
Aus Rothenburg stammt der Bericht.
Nusch schafft drei Liter, plus, wetten?
Galt, Stadt heil vor Tilly retten.
Nach Frankfurt ist’s immer noch weit,
Aber im Suff, was heißt da Zeit?
Wann ging Mann los, wann kommt Frau an?
Egal, Hauptsache Spaß daran.
Ihr seid nicht spät, sorgt Euch nicht viel,
Wisst Ihr nicht, der Weg ist das Ziel?
Unterwegs schon da! Lasst Euch Zeit,
Wem nützt schon Überpünktlichkeit.
Geleit der Planken
Bernhard Bauser
Im Frühdunst
aus der sorglosen Mainprovinz
ohne