Franz Hessel

Schöne Berlinerinnen


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      blue notes

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      Der berühmte Flaneur Franz Hessel hat die Berli­ne­rinnen beobachtet und ein kleines Sittengemälde entworfen. Seine Ber­li­ne­rinnen zeigen Anmut und Gelassenheit. Sie wissen Bescheid in Liebe, Mode und vielerlei Dingen. Sie sind lebenspraktisch und -tüchtig, aber zu Gefühlen durchaus fähig, ohne sentimental zu sein.

      Wenn wir die kleinen Prosastücke dieses inzwischen heimlichen Klassikers lesen, so stoßen wir darin auf Passagen, »die fast von einer Frau ge­schrieben sein könnten« (Kurt Tucholsky). So zum Beispiel sein hinreißendes Porträt über Mar­lene Dietrich, die Hessel in ihrem Alltag zeigt: »kess, selbstbewusst, menschlich, witzig und in jeder Weise glänzend« (Manfred Flügge). Dieser Sammelband ist die ideale Lektüre für alle Berlin-Flaneure und Besucher.

      Franz Hessel (* 1880 Stettin, † 1941, Sanary-sur-Mer), deutscher Schriftsteller und Übersetzer, wurde wegen seiner jüdischen Abstammung von den Nationalsozialisten verfolgt. Die Dreiecksbeziehung zwischen ihm, seiner Ehe­frau Helen und dem Schriftsteller Henri-Pierre Roché wurde durch den Kultfilm Jules et Jim berühmt.

      Der Herausgeber Manfred Flügge verfasste neben Biografien über Heinrich Mann, Martha Feuchtwanger und andere Emigranten die »wahre Geschichte« zu Jules et Jim.

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      … die nötige Mischung von

      Zuverlässigkeit und Leichtsinn,

      von Verschwommenheit und Umriss,

      von Güte und Kühle …

      Franz Hessel über die Berlinerin

      An die Berlinerin

      Schöne Berlinerin, du hast bekanntlich alle Vorzüge. Du bist tags berufstätig und abends tanzbereit. Du hast einen sportgestählten Körper, und deine herrliche Haut kann die Schminke nur noch erleuchten. In den sogenannten geistigen Dingen hast du – wie sagt man doch jetzt auf Neudeutsch? – »letzten Endes« immer die richtige »Einstellung«. Mit der Geschwindigkeit, in der deine Stadt aus klobiger Kleinstadt sich ins Weltstädtische mausert, hast du Fleißige schöne Beine und die nötige Mischung von Zuverlässigkeit und Leichtsinn, von Verschwommenheit und Umriss, von Güte und Kühle erworben.

      Manchmal kommst du mir geradezu vor wie jene schöne Polin der alten Operette, die »von allen Reizen die exquisitesten vereint«. Alle Fremden und Welterfahrenen sind sich darüber einig, dass es nirgends so viel schöne Mädchen auf der Straße und liebenswürdige Frauen in der Gesellschaft gebe wie in Berlin. Du hast dir so viel Mühe gegeben. Bist berühmt. Nur lerne noch, anmutig auf deinen Lorbeern auszuruhen.

      »Scharre« nicht. Du weißt doch, was das heißt? Wenn eine, kaum zu Besuch gekommen, schon nach der Uhr am Handgelenk späht und locker sitzt, weil sie heut noch so furchtbar viel vorhat. Lerne Gegenwart, sei nicht immer unterwegs. Es sieht ja reizend aus, wenn du beschwingten Schrittes an den noch Langsamen vorübergleitest und sicher durch die Menge zum Schaufenster steuerst, genau an die Stelle, an der du etwas Bestimmtes zu konstatieren hast. Aber mir geht der Atem aus, wenn ich deinen Knöcheln nachsehe, meine unwandelbare Verehrung für dich bekommt etwas Asthmatisches. Verweile doch … Nicht so faustisch, Fräulein!

      Bitte flaniere. Das ist ein Fremdwort und wird ein fremder Begriff bleiben, bis du dich so bewegst, dass ein neues Wort von deinem schönen Gange redet. Lustwandeln ist zu langsam und kleinstädtisch. Berlinerin, schaff’ ein neues Wort. Mach einen Korso aus deinem westlichen Boulevard Tautzienstraße – Kurfürstendamm. Noch ist er Stockung und Häufung, noch ist er voreilig. Schöne Berlinerin, sei gelassen!

      Schöne Berlinerin, sei doch nicht so ehrgeizig! Wenn du mir auf dem Ball begegnest, erzähl’ nicht gleich, welche Berühmtheiten du alle schon gesprochen hast. Begrüß’ mich nicht gleich: »Haben Sie den C. V. gesehen? Sieht er nicht wieder himmlisch aus? Er sagte mir eben, dass die D. nicht daran denkt …« Lass doch die armen Prominenten. Es bekommt ihnen gar nicht, dass du sie so viel ansiehst. Sie stehen wie im Käfig und laufen Spießruten.

      Im Januar warst du in St. Moritz und hast lauter großes Europa kennengelernt oder wiedergesehen, die Comtesse d’O. und den Baron M. de R., mit Lady D. hast du geluncht, mit Lord C. getanzt, mit dem neuesten französischen Dichter hast du Eishockey gespielt. Beinah wärst du dem Herzog von A. vorgestellt worden. Davon musst du nicht erzählen! Ich empfehle dir den Snobismus derer, die in der großen Welt so selbstverständlich zu Hause sind, dass sie es gar nicht mehr der Mühe für wert halten, darüber zu berichten.

      Im Frühjahr wirst du nach Paris gehn. Mach’s da bloß nicht zu richtig. Finde nicht gleich alles zauberhaft, was anders ist als zu Hause. Die Stadt Paris wird dir viel mehr entgegenkommen, wenn du dich ein bisschen sträubst. Ängstige dich nicht vor den Leuten, die, wenn du zurückkommst und deine Erlebnisse berichtest, sagen: »Jockey? Da geht doch kein Mensch mehr hin. Waren Sie denn nicht im Jungle? Bal musette? Fremdenfalle. Negerball? Längst überholt. Ausstellung im Teesalon der Großfürstin … poff? War schon voriges Jahr schwach!«

      Ich an deiner Stelle würde den Leuten sagen: »Ich habe alle Vormittage dazu benutzt, den Louvre und das Guimet und das Musée Cluny mit Ruhe zu durchwandern, und wurde davon so müde, dass ich jeden Abend um elf Uhr todmüde ins Bett fiel.«

      Junge Berlinerin, sei nachsichtig mit deinen unmündigen Eltern! Ärgere dich nicht, weil sie es so schrecklich gut mit dir meinen. Suche ihnen altväterische Reize abzugewinnen. Sei froh, wenn sie nicht »mit der Jugend mitgehn« wollen. Das wäre viel peinlicher als ihr rührender Widerstand, der dir doch ein ganz hübsches Relief gibt. Kläre die braven Leute nicht unnötig auf, teile ihnen nicht mehr mit, als sie fassen können.

      Und was die Liebe betrifft … Ich habe schon gelernt: die heimliche, von der niemand nichts weiß, ist abgekommen. Und du erzählst, die Hände am Steuer, bei hundert Kilometer Geschwindigkeit auf der Avus ganz gern beiläufig von deinem letzten Liebesweh wie von Zahnschmerzen. »Au!« sagst du, »gestern hab’ ich mich grässlich verknallt, noch dazu in einen, der gar nicht mein Typ ist.« Sei doch lieber manchmal bitte ein bisschen sentimental, schon der Landschaft und uns alten Zuschauern deiner Jugend zuliebe. Nimm dich nicht gar zu sehr zusammen. Lass dich ein wenig gehn. Weine nicht all deine Tränen in das einsame Kopfkissen. Gönne uns ein Teil, lass uns zusehn, wie du weinst, und erzähle nichts. Es ist lehrreich, ein gutes Mädchen weinen zu sehn.

      Quäl’ dich nicht so viel. Es tut dir nicht gut. Vertrau’ auf alles, was dir auffällt und einfällt. Bist ja ein kluges Kind. Aus Schamhaftigkeit redest du manchmal frivoler, als dir zu Mute ist. Brauchst du nicht. Sei nicht so ehrgeizig, sei gelassen, Gib dich lieber einen Grad tugendhafter, als du es bist. Dann wirst du unwiderstehlich sein.

      Du runzelst die Stirn? Lernst du schon wieder so schnell? Dann bitte vergiss alles, was ich da gesagt habe. Und sei, wie du bist!

      Leichtes Berliner Frühlingsfieber

      Von einer, die ich liebe, möchte ich gern erzählen, aber ich weiß nicht, wie ich anfangen soll; und dann werdet ihr Jungen von heute alles, was ich vorbringe, recht harmlos finden. Dabei hab ich so viel Harm wie als Knabe in der Zeit, als Erleben Ahnen war. Ist es jetzt schon Erinnern? Und lieb ich auch das an ihr, dass ihre schnellen Füße über Straßenstein und Brückensteg und Tiergartensand meiner Berliner Knabenzeit gehn? Denn so wie ihr glaubt, hab ich nichts von ihr. Schleppend und immer von ihrer Eile mitgerissen geht, wovon ich nicht weiß, ob es Ahnen oder Erinnern ist, um ihre vorstoßenden Jägerinnenknie wie ein langer Rock aus vergangener Zeit. Das junge Geschöpf, ich sehe es oft, immer nur ganz kurz und meistens auf der Straße. Wohl ist sie manchmal auch bei mir, und ich bin manchmal bei ihr im Zimmer. Aber wenn sie dann liegt und ihr spitzer Ellbogen steigt aus dem abgleitenden Ärmel, das ist nicht gut für mich. Es ist besser, sie gibt mir im Freien ein Stelldichein. Sie hat für uns erfunden, dass ich ihr immer entgegengehe oder irgendwo auf sie warte, auch wenn wir nachher in geschlossenen Räumen beieinander sein sollen. Da ist dieser Sonntagvormittag auf der Potsdamer Brücke, wohlgemerkt auf der kleinen, dem stilleren der beiden Brückenbögen, über den nicht die Bahnen, nur Wagen gehn. Ich stand vor dem Zeitungskiosk, ich ging ein Stück am Brückengeländer auf und ab, nie ganz bis ans Ende, kehrte immer schnell wieder um. Ich wusste