Für ihn wäre es ohnehin besser, wenn er nicht mehr aus dem Koma aufwachen würde, und für Herta Haemlin stellten auch die Ärzte, die sie jetzt behandelten, düstere Prognosen.
Von alldem wußte Jana zum Glück nichts, es hätte wohl doch ihre Stimmung getrübt und wieder zu der Überlegung geführt, wie Rolf wohl mit solchen Entwicklungen fertig geworden wäre.
Sie machte mit Simone einen Ausflug nach Kochel, aßen dort in einem Gasthof zu Mittag und wanderten am Kochel-See entlang. Es war kühl, aber die Sonne schien und die Luft war klar und würzig.
»Jetzt hast du wenigstens ein bißchen Farbe bekommen«, sagte Simone zufrieden. »Das Leben geht weiter, Jana, laß dich nicht unterkriegen.«
»Jetzt ist mir schon viel wohler. Du hast mir gefehlt, Mone.«
»Du hättest dich ja mal aufraffen können zu einem Anruf. Wenn ich es versucht habe, lief immer nur der Anrufbeantworter und mit dem spreche ich nicht gern.«
»Ich wollte niemand auf die Nerven fallen. Es war alles so trostlos. Ich hatte viele Laufereien und dauernd diesen Ärger mit seinen Eltern. Ich wollte dir auch nichts vorjammern, aber es gab nur Ärger und Kummer in diesen Wochen.«
»Ich weiß ja, wie dir zumute war, aber jetzt denkst du auch mal an dich und eine bessere Zeit. Du kannst noch das Beste aus deinem Leben machen, und vielleicht hilft dir wirklich ein Kind aus dem Tal der Tränen, Jana. Kinder sind ehrlich. Wenn sie jemand Zuneigung schenken, ist es echt.«
Jana nickte gedankenverloren, und unwillkürlich dachte sie wieder an den kleinen Jungen auf dem Friedhof, nicht ahnend, daß es dieses Kind war, für das Dr. Norden sie erwärmen wollte. Erst recht konnte sie nicht ahnen, daß der kleine Bobby auch an sie dachte. Er saß zu dieser Zeit neben seiner Granny auf dem Sofa und lauschte den Geschichten, die sie ihm vorlas. Er konnte nicht genug davon hören.
»Jetzt muß ich aber erstmal eine Pause machen, Bobby«, sagte Agnete Liborius seufzend, »ich bin schon ganz heiser.«
Ein paar Sekunden schwieg Bobby rücksichtsvoll, denn er wollte sie jetzt nicht gleich mit all den Fragen quälen, die ihm schon eine ganze Zeit durch den Kopf gingen. Aber lange hielt er es nicht aus.
»Denkst du nicht auch, daß der liebe Gott Mami wieder zu uns schickt, weil er weiß, daß ich ein kleiner Junge bin und sie so sehr vermisse?«
»Das ist nicht möglich, Bobby, wirklich nicht.«
»Aber ich glaube doch, daß das meine Mami war, sie hat mich genauso lieb angeguckt. Du würdest es auch glauben, wenn du sie gesehen hättest.«
»Es war nur eine Ähnlichkeit.«
»Können Kinder auch sterben, Granny?«
Agnete erschrak.
»Leider ja, aber schau, jetzt ist deine Mami dein Schutzengel und paßt auf, daß dir nichts passiert.«
»Aber es kann sein, daß die Frau ein Kind verloren hat und es auf dem Friedhof besucht hat.«
»Ja, das kann möglich sein.«
»Dann hat sie vielleicht kein Kind mehr und will gern meine Mami sein.«
Was nur alles in seinem Köpfchen vor sich geht, dachte Agnete, aber sie war weit entfernt davon, dem Jungen solche Gedanken auszureden.
Sie streichelte sein Haar. »Vielleicht kommt eine liebe junge Dame zu uns, die dir die Mami ersetzt, mein Liebling«, sagte sie sanft, »die mit dir spielt und sehr viel mit dir unternimmt, was ich nicht mehr so kann.«
»Ich will das gar nicht, Granny, ich habe dich sehr lieb. Aber ich habe wirklich gedacht, daß ich Mami gesehen habe.«
Agnete seufzte wieder schwer. Irgendeine, sie könnte auch noch so nett sein, wollte er gar nicht um sich haben. Bisher hatte er auch noch nie solche Gedanken oder Wünsche geäußert, es war diese eine, ganz bestimmte junge Frau, von der sogar David gesagt hatte, daß sie Ähnlichkeit mit Julie hatte.
»Können wir nicht auf den Friedhof gehen, Granny, vielleicht treffen wir sie wieder?« fragte er drängend.
»Klara wird bald hier sein und sie bringt dir bestimmt etwas mit, Bobby«, versuchte Agnete den Jungen abzulenken, »und außerdem kommt Papi mit Onkel Jürgen vom Tennisplatz her zum Kaffee. Dann kannst du noch mit ihnen Minigolf spielen.«
»Ich würde aber lieber zum Friedhof gehen«, beharrte er.
Zum Glück stieg Klara aus einem Taxi, und sie brachte einen Haufen Gepäck mit, anscheinend hatte sie einiges geerbt. Aber sie war heiter und guter Dinge, man merkte nicht, daß sie von einer Beerdigung kam. Klara hatte ihre eigene Philosophie, die da lautete, daß der Mensch geboren würde, und auch wieder sterben müsse und sonst das Beste aus seinem Leben machen solle. Klara konnte sich am Guten erfreuen und das Böse einfach nicht beachten.
»Es war schon ein rechtes Theater«, meinte sie, »wie doch die Leute heucheln können! Dann raufen sie sich um alles und platzen vor Neid, wenn andere gut dabei weggekommen sind. Ich bin froh, daß ich wieder zu Hause bin.«
Ja, hier war ihr Zuhause, und Bobby interessierte es nun doch, ob sie ihm etwas mitgebracht hätte.
»Dann werden wir mal auspacken, und du kannst dir aussuchen, was dir gefällt. Aber ich habe schon was besonders Schönes für dich ausgesucht. Jetzt bringen wir die Koffer in meine Wohnung, du kommst doch gleich mit? – Oder soll ich erst was für Sie herrichten, Madame?«
Seit sie vor vielen Jahren mal mit in Frankreich gewesen war, sagte sie zu Agnete Madame, weil sie das schön und passend fand und es nicht so lang war wie ›Frau Liborius‹, denn ›gnädige Frau‹ wollte Agnete nicht genannt werden.
»Packt ihr nur aus«, bekam sie zur Antwort, »den Kaffee kann ich selbst zubereiten.«
Sie war tatsächlich froh, nicht mehr Bobbys Fragen standhalten zu müssen. Sie ahnte aber schon, daß er auch Klara damit unterhalten würde.
Zuerst sagte er allerdings nichts, denn was sie da auspackten, ließ ihn staunen. Silbersachen und Bestecke, zwei schöne Bilder in wertvollen Rahmen, Bettwäsche aus feinstem Damast und dann wertvollen alten Schmuck.
»Die Tante war wohl reich«, fragte Bobby.
»Weißt du, in den alten Bauernfamilien legte man großen Wert auf solche Sachen. Schau mal, was ich für dich habe.«
Sie zeigte ihm eine goldene Kette mit einem wunderschönen Amulett, auf dem ein B eingraviert war.
»Das paßt doch zu dir, da du Bobby heißt«, meinte Klara.
»Eigentlich heiße ich Roberto«, erklärte er.
»Für mich bist du Bobby, und die Kette schenke ich dir.«
»Ich habe aber schon eine von Mami, die ich immer trage.«
»Dann hebst du dir diese für deine spätere Frau auf. Du kannst dir aber noch was aussuchen.«
»Ich muß dir etwas erzählen, Klara, und dann gehst du mit mir zum Friedhof.«
»Eigentlich möchte ich nicht sobald wieder auf einen Friedhof gehen, das ist so traurig. Und jetzt bin ich zu müde.«
»Ich würde aber gern die Dame wiedersehen, die so aussieht wie Mami. Wir haben sie auf dem Friedhof gesehen.«
»Was du dir einredest, Bobby!«
»Ich habe bestimmt gedacht, daß Mami kommt«, behauptete er, »ich will sie wiedersehen.«
»Ich glaube, dein Papi und Onkel Jürgen sind gekommen«, sagte Klara, »geh jetzt zu ihnen, und nimm die Kette mit.«
Bobby schwenkte die Kette hin und her. »Schaut mal, was ich von Klara bekommen habe, die Kette kann ich mal meiner Frau schenken, hat sie gesagt, weil ich doch schon eine von Mami habe.«
»Das hat aber noch Zeit, bis du mal eine Frau hast«, scherzte Jürgen Stern, der meistens gute Laune verbreitete. »Das ist aber eine sehr wertvolle Kette, woher hat Klara