waren doch erst gestern auf dem Friedhof«, sagte David.
»Aber vielleicht ist die liebe Dame jeden Tag dort.«
Agnete seufzte hörbar, und Jürgen sah David fragend an. Der zuckte aber nur die Schultern.
»Jetzt trinken wir Kaffee«, sagte er.
»Und dann spielen wir Minigolf«, sagte Jürgen.
»Lieber Kegeln«, meinte Bobby. »Wer hat beim Tennis gewonnen?«
»Na, wer schon, Jürgen natürlich. Er spielt ja öfter.«
»Hat Klara viel geerbt?« fragte David leise und leicht besorgt.
»Das weiß ich nicht, aber sie ist froh, wieder zu Hause zu sein, also brauchst du nicht zu fürchten, daß sie uns verläßt.«
»Das käme mir auch sehr ungelegen, weil ich nächste Woche ein paar Tage nach Frankreich muß. Es hat sich plötzlich ergeben.«
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, aber er sagte nur, daß sie später darüber reden würden.
Jürgen beschäftigte sich mit Bobby. Er konnte das sehr gut und war auch sehr einfallsreich.
Er versteht es besser als David, dachte Agnete. Es tat ihr immer weh, daß ihr Sohn so ernst war. Es war nicht so, daß sie etwas gegen Julie gehabt hätte, aber ihr hatte auch der natürliche Frohsinn gefehlt, der ansteckend wirkte. Sie war immer mehr verträumt gewesen, manchmal auch melancholisch, aber der Grund dafür war die Krankheit, die sie schon in sich hatte.
Sie hing mit abgöttischer Liebe an David und dann auch an Bobby. Damit hatte sie auch Agnetes Herz gewonnen, obgleich ihr eine vitale, heitere Frau lieber gewesen wäre.
Wenn doch David auch so lebensfroh wäre wie Jürgen, dachte sie jetzt, als der mit Bobby durch den Garten tobte.
»Er wäre ein guter Vater«, sagte Agnete sinnend.
»Wohl ein besserer als ich«, meinte David ironisch.
»Das wollte ich damit nicht sagen, aber Bobby tut es nicht gut, ständig an Julie erinnert zu werden. Er dichtet sich etwas zurecht, daher kommt es dann auch, daß er sie wieder lebendig sieht.«
»Ich rede es ihm nicht ein, und so groß war die Ähnlichkeit dieser Frau mit Julie wirklich nicht.«
»Er hat heute nachmittag dauernd von ihr gesprochen. Er muß sich instinktiv zu ihr hingezogen gefühlt haben.«
»Soll ich sie etwa suchen lassen, damit sein Wunsch erfüllt wird?« fragte David aggressiv.
Agnete war richtig erschrocken.
»Du hast gesagt, daß Dr. Norden dir jemand offeriert hat. Schau dir die Dame doch mal an, und vielleicht fühlt sich Bobby zu ihr auch hingezogen. Ich habe nichts dagegen. Ich denke nicht daran, ihn zu bewegen, Julie wie eine Heilige anzubeten.«
So hatte er noch nie geredet, und sie wurde sehr nachdenklich. »Warum mußt du nach Frankreich?« fragte sie ablenkend.
»Julies Eltern trennen sich, und er will sich auch von der Firma trennen. Da wir gute Geschäfte gemacht haben, will ich klären, ob wir sie übernehmen können.«
»Warum nicht, wenn es ein seriöses Geschäft ist? Warum wollen sie sich nach dieser langen Ehe trennen?«
»Gestimmt hat es da schon lange nicht mehr. Ich weiß nichts Genaues, und es interessiert mich auch nicht. Sie haben wohl beide andere Beziehungen geknüpft. Marcel kann ich das nicht verdenken. Es geht uns nichts an, Mama.«
»Du sagst es«, erwiderte sie mit einem ironischen Lächeln.
Jürgen und Bobby kamen lachend und erhitzt ins Haus zurück.
»Na, du Langweiler, warum drückst du dich immer?« scherzte Jürgen.
»Du hast mich beim Tennis genug herumgehetzt«, konterte David. »Jürgen wird mich nach Frankreich begleiten, Mama, ich brauche einen juristischen Beistand.«
»Das ist sehr beruhigend«, erwiderte sie. »Wann fliegt ihr?«
»Morgen mittag, ich will es nicht auf die lange Bank schieben.«
Warum hat er es nicht schon erwähnt, dachte Agnete, er kann es doch nicht erst seit heute wissen. Aber wahrscheinlich hatte er erst mit Jürgen sprechen wollen. Sie war froh, daß er diesen Freund hatte.
*
Eine neue Woche nahm ihren Anfang. David war früh auf den Beinen. Klara beeilte sich, ihm das Frühstück zu bereiten. Eigentlich war er sonst eine Stunde später dran.
»Es wäre auch ohne Frühstück gegangen, Klärchen«, sagte er freundlich. »Ich muß noch mal in die Firma, und heute mittag fliege ich nach Frankreich.«
»Das habe ich mitgekriegt, aber nicht, daß Sie so früh aufstehen. Der Kaffee ist schon fertig. Nüchtern gehen Sie nicht aus dem Haus.«
»Was würden wir ohne Sie machen? Ich bin sehr froh, daß Sie uns erhalten bleiben.«
Sie lachte. »So reich war das Erbe auch nicht, daß ich mich zur Ruhe setzen könnte, und das würde mir auch gar nicht behagen. Sie würden mir ja auch fehlen, sie alle.«
Er tätschelte ihr den Rücken, und das war für seine Verhältnisse sehr herzlich gemeint.
Er tat ihr den Gefallen und aß ein Brot, aber zu mehr nahm er sich nicht die Zeit, nachdem er zwei Tassen Kaffee getrunken hatte.
»Falls Mama ein Kindermädchen einstellt, geben Sie bitte Ihren Kommentar dazu, Klärchen. Sie müssen auch mit ihr auskommen. Es kann nicht nur nach Bobbys Meinung gehen.«
»Ich verlasse mich da ganz auf Madame«, sagte Klara. »Sie hat das richtige Gespür. Aber es wäre gut für Bobby, wenn er nicht bloß auf uns fixiert ist, wenn er schon nicht in den Kindergarten gehen darf.«
»Sie wissen, warum ich das nicht will.«
Ja, sie wußte es. Er hatte Angst, man könnte Bobby entführen. Diese Angst hatte ihm schon Julie eingeredet, und ganz von der Hand zu weisen war es ja nicht, da bei den Liborius’ Geld zu holen war. Außerdem waren in letzter Zeit ein paar kleine Buben verschwunden.
David war längst aus dem Haus, als Bobby erschien. »Granny schläft noch«, sagte er.
»Sie muß auch nicht so früh aufstehen. Kommst du zu mir in die Küche?«
»Klar, bekomme ich Hörnchen?«
»Frisch gebacken, ich weiß doch, was du magst.«
»Du bleibst immer bei uns. Ist das versprochen, Klärchen?«
»Das ist versprochen.«
»Du bist nämlich unser Juwel, sagt Granny.«
Klara fuhr sich schnell über die Augen. »Und du bist unser ganz großer kleiner Schatz.«
»Ich bin mächtig gewachsen, meine Schuhe sind schon wieder zu klein.«
»Das mußt du der Granny sagen.«
»Es strengt sie aber zu sehr an, wenn sie mit mir in die Stadt fahren muß. Sie muß sich schonen, hat Dr. Norden auch gesagt. Was machen andere Kinder, die keine Mami mehr haben und vielleicht auch keine Granny?«
»Die sind wirklich arm dran. Wenn es nicht anders geht, muß ich halt mit dir zum Schuhekaufen fahren, wenn ich auch nicht gern in die Stadt gehe.«
»Wenn wir mal die Dame vom Friedhof treffen, frage ich sie, ob sie mit mir Schuhe kaufen geht«, erklärte Bobby, bevor er in sein Nußhörnchen biß.
Klara kam eine Idee, um ihn von jener Dame wegzubringen.
»Und wenn die Dame nun sagen würde, daß es nicht gesund ist, morgens schon Nußhörnchen zu essen, was tust du dann?«
»Dann esse ich was anderes«, erwiderte er, ohne zu überlegen. »Sie gefällt dir bestimmt, Klärchen.«
*