Stephen England

TAG DER ABRECHNUNG (Shadow Warriors 2)


Скачать книгу

in unserem Safehouse. Keine große Sache, aber wenn McNab im Dienst ist …«

      »Ist er?«, erkundigte sich Richards bei der Erwähnung des Air-Force-Piloten im Ruhestand, der als Hausmeister des Safehouses fungierte, mit ungewöhnlicher Schärfe in der Stimme.

      Thomas nickte. »Ist er. Ich habe mich bei seinem Arbeitgeber erkundigt – er ist seit heute Morgen im Dienst. Kurz nach Mittag sank der Verbrauch wieder auf das übliche Level ab.«

      Damit blieb nur eine Erklärung und beide Männer wussten das.

      »Er ist gekommen und wieder gegangen«, flüsterte Tex und starrte auf den Bildschirm. »Was hast du nur vor, Harry?«

       17:02 Uhr Ortszeit

       New Market, Virginia

      Es gab keinerlei Anzeichen, dass sie verfolgt wurden. An einem guten Tag dauerte die Fahrt von Graves Mill bis in die Vorkriegsstadt New Market etwa anderthalb Stunden.

      Aber das war kein guter Tag, und der Umstand, dass er eine als SDR bezeichnete nicht überwachte Route nehmen musste, bedeutete, dass Harry die meisten der direkten Straßen meiden musste.

      »Darf ich fragen, wohin wir fahren?«, erkundigte sich Carol auf dem Beifahrersitz neben ihm nach einem Räuspern. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, eine erfrischende Abwechslung im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen, die er kannte. Und wahrscheinlich war es an der Zeit, sie einzuweihen.

      Harry nahm seine Augen lange genug von der Straße vor ihm, um ihr einen kurzen Blick zuzuwerfen. »Sagt Ihnen der Name Samuel Han etwas?«

      Ein langer Moment des Schweigens folgte, dann antwortete sie: »Er war einer Ihrer Männer, nicht wahr?«

      Allein, dass sie seinen Namen kannte, überraschte Harry. Er hätte nicht erwartet, dass sie …

      »Ja, das war er«, antwortete Harry und starrte durch die Windschutzscheibe auf die Wälder der Appalachen hinaus, unbelaubt und mit einer Schicht frischen Schnees bedeckt. Weiße Flecken fielen um den dahinrasenden Excursion vom Himmel, während langsam die Dunkelheit hereinbrach.

      Was sollte er ihr sagen? Wie sollte man das gesamte Leben eines Mannes in ein oder zwei Sätzen zusammenfassen können?

      Harry konnte schon immer gut mit Worten umgehen. Er war gut darin, andere zu überzeugen, zu manipulieren.

      Zu täuschen … doch jetzt, als zusammen mit den Erinnerungen eine Flut aus Emotionen über ihn hereinbrach, fehlten ihm die Worte.

      Han war einer der besten Agenten der Agency gewesen, den er je erlebt hatte. Der Sohn eines vietnamesischen Söldners, der an der Seite der Vereinigten Staaten in Vietnam kämpfte – Samuel, oder Sammy, wie ihn die Männer des Alpha Teams genannt hatten – war direkt aus Little Creek, der Heimat des SEAL Teams Two, zur CIA Special Activities Division gestoßen.

      Sammy, ein großer Mann und damit das genaue Gegenteil des stereotypischen Asiaten, war ein sanfter Riese gewesen, und wahrscheinlich der netteste Kerl, dem Harry während seiner fünfzehn Jahre im Geheimdienst über den Weg gelaufen war.

      Tödlich auf dem Schlachtfeld, zuhause ein liebender Ehemann und Vater von zwei kleinen Jungen. Zumindest bis zu dem Tag, an dem alles zusammenbrechen sollte.

      »Ja«, wiederholte Harry eher zu sich selbst. »Sammy war ein Freund.«

       17:12 Uhr

       CIA-Hauptquartier

       Langley, Virginia

      An jedem anderen Tag hätte sich Michael Shapiro Punkt siebzehn Uhr bereits auf den Heimweg begeben. Ganz besonders in diesem Monat, wo die Weihnachtseinkäufe anstanden.

      Seine Zwillinge hatten an diesem Morgen ihre Wunschzettel im Cornflakes-Glas deponiert, der vergebliche Versuch, harmonisch in einen Tag zu starten, an dem sehr schnell alles danebenging.

      Nichts an diesem Tag war nach Plan verlaufen. Aber so, wie sich die Dinge entwickelt hatten, hatte der Morgen nur den besten Beweis dafür geliefert, dass sich sofort ein neues Problem auftat, wenn man ein anderes beseitigen konnte. Selbst dann, wenn man sein Bestes gab.

      »Eines noch«, sagte er und hob den Finger. Bernard Kranemeyer stand im Türrahmen von Shapiros Büro und wollte gerade gehen.

      »Ja?«

      Shapiro atmete tief ein. In Gegenwart des DCS hatte er sich noch nie wohlgefühlt. Der ehemalige Sergeant der Delta Force passte einfach nicht in den Zirkus hier. Und bei jemandem, der nicht hineinpassen wollte, konnte man nicht darauf vertrauen, dass er erwartungsgemäß reagierte – oder einfach die Klappe hielt und tat, was getan werden musste, wenn die Situation es erforderte.

      »Sie müssen für mich das Alpha Team kaltstellen.«

      Kranemeyer hob die Augenbrauen. »Wieso?«

      Shapiro fluchte innerlich. Die Delta Force, von Insidern auch nur die Unit genannt, bestand nahezu ausschließlich aus Unteroffizieren. Keine Ränge darunter. Und angesichts dieser Realität waren es die D-Boys nicht gewohnt, Befehle unkritisch einfach nur hinzunehmen. Einsatzbesprechungen der Unit waren dafür bekannt, darin zu enden, dass sich alle gegenseitig anbrüllten.

      »Sie stehen der gegenwärtigen Lage zu nahe.«

      »Blödsinn«, antwortete Kranemeyer, in dessen Augen es aufblitzte. »Das Bureau kümmert sich um die Lage. Ich brauche jeden Mann in Bereitschaft, den ich kriegen kann – für die Extraktions-Einsätze, die wir initiiert haben. Jeden Mann. Und Richards und Parker sind zwei meiner besten.«

      Der DD(I) atmete erneut durch. Er war Konfrontationen wie diese einfach nicht gewohnt. »Im Oktober stellte sich heraus, dass der stellvertretende Kommandeur des Alpha Teams, Hamid Zakiri, ein Schläferagent war, der für die Ayatollahs arbeitete. Und an diesem Morgen hat der Teamführer in diesem Gebäude eine Geisel genommen und ist gegenwärtig das Ziel einer Großfahndung. Das ist ein Befehl, Kranemeyer. Schicken Sie sie in Urlaub, schaffen Sie sie aus dem innersten Kreis, bevor es zu spät ist.«

      »Schon erledigt«, erklärte der DCS kopfnickend. »Sonst noch etwas?«

      »Nein, nein, das wäre alles«, antwortete Shapiro, von Kranemeyers unverhoffter Kapitulation gleichzeitig erleichtert wie überrumpelt. Das war nicht seine Art.

      Und dann war Kranemeyer verschwunden, das vage Gefühl des Unbehagens aber blieb. Shapiro starrte auf seinen Computerbildschirm und die Telefonnummer, die dort zu sehen war. Irgendetwas stimmte hier nicht …

       17:34 Uhr

       Cypress Manor

       Cypress, Virginia

      Die Dunkelheit war hereingebrochen, aber die Lampen, die von dem guten Dutzend an FBI-Agenten aufgestellt worden waren, die durch die alte Vorkriegsvilla schwärmten, erhellten den Vorgarten und die Zufahrtsstraße und warfen monströse Schatten in der Form der Buchsbaumhecken, die entlang des Weges wuchsen, über das gesamte Areal.

      Bei seinem letzten Besuch in Nichols Haus war es dunkel gewesen, völlig dunkel. Ein Besuch so zwecklos wie dieser.

      Vic schaute von dem Buffetschrank auf, den er gerade inspizierte, und sah Marika Altmann die Mahagonitreppe herunterkommen. Ihre Hände waren in den Taschen ihrer Windjacke vergraben und der Blick in ihrem Gesicht wirkte alles andere als aufmunternd.

      »Gibt‘s gute Neuigkeiten? Konnten Sie Nichols Safe knacken?«

      Der wütende Blick, den sie ihm zuwarf, verriet alles. »Ja. Und nein. Der Mechanismus war mit einem Selbstzerstörungscode präpariert.«

      »Und?«

      Sie fluchte leise in sich hinein. »Alle Dokumente in dem Safe sind zu Asche verbrannt, Vic.«

      Caruso schloss mit einer seiner Hände, die in Gummihandschuhen steckten, die Schublade des Schranks und