Stephen England

TAG DER ABRECHNUNG (Shadow Warriors 2)


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Abständen im Austausch für ihre Freiheit ablieferte.

      Und doch wusste er es – ganz egal, wie sehr er versucht hatte, es zu verleugnen, sich selbst etwas vorzumachen.

       Es hat meinem Leben wieder einen Sinn gegeben.

      Sein Bruder gehörte zu ihnen.

       21:32 Uhr Ortszeit

       Das Black Rooster

       Washington, D.C.

      »… wir wussten, dass wir ohne die Unterstützung Israels nicht gegen Yusuf vorgehen konnten, und das Letzte, was Clinton wollte, war, Arafat während seiner halbseidenen Präsidentschaft zu verärgern.« Kranemeyer schnaubte verächtlich. »Nach allem, was ich gehört habe, hätte er den Mistkerl sogar begnadigt, wenn ihn nicht jemand davon überzeugt hätte, dass wir ihn schnappen könnten. Ihn im Westjordanland einfangen, eine Tüte über den Kopf ziehen und nach Ägypten ausfliegen. Dort hätten sich Mubaraks Jungs um ihn kümmern können.«

      »Als außerordentliche Auslieferung«, bemerkte Tex. Es schien seltsam, sich in diesen Tagen noch auf Mubarak zu beziehen, viele Jahre, nachdem er die Macht verloren hatte, aber zu jener Zeit war er das Gesicht Ägyptens gewesen.

      Der DCS nickte. »Ganz genau, aber die Dinge liefen leider nicht wie geplant.«

      »Wann tun sie das je?«, fragte Thomas bitter. Er starrte auf das Glas mit Brandy in seiner Hand hinunter, sein dritter Drink an diesem Abend. Der Alkohol begann seine Wirkung zu zeigen, das wusste er … aber zur Hölle, schließlich war es ein beschissener Tag gewesen!

      »An dem Tag, an dem die Operation starten sollte, traf Nichols noch vor dem Morgengrauen in Ramallah ein, mit einer Kalaschnikow bewaffnet und als palästinensischer Fellache verkleidet. Über Stunden hinweg hörten wir nichts von ihm. Zusammen mit Avi ben Shoham und einem Überfallkommando der Sayeret Matkal bereitete ich mich ebenfalls auf einen Einsatz vor. Wir hätten auf der Ladefläche eines Pick-ups nach Ramallah hineinfahren sollen, mit schwarzen Balaklavas über den Köpfen und der grünen Flagge der Hamas. Mit etwas Glück hätten die PLO und die Hamas sich gegenseitig beschuldigt, und nicht uns.«

      Der DCS unterbrach sich kurz, um an seinem Drink zu nippen. »Zwanzig Minuten vor unserem Start stellte Nichols den Kontakt her. Freefall. Dieser spezielle Notfallcode war als Signal bestimmt worden, eine Mission sofort abzubrechen. Wie sich herausstellte, wären wir direkt in eine Falle getappt. Zuerst glaubten wir, dass unser Informant uns verraten hatte, aber fünf Tage später fand man seine Leiche vor den Toren der Botschaft in Tel Aviv. Man hatte ihm die Genitalien abgetrennt und in den Mund gestopft.«

      Willkommen im Mittleren Osten, dachte Thomas und ließ seinen Blick durch die Bar schweifen, in der Hoffnung, eine Kellnerin zu erspähen, die ihm nachschenken konnte. Man hatte sie hereingelegt. »Was geschah mit Yusuf?«

      »Sechs Wochen nach Abbruch der Operation RUMBLEWAY stieg Yusuf in seinen Wagen und flog in die Luft. Die Explosion tötete ihn, seinen Leibwächter und seinen vierzehnjährigen Sohn. Unsere glaubwürdigste Information lässt darauf schließen, dass der Anschlag auf den Mossad zurückgeht.« Der DCS schüttelte den Kopf. »Und die Moral von der Geschichte? Leg dich niemals mit den Juden an.«

      Tex räusperte sich. »Was hat das Ganze mit den Ereignissen von heute zu tun?«

      Thomas lächelte in sich hinein und drehte das Glas zwischen seinen Fingern. Direkt auf den Punkt, so wie immer. Kein großes Herumgerede. So war Tex.

      »Um ganz ehrlich zu Ihnen zu sein: Ich weiß es nicht«, antwortete Kranemeyer. »Aber das war die einzige Operation, in die Lay, Nichols und ich involviert waren, bevor ich zum DCS ernannt wurde.«

      »Ein Signal?«, überlegte Thomas.

      Der ältere Mann nickte. »Zehn Minuten nach dem Anschlag auf Lays SUV wurde ein Anruf von einem verschlüsselten Satellitentelefon ganz in der Nähe abgesetzt. Aus dem, was sie in Fort Meade entschlüsseln konnten, geht hervor, dass der Anrufer das Wort Eaglefire benutzte. Das war ebenfalls ein RUMBELWAY-Codewort.« Er beugte sich über den Tisch. Die Musik in der Bar hatte gewechselt, härtere Riffs lösten die bislang ruhigeren Klänge der Happy Hour ab. Bruce Springsteens Stimme, die »Born in the U.S.A.« schmetterte, half dabei, Kranemeyer Worte weiter untergehen zu lassen.

      »Ich werde keinen von Ihnen fragen, ob Sie wissen, wohin Nichols gegangen sein könnte«, begann der DCS. Die beiden blickten sich nicht an. »Aber ich weiß, wie diese Dinge ablaufen. Jeder in diesem Geschäft verfügt über einen Notfallplan. Das galt schon zu meinen Delta-Force-Zeiten und ich halte mich immer noch daran. Wenn das FBI Harry zu fassen bekommt, stecken sie ihn in eine Zelle und werfen die Schlüssel weg. Und wenn meine Vermutungen zutreffen sollten und er auf direkten Befehl von David Lay handelt, müssen wir zuerst mit ihm reden.«

      »Und Sie wollen, dass wir ihn für Sie finden?«, fragte Tex und starrte ihn mit seinen dunklen, unergründlichen Augen über den Tisch hinweg an.

      »Offiziell nein«, erwiderte Kranemeyer, klappte das Notebook zu und steckte es in die Umhängetasche zurück. »Jeder weiß, dass die CIA nicht auf dem Boden der Vereinigten Staaten operieren darf.«

      Dann verfinsterte sich sein Blick, und seine Gesichtszüge nahmen einen entschlossenen Ausdruck an. »Inoffiziell hingegen … kommen Sie bloß nicht ohne ihn wieder.« Kranemeyer erhob sich und zog seinen Mantel über. »Und falls sich herausstellen sollte, dass er tatsächlich ein Teil des Problems ist, dann wissen Sie, was zu tun ist. Waidmanns Heil, Jungs.«

      Und damit war er verschwunden.

      Kapitel 6

       14. Dezember

       04:00 Uhr

       Das zwangsversteigerte Haus

       New Market, Virginia

      Sie konnte seine Anwesenheit spüren, irgendwo in der Dunkelheit. Seinen Blick, mit dem er sie beobachtete. Wie spät war es?

      Eine Hand berührte sie sanft an der Schulter. »Zeit, aufzubrechen.«

      Harrys Stimme. Carol drehte sich auf den Rücken, streckte sich müde und sah zu ihm auf. Sie konnte sein Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen.

      »Ein wenig geschlafen?«

      Ihre einzige Antwort bestand aus einem Kopfschütteln. Sie zog den Reißverschluss ihres Schlafsacks auf und schwang ihre Beine aus dem Bett. »Und Sie?«

      »Wenn, dann nur so, dass Sie nichts davon mitbekommen.« Ein freudloses Kichern untermalte seine Worte. »Über Nacht fielen fünfzehn Zentimeter Neuschnee und es schneit immer noch.«

      Seine Stimme hatte sich verändert, wie sie feststellte. »Ist das ein Problem?«

      »Es könnte eines werden«, antwortete er, während er ihr dabei zusah, wie sie den Schlafsack zusammenrollte. »Könnte auch ein Segen sein – wegen des Schnees werden ihre Hubschrauber nicht starten können. Deswegen werden sie ihr Suchraster für heute aber trotzdem ausweiten.«

      Sie griff nach der Kahr und schob sie sich in ihre Jacke, nah an ihren Körper. »Haben Sie einen Plan?«

      »So könnte man es nennen.«

       04:23 Uhr

       An der westlichen Grenze von Virginia

       In der Nähe von Orkney

      Der Morgen war kalt – kalt und dunkel, während der herabfallende Schnee sich grellweiß vor den blauen und roten Rundumleuchten abzeichnete. Der metallene Lauf der Mossberg 500 in den Händen von Deputy Sheriff Ricardo Sanchez fühlte sich sogar noch kälter an.

      Mit einem leisen Fluchen legte der siebenundzwanzigjährige Sanchez die Pumpgun auf der Motorhaube des Polizeiwagens aus Shenandoah County ab und griff nach seiner Thermoskanne