Stephen England

TAG DER ABRECHNUNG (Shadow Warriors 2)


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Hand traf gegen Wilkes Kehle, mit einem brutalen Handkantenschlag, der ihn zurücktaumeln ließ.

      Der Deputy brach im Schnee zusammen und krallte wild nach seinen zerquetschten Stimmbändern. Harry ließ sich neben ihm auf die Knie fallen, zog die Glock 19 aus Wilkes Holster, riss sie nach oben und zog den Schlitten zurück, um sie zu laden.

      Aus dem Augenwinkel nur nahm Harry eine Bewegung wahr, also presste er den Lauf der Glock gegen die Schläfe des auf dem Boden liegenden, japsenden Deputys. Er blickte auf und erkannte Sanchez, der mit vorgehaltener Mossberg auf ihn zuhumpelte. Die Mündung der Waffe wirkte so groß wie die Öffnung eines Kanonenrohrs, ein gähnender Schlund, so schwarz wie die Nacht selbst.

      »Noch ein Schritt und ich jage ihm eine Kugel in den Kopf«, erklärte Harry ruhig und ließ Sanchez nicht aus den Augen. Der Deputy blieb wie in Schockstarre stehen. Die Schrotflinte zitterte in seinen Händen. Er keuchte, große Atemwolken entwichen seinen Lippen und drifteten in die Dunkelheit. Die roten und blauen Lichter der Streifenwagen flackerten unbeirrt weiter über die Schneelandschaft und verliehen der Szenerie einen zusätzlichen surrealen Anstrich.

      »Das … das würden Sie nicht tun«, sagte er schließlich mit zitternder Stimme. »Sie würden keinen Cop töten.«

      Harrys Blick blieb unverändert, doch seine Lippen formten ein kaltes, böses Lächeln. »Glauben Sie das ruhig, wenn Sie wollen. Sie können das dann auch seiner Witwe erzählen. Ich habe fünfzehn Jahre meines Lebens damit verbracht, Menschen zu töten … was macht da schon eine Leiche mehr oder weniger?«

      »Sie werden es niemals lebend hier rausschaffen«, erklärte Sanchez und hob die Pumpgun wieder an seine Schulter. Harry konnte sehen, wie seine Hände zitterten, konnte die Unsicherheit sehen, die ihm quer über sein Gesicht geschrieben stand. Die Verzweiflung eines Mannes, der nicht wusste, ob er es über sich bringen würde, den Abzug zu drücken.

      »Das ist kein Film, Kleiner«, sagte Harry und streckte ihm seine linke Hand entgegen. »Versuch also besser nicht, den Helden zu spielen. Niemand muss hier sein Leben lassen. Leg einfach nur das Gewehr hin und wir gehen alle nach Hause.«

      Es verging ein scheinbar unendlich langer Moment, in dem der Deputy in quälender Unentschlossenheit gefangen schien. Schließlich verlagerte Sanchez die Mossberg in seine linke Hand und warf sie in den Schnee. »Sie haben gewonnen.«

      Harry stand auf, die Glock in seiner Hand zielte jetzt auf Sanchez‘ Herz. »Drehen Sie sich um.«

       04:28 Uhr Ortszeit

       Ein Appartement

       Dearborn, Michigan

      Tarik stand noch vor Sonnenaufgang auf, noch bevor der Ruf zum Faijr, dem Morgengebet, über die Stadt erschallte.

      Sicher, es war nur eine Aufnahme, nichtsdestotrotz aber ein wunderschöner Klang, und einer, der in diesem Land immer häufiger zu hören war.

      Ein stummes Lächeln huschte über das Gesicht des Pakistanis und in seinen verträumten Augen flackerte für einen kurzen Moment ein Licht auf. Das war der Wille Allahs. Er lief zum Fenster, öffnete die Jalousien und blickte über die Stadt hinweg, deren Lichter in der Dunkelheit funkelten. Dār al-Harb.

      Das Haus des Krieges.

      Sein Laptop auf dem kleinen Tischchen neben seinem Bett war noch aufgeklappt, und die Website, die er letzte Nacht besucht hatte, noch auf dem Bildschirm zu sehen.

      Das Gesicht einer Frau starrte ihn von dem Display an, kühn, ohne jede Scham – eine Frau um die fünfzig, ihr unbedeckter Kopf von braunen Haaren umrahmt. United States Representative Laura Gilpin, Texas, lautete die Bildunterschrift.

      Er erinnerte sich an das Gesicht. Er würde sich immer an dieses Gesicht erinnern, wutverzerrt hinter einer Reihe von Mikrofonen. Sie hatte die Gegner seiner Freilassung aus Guantanamo angeführt, eine selbsterklärte Kreuzritterin. So typisch für die Amerikaner, die stets Worte benutzten, ohne sich deren Bedeutung in Gänze vor Augen zu führen.

      Tarik lächelte, griff nach der Maus, doppelklickte auf die VERANSTALTUNGEN-Schaltfläche ihrer Website und scrollte so weit hinunter, bis er das Ende der aufgeführten Termine erreichte. 25. Dezember – noch elf Tage. Nur elf Tage. Der Pakistani lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und versank in einen Zustand der Meditation, während die Worte der Sure seinen Geist füllten.

       Sind sie denn sicher davor, dass nicht eine überwältigende Strafe von Allah über sie kommt, oder dass nicht plötzlich die Stunde über sie kommt, während sie nichtsahnend sind?

      

       05:31 Uhr Ortszeit

       Crooked Run Road

       An der westlichen Grenze Virginias

      Harry war gerade damit fertig geworden, die bewusstlosen und mit Kabelbindern gefesselten Körper der beiden Deputys auf der Rückbank des Streifenwagens abzulegen, als er eine Bewegung wahrnahm und hinter sich im Schnee ein Geräusch hörte.

      Kurzerhand ließ er Deputy Sanchez auf den Rücksitz fallen, wirbelte mit der Glock in beiden Händen herum und zielte auf die Bedrohung.

      Carol. Er ließ die Waffe sinken und nahm den Finger vom Abzug. »Ich dachte, ich hätte Ihnen gesagt, dass Sie die Straßensperre durch die Baumkette umgehen und etwas weiter die Straße hinunter auf mich warten sollen.«

      Sie strich sich ein paar Schneeflocken von ihrem Arm und ließ ihn nicht aus den Augen, während sie auf ihn zuschritt. »Und Sie wollten sich mit einer Ausrede durchmogeln. Was ist schiefgelaufen?«

      »Sie stellten zu viele Fragen.« Er schlug die hintere Tür des Streifenwagens zu. »Wir müssen von hier verschwinden – in der Gegend wird es von Bureau-Agenten nur so wimmeln, wenn sie keine Rückmeldung bekommen. Und dann werden sie unser Nummernschild kennen.«

      Carol sah ihn an. »Nicht unbedingt.«

      Harry schüttelte den Kopf und schob sich die Glock unter seine Jacke. »Sobald sie das Kennzeichen prüfen lassen, wird die Suche nach der Nummer in der Datenbank aufgezeichnet. Das ist die Standardvorgehensweise.«

      Ihre Lippen öffneten sich zu dem ersten Lächeln, das er an ihr gesehen hatte, seit dieser Albtraum begonnen hatte. »Das ist Standardvorgehensweise … was aber nicht bedeutet, dass die Datenbank nicht gehackt werden kann. Wenn ich es schaffe, die Nummern auszutauschen, bevor die Suchanfrage eine Warnung ausspuckt …«

      Das war verlockend – beinahe zu verlockend. »Dafür haben wir keine Zeit«, sagte er schließlich. »Tut mir leid.«

      Sie trat näher heran und ihre Augen durchbohrten ihn mit geradezu respekteinflößender Intensität. »Ich schaffe das. Fünf Minuten.«

      Es verging einige Zeit, bevor er als Antwort lächelnd das Gesicht verzog. Er schritt an ihr vorbei, um eine Beobachtungsposition über der Straße zu beziehen, und legte ihr im Vorbeigehen eine Hand auf den Arm. »Dann hauen Sie mal in die Tasten!«

       06:42

       NCS-Einsatzzentrum

       Langley, Virginia

      Im Einsatzzentrum herrschte bereits Hochbetrieb, als Danny Lasker zur Tür hereinkam und sich seine Schlüsselkarte in seine Hemdtasche zurücksteckte.

      Nicht, dass es an diesem Ort jemals ruhig gewesen wäre – der Clandestine Service war rund um die Uhr mit einer Notmannschaft aus Kommunikationsspezialisten und Analytikern besetzt – aber dieser Morgen war anders.

      »Morgen, Ron«, grüßte Lasker, als er den Bürowürfel des Analytikers passierte. Als Antwort bekam er ein Grunzen zu hören. Er hängte seinen Mantel über die Rückenlehne seines Stuhls, bevor er Carter einen zweiten Blick zuwarf.

      Blaues Anzughemd, voller Schweißflecken. Schwarze Hose, die